Frage an Carlos A. Gebauer von F. H. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Gebauer,
wie stehen Sie zum Thema Trennung/Scheidung & zu gleichberechtigter Elternschaft? Wie wollen Sie die Europarat-Resolution 2079/15 umsetzen, die -nach Auswertung eines breiten Forschungsstandes- alle authorities zum Handeln auffordert? Werden Sie für Doppelresidenz eintreten? Sehen Sie Bezüge zu Art. 7.1 UN-Kinderrechtskonvention?
Unterstützen Sie auch das nicht-konsensuale Doppelresidenzmodell oder soll nur das Residenzmodell erzwingbar sein? Mediation ist nach § 156 FamFG mit Zwangsmitteln nicht erzwingbar. Das Familienrecht ist streitwertorientiert. Z.B. ist weder im GKG noch in der ZPO Mediation in der PKH vorgesehen. Soll‘s so bleiben? Wie kann die Politik Rahmenbedingungen schaffen u. nach Vorbild Schwedens etc. die Resolution umsetzen? Soll für Kinder in EUropa die Chance auf beide Eltern von Staatsangehörigkeit abhängen?
Ist das Wechselmodell, wie manche behaupten, etw. für Besserverdienende? Soll die Einkommensstärke eine Rolle spielen? Wie wollen Sie Umverteilungskämpfe auf dem Rücken der Kinder vermeiden? Ist die Eingruppierung in Singles/Alleinerziehende adäquat? Hat ein 20-j. Single in einer WG ähnliche Belastungen wie ein getrennt erziehender Elternteil, der den vollen Kindesunterhalt zahlt u. Ausgaben für das Kind während des "Umgangs" hat? Brauchen Singles Kinderzimmer? Wie viele Getrennterziehende gibt‘s in Deutschland? Wo sehen Sie Reformbedarf „im ungeliebten Aufgabenfeld der Jugendämter“? (S. u.a.: Trennung-Scheidung-Co-Elternschaft –Zur Rolle und Aufgabe der Jugendämter in einem ungeliebten Aufgabenfeld, in: Jugendhilfereport–Fachzeitschrift d. Landesjugendamtes Rheinland/1.2015)
Wie bewerten Sie das Ziel der Petra-Studie zu Kindeswohl & Umgangsrecht im Lichte des Forschungsstandes? Ist annehmbar, dass das Kindeswohl dt. Kinder sich von dem schwed. & anderer Kinder signifikant unterscheidet? Sind Unterschiede zw. Bayern & Duisburg kleiner/größer als zw. Deutschland & Schweden? Ist Kindeswohl national?
MfG
Sehr geehrter Herr H.,
das ist eine große Vielzahl von Detailfragen, die Sie einem Nicht-Familienrechtler stellen. Ich antworte Ihnen daher mit der Beschreibung einer Generallinie, die meine Auffassung zum Thema insgesamt, denke ich, am ehesten umreißt.
Es gibt einen primären Freiheitsraum der Familie, in den sich ein Staat nicht einzumischen hat. Dieser Freiheitsraum ist aber - wie stets, so auch hier - mit Aufgaben und Lasten für alle diejenigen verbunden, die sich auf diesen Freiheitsraum berufen wollen. Nach meinem ethischen Verständnis ist es die Verantwortung der Eltern, im Falle ihrer Trennung tragfähige Lösungen für ihr Kind bzw. ihre Kinder untereinander auszuhandeln, zu vereinbaren und dann auch umzusetzen. Kein Europarat, kein Gesetzgeber und auch kein Richter kann die spezifischen Besonderheiten einer jeden einzelnen Familie auch nur annähernd so kennen und verstehen wie die betroffenen Eltern selbst. Es ist also an ihnen, für ihre Kinder das Richtige zu tun. Das politische Formulieren von Begriffen und Modellen, von Resolutionen und Gesetzen hilft nicht, wenn es um die ganz konkrete Frage geht: Was ist für dieses Kind in dieser Situation jetzt gut und was nicht? Die zwangsweise Ersetzung und Durchsetzung von Entscheidungen durch Behörden und Gerichte kann daher m.E. nur die absolut letzte ultima ratio sein. Was ein Fremder vorgibt, greift immer in den spezifischen Kontext einer Familienstruktur ein. Ein kluger Therapeut und auch ein kluger Richter sollten daher am ehesten nach der sokratischen Maieutik vorgehen und mit den Eltern nach deren Lösung suchen. Und weil Kinder in allen Ländern der Welt Eltern brauchen, gilt das in Duisburg ebenso wie überall. Wer ohne politische Hilfe Kinder in die Welt setzen kann, der sollte sie auch ohne politische Hilfe erziehen können.
Mit freundlichen Grüßen
Carlos A. Gebauer