Die Lausitz steht vor dem zweiten großen Strukturwandel seit 1990. Welche Ideen hat die Linke, daß die Kumpel und Jugendlichen hier eine Perspektive bekommen?
Sehr geehrter Herr Görke,
aktuell wird von Weltraumforschung, Bundesbehörden und Großforschungszentren gesprochen. Das sind aber nur bedingt Arbeitsplätze für Bergleute und Energiearbeiter. Welche Zukunft hat die Lausitz?
Sehr geehrte Frau G.,
vielen Dank für Ihre Fragen.
Lassen Sie mich zunächst folgendes Voranstellen. In Folge der politischen Wende 1989/1990 in der ehemaligen DDR und der Einführung der D-Mark zum 1. Juli 1990 waren alle Betriebe in Ostdeutschland schlagartig der (deutlich produktiveren) westdeutschen Konkurrenz ausgesetzt. Durch die neue Währung brach die Auslandsnachfrage (vor allem in Osteuropa), aber auch die Binnennachfrage bei ostdeutschen Konsumgütern drastisch ein. Außerdem sank die Industrieproduktion und erreichte im August 1990 nur noch die Hälfte des Vorjahresmonats. Nur den allerwenigsten Firmen im Osten gelang der Schritt in die Marktwirtschaft. Es kam zum fast vollständigen Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft. Der wirtschaftliche Niedergang läutete einen nahezu einmaligen Deindustrialisierungsprozess ein, der mit Betriebsschließungen und Massenarbeitslosigkeit einherging.
Die Lausitz war einst das Zentrum des Braunkohlenbergbaus in der DDR und wichtiger Energielieferant. Die Zahl der Angestellten im Lausitzer Braunkohlebergbau sank im Zeitraum 1989 bis Ende 1999 von mehr als 79.000 auf ungefähr 8.000.
Allerderdings fanden eher Anpassungs- und Schrumpfungsprozesse statt, ein tatsächlicher wirtschaftlicher Strukturwandel hat nach meinem Dafürhalten in den 1990er Jahren nicht stattgefunden.
So ist die Braunkohleindustrie nach wie vor der strukturbestimmende Wirtschaftszweig. Der bescheidene Wohlstand der Region fußt maßgeblich auf der Kohle. Allerdings gibt es heute ca. 40.000 Industriearbeitsplätze außerhalb des Bergbaus und der Energiewirtschaft in der Ernährungswirtschaft, der Chemie- und Kunststoffindustrie sowie den Bereichen Metall und Maschinenbau.
Somit stehen wir mit dem Abschlussbericht der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" (Januar 2019) sowie dem Kohleausstiegsgesetz und dem Strukturstärkungsgesetz (beide August 2020) vor einem tatsächlichen Strukturwandel in der Lausitz.
Seit Januar 2021 wird das Strukturstärkungsgesetz auch in der Lausitz wirksam. Konkret bedeutet es, dass 10,3 Milliarden Euro für das Land Brandenburg bis 2038 zur Verfügung stehen. 3,612 Mrd. Euro können die Lausitzer Kommunen für konkrete Vorhaben u.a. in den Bereichen: wirtschaftsnahe Infrastruktur, Städtebau, Stadt- und Regionalentwicklung, Digitalisierung, Breitband- und Mobilfunkinfrastruktur, touristische Infrastruktur, wissenschaftliche Forschung sowie Innovation und Technologietransfer, Klima- und Umweltschutz sowie Naturschutz und Landschaftspflege verwenden. Bisher wurden bereits Ideen in Höhe ca. einer halben Milliarde in konkrete Projekte gegossen und bewilligt.
Darüber hinaus finanziert der Bund den Ausbau der Infrastruktur (Schiene & Straße), den Neubau des Fahrzeuginstandhaltungswerkes Cottbus, den Aufbau des Innovationscampus Universitätsmedizin sowie die Ansiedlung mehrerer Einrichtungen des Bundes in der Region mit bis zu 6,708 Mrd. Euro.
Mit den Vereinbarungen zum schrittweisen Kohleausstieg und der damit verbundenen Möglichkeit Anpassungsgeld (APG) in Anspruch zu nehmen, ist aktuell nur die ältere Belegschaft abgesichert.
Somit braucht es berufliche Perspektiven für die junge Generation in der Lausitz. Allein mit dem neuen Bahnwerk in Cottbus sollen über 1.000 neue Arbeitsplätze entstehen (Baubeginn 2022). Die BTU Cottbus-Senftenberg bekommt 300 Millionen Euro aus dem Bundesarm für die Strukturstärkung. Damit wird der Aufbau eines Wissenschaftsparks im Cottbuser Norden angeschoben. Im Lausitz Science Park auf dem TIP-Gelände sollen künftig 1.500 Wissenschaftler arbeiten und forschen.
