Was ist der Grund für die starke Ungleichbehandlung bei der Förderung der Vermögensbildung in Deutschland?
Sehr geehrter Herr Brodesser,
bekanntermaßen hat Deutschland unter allen Industrienationen mit das niedrigste pro-Kopf-Vermögen. Die Politik ist also gefordert, die Vermögensbildung in Deutschland zu fördern. Hier gibt es aber massive Ungleichheiten bei der Behandlung von Immobilienvermögen und liquidem Vermögen. Wer sich eine selbst genutzte Immobilie leisten kann, spart sich nicht nur Mietzahlungen. Bei der Vererbung an den Nachwuchs wird das Immobilienvermögen ebenfalls bevorzugt, sofern das Kind die Immobilie selbst bewohnt.
Da sich viele Menschen keine eigene Immobilie leisten können, wird in liquides Vermögen investiert (z.B. in Form von Sparplänen in ETF). Hier wird die Vermögensbildung massiv erschwert (Vorabpauschale, Besteuerung von Dividenden,etc). Was ist der Grund für diese Ungleichbehandlung, die ja gerade auch Menschen trifft, die monatlich nur eine geringere Summe zurücklegen können?
Sehr geehrter Herr R.,
Ihre Frage ist berechtigt und Aufforderung an die Politik die Vermögensbildung vor allem über den Kapitalmarkt voranzutreiben. Die Ungleichbehandlung bei der Vermögensbildung, die sich durch die Besteuerung von Erträgen aus liquiden Vermögensanlagen wie ETFs (Exchange Traded Funds) ergibt, hat mehrere Gründe, die sowohl historisch als auch politisch und wirtschaftlich bedingt sind:
1. Steuerpolitische Gründe:
- Einnahmen für den Staat: Kapitalerträge sind eine wichtige Einnahmequelle für den Staat. Die Besteuerung von Dividenden, Zinsen und anderen Kapitalerträgen trägt zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben bei.
- Daher muss ein Ziel der Steuerpolitik sein, unterschiedliche Einkommensarten, die sich z.B. durch Immobilienbesitz ergeben, ähnlich zu behandeln.
2. Historische Gründe:
- Traditionelle Präferenz für Immobilien: In vielen Ländern, insbesondere in Deutschland, gibt es eine traditionelle Präferenz für Immobilienbesitz als Form der Vermögensbildung, da das "eigene Haus" in der Nachkriegszeit und "Wiederaufbau"-Zeit bei uns Deutschen einen besonderen Stellenwert hatte, während die Vermögensbildung am Kapitalmarkt bis heute eher unterentwickelt ist. Dies hat oft zu einer steuerlichen Begünstigung von Immobilieninvestitionen geführt, wie z.B. durch die Eigenheimzulage (die allerdings in Deutschland 2006 abgeschafft wurde), Baukindergeld oder durch steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten. Die Grundsteuerreform hat z.B. die Zielsetzung den Immobilienbesitz zeitgemäßer zu bewerten und zu besteuern.
3. Sozialpolitische Aspekte:
- Förderung des Wohneigentums: In der Niedrigzinsphase und durch gestiegene Mieten galten die politischen Maßnahmen und Steuervergünstigungen im Bereich Immobilien dem Ziel, den Bürgern zu ermöglichen, Wohneigentum zu erwerben. Dies wird als wichtiges soziales und wirtschaftliches Ziel gesehen, um die Altersvorsorge zu sichern und soziale Stabilität zu fördern.
4. Komplexität und Verwaltung:
- Verwaltungstechnische Einfachheit: Die Besteuerung von Immobilien ist oft einfacher zu handhaben als die Besteuerung von Kapitalerträgen. Immobilienbesitz ist klar registriert und leicht nachzuverfolgen, während Kapitalerträge aus verschiedenen Quellen und internationalen Anlageformen stammen können und daher komplexer zu ermitteln sind.
5. Politische Einflussnahme und Maßnahmen:
- Auch die EU hat die Problematik erkannt und eine "Kleinanlegerstrategie" auf den Weg gebracht, die die Vermögensbildung über den Kapitalmarkt für Kleinanleger attraktiver machen soll.
Die Besteuerung von Kapitalerträgen wie ETFs trifft besonders Menschen, die monatlich nur geringere Summen zurücklegen können, da diese häufig nicht in der Lage sind, von den steuerlichen Vorteilen des Immobilienbesitzes zu profitieren. Zudem sind sie oft stärker auf die Renditen ihrer liquiden Anlagen angewiesen, um Vermögen aufzubauen. Eine mögliche Lösung zur Verbesserung der Situation könnte in der Einführung oder Ausweitung von steuerlichen Freibeträgen für Kapitalerträge oder speziellen Förderprogrammen für Kleinanleger liegen. Hierzu hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Reihe von Vorschlägen gemacht.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Brodesser