Frage an Christian Schmidt von Kai-Uwe A. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Schmidt,
im Januar 2008 berichtete die tagesschau über den Abbau der Eisenbahn Raeren-Kalterherberg, die seit 1919 als belgische Enklave durch deutsches Gebiet führt.
Diese Regelung wurde nach 1945 erneuert. Mit der Einstellung und dem Abbau der Bahnstrecke 2007 müsste doch dieser "versteinete Besatzungsrecht" enden, denn wem nützt im vereinten, grenzenlosen Europa ein belgischer Korridor durch Deutschland.
Deshalb die Frage, ob und wie sich die Bundesrepublik für die RÜCKGABE dieses Gebietes an Deutschland einsetzt bzw. mit welchem Recht sie auf deutsches Gebiet verzichten möchte. M.E. war dieses Gebiet zum Zwecke des Eisenbahnbetriebes aus strategischen Gründen für die Dauer des Eisenbahnbetriebes an Belgien zwangsweise 1919/20 abgetreten worden.
Weder verkehrlich noch strategisch erfüllt es weiter den ursprünglichen Zweck.
In diesem Zusammenhang interessiert mich, ob die Bundesregierung im Falle einer Spaltung Belgiens die Eingliederung des deutschsprachigen und bis 1919/20 deutschen Eupener Gebietes anstrebt.
Mit freundlichen Grüßen
Kai-Uwe Arnold
Sehr geehrter Herr Arnold,
vielen Dank für Ihre Zuschrift zur Eisenbahnstrecke Raeren-Kalterherberg. Vorab will ich festhalten, dass es in dieser Frage keine parlamentarische Zuständigkeit gibt und empfehle, zukünftig das Auswärtige Amt als Adressaten zu wählen. Unter Zuarbeit des Auswärtigen Amtes übersende ich Ihnen höflichkeitshalber nachfolgende Stellungnahme verbunden mit der Bitte, von weiteren Anfragen abzusehen.
Deutschland musste nach dem ersten Weltkrieg die Gebiete um Eupen und St. Vith einschließlich der Eisenbahnstrecke (Vennbahn), die zwischen Raeren und Kalterherberg eine knapp 40 km lange Schleife durch deutsches Staatsgebiet macht, auf der Grundlage der Bestimmungen des Versailler Vertrags von 28.06.1919 an Belgien abtreten. Völkerrechtlich maßgeblich für den territorialen Status dieser Eisenbahntrasse und den Verlauf der deutsch-belgischen Staatsgrenze sind die auf Grundlage der Art. 27 und Art. 35 des Versailler Vertrages getroffene Entscheidung einer internationalen Grenzkommission vom 06.11.1922 sowie bilateraler Folgeabkommen und Vereinbarungen zwischen Deutschland und Belgien vom 07.11.1929, vom 10.05.1935, vom 24.09.1956 und vom 10.12.1973.
Die durch den Versailler Vertrag eingesetzte internationale Grenzkommission, bestehend aus Deutschland, Belgien, Großbritannien, Frankreich, Italien und Japan, entschied am 06.11.1922, dass die Eisenbahnstrecke Raeren-Kalterherberg an Belgien abzutreten sei. Diese Entscheidung und die mit ihr verbundene Grenzfestsetzung in dem betroffenen Gebiet war gemäß Artikel 35 Abs. 2 des Versailler Vertrags unmittelbar bindend für die Beteiligten. Einer Ratifizierung oder sonstigen (völker-)rechtlichen Bestätigung oder Anerkennung bedurfte sie zu ihrem Wirksamwerden nicht.
Die Kommission legte gleichzeitig die „Bedingungen fest, unter denen die Eisenbahnstrecke an Belgien abgetreten werden soll“, u.a., dass die Bahnanlagen in normalem baulichen und betrieblichen Zustand zu erhalten sind (I., 1. Kapitel, Ziff. 6), dass die Personenzüge zwischen Aachen und St. Vith auf allen Stationen zwischen Raeren und Kalterherberg halten (I., 2, Kapitel, Ziff. 1 a)), dass erforderlichenfalls, etwa bei starkem Verkehr, Ausflugsverkehr, Märkten und ähnlichen Anlässen, die belgische Eisenbahnverwaltung auf Verlangen und im Benehmen mit der Eisenbahndirektion Köln Bedarfszüge einlegen wird (I. 2. Kapitel, Ziff. 5) und dass die Fahrpläne von beiden Eisenbahnverwaltungen gemeinsam aufgestellt werden (I. 2. Kapitel, Ziff. 6).
Völkerrechtlich handelt es sich hierbei um Auflagen, sog. „Servitude“ zugunsten der deutschen Seite. Es handelt sich nicht um „Bedingungen“ in dem Sinne, dass mit ihrem Entfallen oder ihrer Nichterfüllung bzw. Verletzung die Gebietshoheit über den Bahnkörper wieder an den zedierenden Staat Deutschland zurückfällt. Es kommt also nicht zu einem Automatimus einer Gebietsveränderung und auch nicht zu einem automatischen Rückfall dieser Eisenbahntrasse an Deutschland.
Der vereinbarte Grenzverlauf wurde durch Art. 77 des bilateralen Abkommens zwischen Deutschland und Belgien vom 07.11.1929 bestätigt, der ebenso wie das Zusatzabkommen vom 10.05.1935 lediglich geringfügige zeitgemäße Abänderungen der früheren Bestimmungen vornahm. Auch der zwischen Deutschland und Belgien geschlossene Grenzvertrag vom 24.09.1956 traf keine den territorialen Status der Eisenbahnlinie verändernde Bestimmungen. Er beinhaltete lediglich einige Grenzberichtigungen und nahm in den Art. 9 und Art. 10 i.V.m. Anhang 3 bezüglich der Eisenbahnstrecke Raeren-Kalterherberg Anpassungen an die heutigen Verhältnisse vor, die in der Vereinbarung vom 10.12.1973 (Art. 6) bestätigt wurden: Danach wurde der Personenverkehr beschränkt auf die Durchführung von Sonderzügen zwischen den fünf Bahnhöfen (Rötgen, Lammersdorf, Konzen, Monschau, Kalterherberg) der Strecke Raeren-Kalterherberg und der Bundesrepublik Deutschland über Raeren-Walheim sowie über Kalterherberg- Losheim (II. Kapitel, Art. 6 Abs. 1 des Abkommens). Zudem wurden die am Güterverkehr ausschließlich beteiligten Bahnhöfe und die Strecken, auf denen der Gütervekehr ausschließlich in diesem Gebiet durchgeführt wird, bestimmt (II. Kapitel, Art. 6 Abs. 2 des Abkommens).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass alle Grenzfragen zwischen Deutschland und Belgien vertraglich abschließend geregelt sind. Danach gehört der Bahnkörper der Vennbahn zum belgischen Staatsgebiet. Die nun geplante Nutzungsänderung hinsichtlich der Bahnstrecke ändert hieran
nichts.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Schmidt MdB
Parlamentarischer Staatssekretär-