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) baut aktuell in Weißwasser. Hier geht es um 120 Büroarbeitsplätze. In Boxberg soll ein Forschungszentrum für die umweltfreundliche Produktion von Kohlefasern (InnoCarbEnergy) entstehen. Die Liste der Vorhaben ließe sich an dieser Stelle vorsetzen.
Wo liegen nun die konkreten Probleme?
- Wir befinden uns mitten im demografischen Wandel. Mehr als 20% der Bevölkerung ging in den vergangenen 30 Jahren verloren. Wir spüren bereits jetzt einen wachsenden Arbeits- und Fachkräftemangel. Ohne Zuzug aus dem In- und Ausland wird die Region weiter (massiv) an Einwohnern verlieren. Ohne Fachkräfte von außen kann und wird es kein funktionierendes Bahnwerk oder eine Medizinerausbildung in Cottbus geben. Wir brauchen ein klares Bekenntnis der Region: Wir wollen Zuwanderung!
- Der Ausbau der Infrastruktur insbesondere der Schiene kommt kaum voran. Von den 19 geplanten Schienenprojekten gibt es für 17 (!) nicht mal eine (Vor-)Planung. Hier brauchen wir dringend eine gemeinsam Gesellschaft der Länder Brandenburg und Berlin sowie des Bundes, um zügig Planungskapazitäten vorzuhalten und um die Vorhaben tatsächlich bis 2038 umsetzen zu können.
- Um die Wirtschaft auf eine CO2-neutrale Produktion umstellen zu können, brauchen wir direkte Fördermöglichkeiten. Das Strukturstärkungsgesetz ist hier keine Hilfe, da es sich nur an Kommunen und kommunale Unternehmen richtet. Hierfür hat die Europäische Kommission im Januar 2020 den Just Transition Fund (JTF) als neuen Strukturfonds vorgeschlagen und mittlerweile verabschiedet. Der Fonds soll die sozioökonomischen Kosten des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft abfedern und die wirtschaftliche Diversifizierung und Umstellung der betreffenden Gebiete unterstützen.
- Der Bundesfinanzminister Scholz verrechnet jedoch diese wichtigen Gelder zu 85 % bundesseitig mit den geplanten Strukturmitteln. Die Bundesländer - auch Brandenburg - haben dem letztlich zugestimmt. Nach der Bundestagswahl gilt es, diesen Fehler zu korrigieren.
- Durch den fortschreitenden Klimawandel und das Auslaufen der Tagebaue wird sich der Wassermangel in der Region verschärfen. Ein langfristiges Wassermanagement unter Federführung der LMBV ist somit unerlässlich. Hier braucht es klare finanzielle Zusagen des Bundes. Das Stichwort lautet Stichwort Verwaltungsabkommen Braunkohlesanierung Nummer VII ab 2023. Hierfür werde ich mich einsetzen.
- Die Lausitz benötigt verlässliche politische Rahmenbedingungen, mit festen Zusagen, die nicht durch die politische Farbenlehre oder Haushaltszwänge verschlechtert werden. Leider fehlt es an einem verbindlichen Staatsvertrag, der die zugesagten Gelder langfristig sichert. Die aktuellen Gesetze könnten jederzeit durch (neue) Mehrheiten im Bundestag verändert werden.
- Die regionalen Akteure insbesondere die gewählten und legitimierten kommunalen Abgeordneten sind zu wenig über die Umsetzung des Strukturstärkungsgesetzes informiert. Die tatsächlichen Entscheidungsprozesse finden ohne sie statt. Das ist ein Fehler, da dadurch die Legitimation der beschlossenen Projekte fehlt und in der Umsetzung es an Akzeptanz der Maßnahmen mangeln wird. Darüber hinaus verzichtet die Landesregierung auf deren Ideen und die Möglichkeit positive Botschafter in der Region zu aktivieren.
- Damit der Strukturwandel gelingt, braucht es einer besseren Kooperation in der Region. Der Landkreis Spree-Neiße und die Stadt Cottbus müssen besonders mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region viel enger zusammenarbeiten. Warum gibt es eigentlich noch immer getrennte Wirtschaftsfördergesellschaften? Warum arbeiten die beiden Verwaltungen, beispielsweise in der Schulentwicklung, noch immer neben- anstatt miteinander? Das muss ich dringend ändern!
Zusammenfassend möchte ich folgendes Festhalten. Die nach langen und intensiven Verhandlungen durch Bundestag und Bundesrat beschlossenen Rahmenbedingungen durch das Strukturstärkungsgesetz sind eine große Chance für die Lausitz. Jetzt gilt es, diese Chance zu nutzen. In enger Kooperation statt in Kirchturm- und Konkurrenzdenken. Wir müssen bei der Umsetzung der Vorhaben insbesondere beim Ausbau der Infrastruktur schneller werden. Die Region muss Weltoffenheit und Toleranz ausstrahlen und leben, nur dann wird es auch den dringend benötigten Zuzug geben.
Falls Sie noch Rückfragen haben, melden Sie sich gerne bei mir.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Görke