Frage an Christa Goetsch von Johann H. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Goetsch,
die Einheitsschule bringt sicherlich viele Vorteile, ohne Frage. Nur wir alle reden von fördern und fordern.
Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind Lehrerin einer solchen Klasse. Dort sitzt ein weniger kluger, ein durchschnittlich kluger und ein sehr kluger Schüler. Um allen gerecht zu werden - im Sinne von fördern und fordern - müssen Sie als Lehrerin ihren Unterricht gleich drei Mal unterschiedlich vorbereiten, d.h. Sie müssen drei verschieden Übungen/Aufgaben erstellen oder nur eine, die so konzipiert ist, dass alle drei Schüler davon profitieren - nicht ganz einfach beim neuen Lehrerarbeitszeitmodell.
Ich denke, dass ist nachvollziehbar, denn man kann einem minderbegabten und einem begabten Kind, nicht die gleichen Aufgaben stellen. Wie soll das funktionieren - heute, wo die Lehrer zum Teil alle überfordert sind?
Wenn Sie die Einheitsschule wollen, dann bitte auch mit einer doppelten Anzahl von Lehrern. Denn sonst wird unsere Bildung den Bach runter gehen.
Nein, ich bin kein Lehrer, aber ich weiß, wie mies es denjenigen geht, die heute wirklich guten Unterricht machen wollen. Eine 2/3 Stelle ist gleichbedeutend mit einer 45 Stunden Woche.
Vielen Dank.
Johann Hallhuber
Sehr geehrter Herr Hallhuber,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Auch wenn wir mit unserem Konzept "9 macht klug" ( http://www.9machtklug.de ) dafür kämpfen, dass in Zukunft die Kinder länger gemeinsam lernen und nicht weiter nach der 4. Klasse in unterschiedliche Schulen sortiert werden, sprechen wir lieber von einer Schule für alle. Der Begriff Einheitsschule steht für das Schulsystem der ehemaligen DDR und hat wenig mit unserer Idee von Schule zu tun. Wir wollen die Autonomie der Schulen ausbauen; sie sollen unterschiedliche Profile entwickeln können. Dabei sind sie in eine regionale Schulentwicklung eingebunden, die gemeinsam mit allen Akteuren in der Region gestaltet wird. Dazu gehören neben den Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen auch die Stadtteileinrichtungen, Sportvereine und nicht zuletzt die Betriebe.
Unser Konzept geht auch weit über eine Veränderung der Schulsturktur hinaus. Denn gerade weil die Kinder alle sehr verschieden sind und dennoch zusammen in einer Schule sind, muss auch der Unterricht völlig anders aussehen. Stärkere und Schwächere, SchnellstarterInnen und SpätentwicklerInnen müssen ihre Chance erhalten, möglichst hohe Bildungsabschlüsse zu erreichen. Neben einem modernen, handlungsorientierten Unterricht, der Theorie und Praxis verbindet, gehört v.a. die Organisation einer individuellen Förderung. Im Kern geht es darum, dass die Kinder - obwohl sie in einer Klasse oder Lerngurppe zusammen sind - nicht immer das gleiche machen. Sie schreiben ja auch von der Notwendigekeit den Kindern immer wieder unterschiedliche Aufgaben zu stellen, um sie da nicht aufzuhalten, wo sie schneller als die anderen sind und, um sie da gezielt zu fördern, wo sie ihre Schwächen haben. Das Problem für die LehrerInnen ist es ja nicht so sehr, dass sie dafür unterschiedliche Aufgaben brauchen - die gibt es ja heute bereits. Die Pädagogen müssen aber den Lernprozess der einzelnen Kinder neu organisieren: Wann und wie lernen die Kinder gemeinsam - wann selbständig. Es gibt eine Reihe von Schulen - auch in Hamburg - die bereits heute gute Erfahrung damit machen. Einige davon stellen sich in unserem Refomschulatlas vor http://www.hamburg-kreativestadt.de/fileadmin/user_upload/dokumente/Broschueren/nicht_im_print/reformschulatlas_fuer_eine_neue_hamburge.pdf Deutlich wird bei diesen Beispielen auch: Eine andere Organsiation von Unterricht und Schule geht auch mit den Ressourcen, die bereits heute in den Schulen stecken.
Den Weg zur Schule für alle können wir nur Schritt für Schritt vorangehen. Insgesamt wird der konsequente Umbau der Strukturen in zwei Legislaturperioden erfolgen. Er beginnt direkt nach der Wahl im Frühjahr 2008 mit einer zweijährigen Vorbereitungsphase. Am Anfang steht eine regionale Schulentwicklungsplanung, an der alle Schulen teilnehmen und die professionell moderiert und begleitet wird. Zeitgleich startet ein Entlastungs- und Fortbildungsprogramm für Lehrerinnen und Lehrer. Sie sind für uns die entscheidenden Akteure im Umgestaltungsprozess. Daher wird auch die Lehrerarbeitszeitverordnung überarbeitet, entbürokratisiert und den pädagogischen Anforderungen angepasst. Weniger Bürokratie bedeutet: Lehrerinnen und Lehrer haben mehr Zeit für die Kinder und Jugendlichen, sie haben mehr Zeit für ihre pädagogischen Aufgaben.
In der 9-macht-klugen Schule gibt es auch kein Sitzenbleiben mehr, da dies genau das Gegenteil von individueller Förderung ist. Eine gezielte und rechtzeitige Förderung in den problematischen Bereichen bringt für die Schülerinnen und Schüler mehr als die demotivierende Wiederholung von altbekanntem Stoff und sie kostet weniger. Um hinreichend Raum für individuelle Förderung zu bieten, wollen wir die "Schule für alle" als Ganztagsschule. Zudem dürfen in keiner Klasse mehr als 25 SchülerInnen sitzen. Diese Frequenz kann in sozial besonders benachteiligten Stadtteilen deutlich unterschritten werden.
Unterm Strich: für mich ist heute die Entwicklung einer "Schule für alle" nicht mehr eine Frage des ob, sondern des wann. Ich meine, die Zeit ist schon heute reif dafür!
Mit freundlichen Grüßen
Christa Goetsch