Frage an Brigitte Pothmer von Ulrich F. bezüglich Umwelt
Sehr verehrte Frau Pothmer,
was sagen Sie eigentlich zu dem kürzlich in der Hannoverschen Allgemeine Zeitung (HAZ)erschienenen Artikel "Der neue Sprit, ein grünes Kuckucksei" ?
Dort kann man u.a. lesen:
> Die Gesamtökobilanz falle schlechter als die für normalen Kraftstoff aus ...
> Für die Produktion von Ethanol, das aus Weizen, Roggen und Zuckerrüben gewonnen werde, werde wertvolles Ackerland umgewandelt ...
> Zudem sei der Energieaufwand zur Herstellung von E10 sehr hoch und der intensive Anbau von Energiepflanzen für Ethanol und Agrardiesel lasse sich nur mit viel Dünger bewerkstelligen, dessen Stickstoffanteil klimaschädliches Lachgas in die Atmosphäre bringe...
Meine Frage: Halten sich die Grünen für Umweltbelange eigentlich noch für zuständig ?
Ich vermisse jedenfalls ihren (und Ihren) lauten Protest gegen diesen groben Unfug.
Sehr geehrter Herr Frase,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Auch ich habe den Artikel in der HAZ vom 28.12.10 gelesen und kann Ihre kritischen Fragen gut nachvollziehen. So wie Sie haben auch wir Grünen Bedenken hinsichtlich der Erhöhung der Beimischung des Ethanolanteils in Ottokraftstoffen auf 10 Prozent und fordern sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene Verbesserungen und ergänzende Strategien.
Die Erhöhung des Anteils ab 2011 geht auf eine EU-Richtlinie zurück und ist daher für die Mitgliedsstaaten bindend. Ziel der EU ist es, damit einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten und die Abhängigkeit Europas vom Erdöl zu reduzieren. Dieses Ziel unterstützen wir natürlich grundsätzlich.
Für uns Grüne muss jedoch der Anbau von Biomasse zur Energiegewinnung umwelt- und sozialverträglich ausgestaltet sein. Wenn also Urwaldflächen für Bioenergien abgeholzt oder wenn Menschen vertrieben werden, kann das nicht toleriert und muss gestoppt werden.
Seit dem 1. Januar 2011 gilt zwar für Biokraftstoffe die Nachhaltigkeitsverordnung, die sicherstellen soll, dass nur unter Beachtung verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards hergestellte Biokraftstoffe steuerlich begünstigt oder auf die Biokraftstoffquote angerechnet werden können. Ob diese Regelung ausreicht, muss allerdings bezweifelt werden, denn es wird durch sie z. B. die Verdrängung bestehender Ackersysteme nicht ausreichend berücksichtigt.
Kritisch bewerten wir darüber hinaus, dass der Beimischungszwang die mittelständischen Pflanzenölerzeuger in Deutschland als Lieferanten ausbootet. Anstelle deutscher Pflanzenölmühlen profitieren große Mineralölkonzerne, die nun den billigsten Kraftstoff importieren.
Bioenergien können aber nicht für alle Fehlentwicklungen im Naturschutz und in der internationalen Landwirtschaft verantwortlich gemacht werden. So sind beispielsweise in Brasilien u. E. nicht die Biokraftstoffe das Hauptproblem, sondern der rasant steigende Flächenbedarf für die Fleischproduktion und insbesondere hier der Sojaanbau. Solange nicht wirklich nachhaltig gewirtschaftet wird, sondern ökologische und soziale Belange nachrangig behandelt werden, wird sich das Spannungsverhältnis zwischen Klimaschutz, Ernährungssicherheit und Naturschutz nicht völlig auflösen.
Eine deutliche Entschärfung ist aber aus unserer Sicht möglich und dafür setzen wir uns ein.
Dafür bedarf es erstens dringend einer international anerkannten Zertifizierung mit verbindlichen ökologischen und sozialen Standards. Den Import von Biotreibstoffen, der mit dem Raubbau am Regenwald einhergeht, lehnen wir entschieden ab, ebenso wie die Produktion von Futtermitteln auf diesen Flächen. Wir fordern daher auf europäischer und nationaler Ebene verschärfte ökologische und soziale Kriterien für Bioenergien.
Zweitens müssen Bioenergien effizienter genutzt werden. So könnte z. B. durch den Einsatz von Biogas in Autos die Fahrleistung im Vergleich zu Biodiesel oder Bioethanol deutlich erhöht werden. Außerdem wollen wir verstärkt Abfall- und Reststoffe aus der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie anstelle von Agrarprodukten nutzen. Wir setzen dabei auf neue Technologien wie die Bioraffinerie. Bioraffinerien machen nicht nur den bisherigen Herstellungsweg von Bioethanol über Rüben oder Getreide überflüssig, sie produzieren außerdem Rohstoffe für die Chemie- und Kunststoffindustrie. So erschließt sich ein bislang ungenutztes Rohstoffpotenzial.
Auch im Straßenverkehr gibt es drittens viele Möglichkeiten, den Spritverbrauch deutlich zu reduzieren. Stichworte sind die Elektrifizierung (anfangen mit Hybriden über Plug-In-Hybride bis zum batterieelektrischen Fahrzeug), Leichtbau, "Downsizing" der Motoren, Leichtlaufreifen usw. Diese Maßnahmen besitzen ein weitaus höheres Potenzial zur Senkung von Treibhausgasen als die Beimischung von Biokraftstoffen.
Wir Grünen engagieren uns in allen genannten Themenfeldern. Im Detail können Sie sich darüber gerne auf unserer grünen homepage http://www.gruene-bundestag.de informieren.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Pothmer