Frage an Brigitte Lösch von Hans-Joachim G. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Wie stehen Sie zur Auseinandersetzung um die Arbeitszeiten, z.B. im öffentlichen Dienst oder in der Metallindustrie? Die von den Regierenden und den Konzernen favorisierten Konzepte mit Lohnabbau, Senkung von Lohnnebenkosten und Verlängerung der Arbeistzeiten schaffen ganz offensichtlich keine Arbeitsplätze. Was halten Sie von weiterer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich?
Herzlichen Dank für ihre Frage, die keine einfache Antwort wie Ja und Nein zulässt, weil sie sich doch eigentlich mit der Frage beschäftigt, wie wir die Arbeitslosigkeit bekämpfen und wieder mehr Menschen in Arbeit bringen können.
Und da gibt es keine einfachen Antworten.
Auch die Einführung der 38,5 Stunden Woche hatte nicht die gewünschten Arbeitsplätze geschaffen, sondern vor allem viele Überstunden und verdichtete Arbeitsabläufe geschaffen. Ich bezweifle, dass durch AZV bei vollem Lohnausgleich Arbeitsplätze geschaffen werden, da ja auch die Lohnnebenkosten für die Unternehmen steigen, und warum sollen die dann zusätzliche Arbeitsplätze schaffen ?
Grundsätzlich brauchen wir eine Diskussion um eine andere Verteilung von Arbeit. Um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und Männer zu ermöglichen müssen die Möglichkeiten für Teilzeitarbeit auch für Männer verbessert werden.
Auch von der Annahme, alle Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, müssen wir uns endlich verabschieden, wir brauchen einen neuen Ansatz zu einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor - aber nicht auf 1 Euro Basis und auch nicht durch Kombilohnmodelle.
In keinem anderen Land ist der zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen so hoch wie bei uns. Zugang zur Bildung ist heute die Grundvoraussetzung um Soziale Gerechtigkeit herzustellen. So gibt es beispielsweise bei qualifizierten Arbeitsplätzen einen Arbeitskräftemangel, hier hilft nur Verbesserung im Schul-Weiterbildungs und Ausbildungssektor.
Arbeitszeitpolitik ist nach wie vor meist stets fixiert auf den Mann als Alleinverdiener, der vier oder fünf hungrige Mäuler stopfen muss. In vielen Haushalten gibt es heute zwei Einkommen, die Spielräume für eine solidarische Umverteilung von Zeit und Geld wachsen auch in der Facharbeiterschaft.
Die Aufforderungen von PolitikerInnen die Lösung des Arbeitslosenproblem nur durch Mehrarbeit zu lösen sind genauso kontraproduktiv wie der Reflex, jede Idee abzulehnen, die Lohneinbußen bedeuten würde. Betriebliche Beispiele wie VW oder Opel zeigen, dass die "kurze Vollzeit für alle", wie sie der Bremer Arbeitswissenschaftler Helmut Spitzley nennt, zu einem neuen Arbeitszeit-Standard werden könnte. Sie wäre im Idealfall keine starre Norm, sondern ein Durchschnittswert, der je nach persönlichen Wünschen und wirtschaftlichen Verhältnissen umkreist werden kann.
Das bedeutet ein Umdenken für diejenigen, die bisher meist einförmige "Rasenmäher-Lösungen" bevorzugten. Der Familienlohn für den männlichen Ernährer spukt in den Tarifverhandlungen noch im Kopf herum. Natürlich gibt es Menschen mit so niedrigem Verdienst, dass weniger Arbeiten nicht in Frage kommt. Natürlich haben Alleinlebende und Alleinerziehende geringe Spielräume, auf Geld zu verzichten, weil sie sich nicht auf einen zweiten Verdiener stützen können.
Aber eine kreative Arbeitszeitpolitik bietet differenzierte Antworten auf diese Individualisierung: Kein Lebensentwurf kann mehr alleiniger Maßstab für "Normalität" sein.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Lösch