Frage an Bilkay Öney von Bernd K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Liebe Bilkay Öney,
parallel zur Wahl des Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen wird am 17. über eine Verfassungsänderung entschieden. Diese Veränderung betriff die Regelung der Volksbegehren und Volksentscheide und würde eine Liberalisierung dieser Regelungen für Berlin bedeuten.
Ich begrüsse die Neuregelung, da sie die Möglichkeiten der Bürger verbessert, unmittelbar Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess zu nehmen. Zu oft habe ich den Eindruck, dass Belangen und Überzeugungen, die außerhalb der Politik entstehen, kaum die Gelegenheit eröffnet wird, Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.
Ich denke, dass dies durch den mühsamen politischen Entscheidungsprozesse in den Parteien und Parlamenten bedingt ist, aber auch durch das bestreben der Parteien ihren politischen Einfluß zu erhalten (Natürlich bin ich mir auch bewusst, dass demokratische Entscheidungsverfahren sich immer durch eine gewisse Zähigkeit auszeichnen).
Dadurch wird politische Partizipation verhindert, der Einzelne von der Politik entfernt und wertvoller Input nicht in den politischen Entscheidungsprozeß integriert.
Nachdem ich jetzt lang und breit meine Position geschildert habe, komme ich nun (endlich) zu meinen Fragen:
1.) Inwieweit setzen sich die Grünen mit dem Problem auseinander, dass politische Belange, die außerhalb der Parteien entstehen, kaum in den innerparteilichen Willensbildungsprozeß integriert werden (können)? Gibt es Pläne für "Volksbegehren" und "Volksentscheide" auf Parteiebene als Mittel einer "direkten innerparteilichen Demokratie"?
2.) Ich kann nicht verstehen, dass dem Wähler nicht die Möglichkeit eingeräumt wird, wie das etwa in Bayern der Fall ist, die Rangfolge der Parteilisten bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus zu bestimmen und wie stehen die Grünen zu diesem Vorschlag?
Noch viel Kraft und viel Erfolg im Wahlkampf!
Bernd Krippner
Sehr geehrter Herr Krippner, vielen Dank für Ihre anregenden Fragen. Ich stimme mit Ihnen überein, dass Parteien nicht das Monopol auf politische Willensbildung haben. Gerade angesichts der Probleme, die wir in Berlin haben, können wir es uns gar nicht leisten, die Potenziale jenseits der Parteien auszuklammern. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen ist aus verschiedenen Bewegungen hervorgegangen und weiterhin mit ihnen verbunden. Bürgerinitiativen, Projekte und Vereine finden bei uns Gehör und in den thematischen Landesarbeitsgemeinschaften unserer Partei arbeiten viele Menschen mit, die keine grünen Parteimitglieder sind. Für eine Veränderung des Wahlrechts, die den Wählerinnen und Wählern Einfluss auf die Rangfolge der Listen gibt, haben sich die Grünen bereits in Bremen und in Hamburg stark gemacht. Grundsätzlich kann ich mir das auch für Berlin vorstellen - der Diskussionsprozess dazu ist in unserer Landespartei allerdings noch nicht abgeschlossen. Am besten wäre es, wenn die Berlinerinnen und Berliner selbst entscheiden, ob sie eine entsprechende Wahlrechtsreform wollen, oder ob ihnen der Stimmzettel durch zusätzliche Optionen zu lang und kompliziert wird. Darum würde ich es sehr begrüßen, wenn es ein entsprechendes Volksbegehren gibt, mit dem das Thema auch in der Öffentlichkeit breiter diskutiert werden würde - jenseits von Parteilinien. Bisher haben wir uns in Berlin vor allem dafür stark gemacht, die Bedingungen für direktdemokratische Entscheidungsverfahren zu verbessern. Mit einigem Erfolg: Mit unserer kräftigen Mitwirkung wurden Einwohnerinitiativen, Büurgerbegehren und Bürgerentscheide in den Bezirken eingeführt. Und wir haben dafür gesorgt, dass jetzt am Wahltag abgestimmt werden kann über deutliche Verbesserungen der Bedingungen für Volksbegehren und Volksentscheide. In Sachen direkte Demokratie war das Land Berlin bisher Schlusslicht - dies zu verändern war daher bisher der Schwerpunkt unserer Demokratiepolitik. Auch wenn die am Wahltag zur Abstimmung stehende Verfassungsänderung ein Meilenstein zur Belebung der Demokratie ist - das Ende des Weges ist das für uns Grünen noch lange nicht. Zunächst werden wir darauf achten, dass die Intention der Verfassungsänderung, Volksbegehren zu erleichtern, nicht durch das Wahlgesetz unterlaufen wird: Es reicht nicht, die Listen auf irgendwelchen Ämtern auszulegen - die Bürgerinitiativen müssen die Möglichkeit zur freien Sammlung haben. Langfristig werben wir für eine weitere Absenkung der Hürden. Aber auch in anderen Bereichen wollen wir die demokratische Teilhabe der Berlinerinnen und Berliner stärken. Wir wollen z.B. das Akteneinsichtsrecht der BürgerInnenund die Transparenz der Verwaltung stärken, das Wahlrechtsalter auch für die Abgeordnetenhauswahlen auf 16 senken und die Mitwirkungsmöglichkeiten von nichtdeutschen Berlinerinnen und Berlinern stärken (Förderung von Einbürgerung, Stärkung der Migrationsbeiräte in den Bezirken, Festhalten an der Forderung nach kommunalem Ausländerwahlrecht, wofür allerdings das Grundgesetz geändert werden müsste). Weiterhin werden wir uns dagegen wehren, dass Posten in Aufsichtsräten von Unternehmen, die Berlin gehören oder an denen das Land beteiligt ist, nach Parteibuch statt nach Kompetenz vergeben werden. Für weitere Ideen zur Stärkung der Demokratie werden die Grünen immer offen sein.
Beste Grüsse
Bilkay Öney