Frage an Christa Goetsch von Andreas R. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Goetsch!
Hoffentlich kann ich Sie bald auch als "Frau Bürgermeisterin" ansprechen ;). Vielen Dank für Ihre umfasende Antwort! Aber wäre es nicht auch notwendig, den SchülerInnen mehr Wahlfreiheit bei der Gestaltung eines presönlichen Lernprofils zu geben? Das würde sicherlich ihre Motivation und den Spaß am Lernen stärken. Und als Vorbereitung auf das spätere Berufsleben erscheint mir das auch sinnvoller. Ein angehender Ingenieur braucht ganz bestimmt nicht das gleiche Wissen wie bspw. eine angehende Juristin.
Schönen Gruß
Sehr geehrter Herr Remstedt,
vielen Dank für die nette Rückmeldung - und natürlich auch für die Nachfrage!
Grundsätzlich plädiere ich dafür, dass die Kinder - und zwar von Anfang an! - dazu angeregt und dabei unterstützt werden, ihre Lernprozessse systematisch selber zu gestalten. Das meinen wir damit, wenn wir von individuellem Lernen sprechen.
Stark zugespitzt bedeutet dies: Jedes Kind bestimmt selbst, wann es was lernt. Natürlich sollen die SchülerInnen dabei begleitet werden. Die LehrerInnen werden dabei zu LernbegleiterInnen. Zwei Dinge können dabei von Schulen genutzt werden: 1. Die Kinder lernen nicht mehr im Gleichschritt. Gleichschritt ist langweilig, er stoppt diejenigen, die schneller sind und setzt die unter Druck, die mehr Zeit brauchen. Was dabei herauskommt, zeigt das deutsche Schulsystem: Es reicht höchstens zum Mittelmaß. 2. Unterschiede regen an - das nutzen diese Schulen. Was das eine Kind kann, kann das andere von ihm lernen. Es ist doch ein Mythos, dass die Langsamem besser mit dem Langsamen und die Schnellen besser mit den Schnellen lernen. Kinder lernen viel besser voneinander, als nur von einem Lehrer. Der Stärkere erklärt es dem Schwächeren und der Stärkere lernt weiter, weil er erklären muss, was er weiß. So profitieren beide.
Folglich gilt auch für die gymnasiale Oberstufe: Die SchülerInnen sollen möglichst viel selbst wählen bzw. gestalten können. Auch hier gilt: Die Leistung steigt mit der Lust am Lernen. Dies ist genau der Kerngedanke der ursprünglichen Reform der gymnasialen Oberstufe. Wer nun die Reform der Reform vorbereitet, versucht die Oberstufe von den Füßen auf den Kopf zu stellen. Die geplante Einführung von Basiskompetenzfächern zum Schuljahr 2009/10, die alle Schüler belegen müssen, halte ich für genau so einen Irrweg. Über Basiskompetenzen in Deutsch, Mathe und einer Fremdsprache sollten die Schülerinnen und Schüler bereits bei Eintritt in die Oberstufe verfügen. In der Oberstufe geht es eben auch um einen individuelleren Weg jedes Einzelnen und um Höchstleistungen. Deshalb plädiere ich dafür, das erfolgreiche System der Wahlfreiheit aus Leistungs- und Grundkursen beibehalten und weiterzuentwickeln. Zudem sollte es auch neue Profile geben - allerdings mit jeweils zwei Schwerpunktfächern wie z.B. Mathematik und Philosophie.
Viele Grüße
Christa Goetsch