Frage an Carola Veit von Claudia S. bezüglich Jugend
Sehr geehrte Frau Veit,
sie haben in der Abstimmung zum neuen Hamburger Kinderbetreuungsgesetz mit ja gestimmt.
Bezüglich des Schutzes vernachlässigter Kinder geht mir persönlich dieses neue Gesetzt nicht weit genug.
Aufgrund der geänderten Gesetzeslage habe ich von meiner Kita einen neuen Betreuungsvertrag für meinen 3-jährigen Sohn erhalten. In diesem neuen Betreuungsvertrag bin ich aufgerufen den Nachweis des lückenlosen Untersuchungsheftes, für meinen Sohn, zu führen. In Absprache mit der Kita-Leitung (mit der ich vorher schon einen Betreuungsvertrag hatte), habe ich diesen neuen Betreuungsvertrag nicht unterzeichnet. Mit der Konsequenz, das ich keine Konsequenzen zu erwarten habe.
Ich denke, wir sollten unsere vernahlässigten Kinder vorrangig nicht in den Kitas suchen, denn dort haben wir geschultes, pädagogisches Personal, das Mittel und Wege beschreiten kann (und es auch tut) um betroffenen Familien zu helfen. Wir sollten unsere vernachlässigten Kinder an allen anderen Stellen suchen, da wo wir u.U. auch Jessica gefunden hätten.Was nützen Betreuungsverträge ohne weitergehende Konsequenzen. Warum kann der Nachweis des Untersuchungsheftes nicht dort verlagt werden, wo Kinderexistenzen bekannt sind. Bei der Behörde wird der Kindergeld-Antrag gestellt, warum kann nicht auch da der Nachweis verlagt werden?
In Kitas gehen Kinder dessen Eltern berufstätig sind (dank des neuen Gutscheinsystems ist er für alle anderen nicht mehr bezahlbar), wer "Glück" hat ist noch arbeitslos und hat von daher Anspruch auf einen Kita-Gutschein. Das heißt, das die Problem-Kinder nicht unbedingt in den Kitas auftauchen müssen.
Und wenn unseren Kinderärzten das Abrechnungssystem für die Vorsorgeuntersuchungen nicht genug finanziellen Handlungspielraum läßt, dann sollte die Vorsorgeuntersuchung vielleicht in den Mütterberatungsstellen installiert werden. Denn dort wird uns Müttern in allen Lebensbereichen mit Rat und Tat zur Seite gestanden und erfahrene Kinderschwestern haben ein sorgfältiges Auge, schon auf die Babies.
Ich habe mit meiner Mütterberatungsstelle in Bergedorf, jahrelang die besten Erfahrungen gesammelt. Und ich zähle mich zu den "normalen" berufstätigen Müttern, ohne nennenswerte Erziehungsprobleme. Die Mütterberatungsstellen, müssen finanziell und personell besser ausgestattet werden, denn das sind die Stellen die die Kinder der Region viel besser, weil persönlicher, erfassen können.
Wollen Sie, sehr geehrte Frau Veit, meine Sorgen und Wünschem, bezüglich unserer vernachlässigten Kinder ernst nehmen und mein Anliegen am Freitag im Familienausschuss vortragen?
Vielen Dank
Ihre Claudia Stelling
Sehr geehrte Frau Stelling,
Auch in Hamburg müssen – oftmals unbemerkt – Kinder in ihrer Familie unvorstellbares Leid erfahren. Zwar treten Kindesvernachlässigung oder –misshandlung in allen gesellschaftlichen Schichten auf, auch unabhängig von der Nationalität. Die Frage aber, ob Gefahren für Kinder und Jugendliche erkannt werden können und Hilfe sie erreicht, entscheidet sich neben der individuellen Situation der Eltern immer auch an gesellschaftlichen Faktoren: fehlende soziale Bindungen, Arbeitslosigkeit, ein verwahrlostes Wohnumfeld, schlechte Bildung.
Das Ziel des Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“ ist zum einen, der Vernachlässigung von Kindern von vornherein entgegenzuwirken, und zwar in erster Linie durch Verbesserung der präventiven Hilfen. Zum anderen soll aber auch erreicht werden, dass, wenn notwendig, schneller reagiert und Kindern geholfen werden kann, oder auch einfach nur, wie Sie es beschreiben, diese Kinder gefunden werden.
Die Mütterberatungsstellen, die Sie ansprechen, sind ein ganz wichtiger Baustein, auch wegen ihrer fachlichen Kompetenz durch Krankenschwestern und Ärzte. Sie haben völlig Recht, wenn Sie sagen, dass diese Art Hilfe vor Ort ausgebaut werden muss. Das ist auch unser Ziel. Daneben haben sich andere Hilfsangebote, wie z.B. das Familienhebammenprojekt, bewährt und soll ausgebaut werden. Wichtig ist dabei, dass diese Angebote auch entsprechend vernetzt sind, damit Familien, die besondere Probleme haben, zielgerichtet Hilfe bekommen. Es ist auch sinnvoll, Angebote zu bündeln, wie dies zum Beispiel in den Kinder- und Familienzentren (KiFaZ) geschieht. Uns ist aber klar, dass dabei, was in einem Stadtteil richtig sein, kann, woanders schon lange nicht klappt. So gesehen sind es weite Wege von Horn nach Marienthal, von Ottensen nach Othmarschen. Auch innerhalb Ihres Bezirkes, Bergedorf, sind ganz unterschiedliche Antworten und Konzepte richtig.
Sie haben natürlich Recht, wenn Sie ansprechen, dass Jessica keine Kita besuchte, dort also auch nicht auffallen konnte. Aber nun ist Jessica, so traurig es ist, ein Extremfall. Wir wissen, dass nicht nur etwa hundert Kinder im Jahr in Deutschland zu Tode misshandelt werden, wir wissen auch, dass jährlich viele Tausende Misshandlungs- und Vernachlässigungsfälle bekannt werden – und die Dunkelziffer ist immens. Die meisten besuchen auch Kindergarten oder Schule.
Und die Kindertagesstätten bieten schon auch gute Voraussetzungen dafür, gefährdete Lebenslagen von Kindern frühzeitig zu erkennen und kompetente Unterstützung zu organisieren, das haben Sie ja auch geschrieben. Kitas bekommen zunehmend die Funktion von niedrigschwelligen Anlaufstellen für Familien und bekommen so viele Auffälligkeiten und Probleme schon im frühen Stadium mit. Einige Kitas holen deswegen schon entsprechende Angebote ins Haus, z.B. Erziehungsberatung, Ärzte-Information usw.. So können auch Eltern erreicht werden, die Beratungsstellen nicht aufsuchen würden, wie Sie es zum Beispiel tun.
Durch die Regelung im neuen Kinderbetreuungsgesetz soll sichergestellt werden, dass bei allen Kindern, die in einer Kindertageseinrichtung angemeldet werden, ihre altersgemäße Vorsorgeuntersuchung oder eine entsprechende ärztliche Untersuchung durchgeführt wurde. Außerdem soll erreicht werden, dass die Eltern noch einmal deutlich auf die Schutzimpfungen hingewiesen werden.
Es stimmt: ohne Konsequenzen ist die Regelung ein ziemlich zahnloser Papiertiger. Ich greife Ihren Hinweis aber sehr gern auf und werde in einem ersten Schritt eine Schriftliche Kleine Anfrage zu dem Thema (Umsetzung der Regelung) stellen.
Die U-Untersuchungen, bzw. ihre lückenlose Durchführung, sind in der Tat wohl einer der wichtigsten Ansatzpunkte zur Vermeidung oder Erkennung von Vernachlässigung. Ärzte können solche Fälle erkennen. Oft verwehren die betroffenen Eltern ihren Kindern jedoch einen Arztbesuch, da die U’s ja bisher nur ein freiwilliges Angebot sind. Es ist ganz deutlich, dass die Teilnahme in sozial schwächeren Regionen deutlich geringer ausfällt. Hier wollen wir ansetzen.
Dies ist rechtlich nicht ganz einfach, weil eine Verpflichtung zur Teilnahme zunächst einmal alle Eltern unter „Generalverdacht“ stellt; außerdem müsste dann aus rechtlichen Gründen der Staat für die Kosten aufkommen (statt, wie bisher, die Krankenkassen).
Wir wollen, dass dann angesetzt wird, wenn Eltern die U’s mit Ihren Kindern nicht wahrnehmen. Das lässt sich über Einbeziehung der Kassen oder der Kassenärztlichen Vereinigung kontrollieren, aber so weit sind wir leider noch nicht. Das Wichtigste ist natürlich, dass dann nicht nur die Eltern angeschrieben und gemahnt werden, sondern auch tatsächlich etwas passiert, z.B. vonseiten des Jugendamts.
Daneben ist aber auch eine noch größere Sensibilisierung der Kinder- und Jugendärzte notwendig.
Sehr geehrte Frau Stelling, bei weiteren Fragen zögern Sie nicht, mir diese zu stellen. Gern nehme ich auch weitere Anregungen auf.
Mit freundlichen Grüßen
Carola Veit
Sehr geehrte Frau Stelling,
zu Ihrer Frage bezüglich "Gesundheitsvorsorge-Nachweis in den Kitas" gebe ich Ihnen gern ergänzend noch folgende Auskunft:
Die Gesundheitsvorsorge-Bestimmungen des § 4 Hamburger Kinderbetreuungsgesetz, wo u.a. die Vorlage des U-Heftes geregelt ist, werden erst zum 01.01.2006 in Kraft treten.
Für die Umsetzung (also die Frage nach der Umsetzung dieser Regelung, Konsequenzen u.s.w.) wird der Senat noch eine Rechtsverordnung erdenken.
Ungeachtet dessen sind die Einrichtungen im Gutschein-System nach dem "Landesrahmenvertrag" vom 13.6. d.J., dem sie unterliegen, verpflichtet, die Nachweise abzufordern und dieses auch zu dokumentieren. Mehr Weisungen an die Kitas gibt es aber halt noch nicht.
Ich denke, man wird sehr sorgfältig überlegen müssen, wie man weiter verfährt, wenn die Nachweise nicht erbracht werden. Sinnvoller als Repressionen ist hier möglicherweise ein Anreiz-System, das Eltern ermuntert, die so wichtigen Arzt-Besuche mit ihren Kindern auch wirklich wahrzunehmen.
Ein vernünftiger Ansatz scheintmir z.B. auch die Durchführung von "Gesundheitstagen" in den Einrichtungen. Sicherlich gibt es viele, viele Kinder, deren Eltern sich verantwortungsbewußt um ihren Nachwuchs kümmern und die dies weniger "brauchen". Aber letztlich gilt hier doch das, was auch bei den zahnärztlichen Reihenuntersuchungen und Informationsveranstaltungen in den Kindergärten richtig ist: es schadet nicht, und es zeigt auch den Kleinen, wie wichtig die eigene Gesundheit ist und wieviel man dafür tun kann.
Mit freundlichem Gruß,
Carola Veit