Frage an Aydan Özoğuz von Ben A. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Özoguz,
wie auch in der Klimakrise steht die ganze Welt momentan in der Verantwortung, sich gemeinsam aus der Pandemie zu manövrieren. Alleingänge bringen eine Nation gerade in dieser besonderen Zeit nicht weiter. Mit den Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 haben wir schnell ein wichtiges Puzzleteil in der Pandemiebekämpfung geschaffen.
Nun zeigt sich allerdings wieder die besorgniserregende Politk der Pharmaindustrie. Wie auch bei den vernachlässigten Tropenkrankheiten („Obwohl rund 90 Prozent der vermeidbaren Todesfälle durch vernachlässigte Tropenkrankheiten in Entwicklungsländern auftreten, werden nur etwa zehn Prozent der weltweiten medizinischen Forschungsmittel für die Entwicklung von [...] Testverfahren, Medikamenten und Impfstoffen ausgegeben.” - BMZ), zeigen sich auch in der Verteilung der Corona-Impfstoffe große globale Disparitäten. Wie der Chef der WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, kürzlich festgestellt hat, „haben drei Viertel der Impfungen bisher in zehn Ländern stattgefunden, die zusammen 60 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung ausmachen. In fast 130 Ländern mit mehr als 2,5 Milliarden Einwohner:innen ist noch nicht eine einzige Impfdosis verabreicht worden.”
Hauptgrund hierfür ist, dass die Impfstoff-Patente nicht für alle freigegben werden. Produktionskapazitäten und die Anzahl der Impfstoffe könnten mit einer Freigabe enorm angehoben werden. Neben Südafrika und Indien unterstützen unter anderem die Hälfte der Mitglieder der WTO sowie die UN-Menschenrechtskomission diese Forderung. Die Bundesregierung verschließt sich trotz eindeutiger Fakten dieser Forderung.
Eine Ausbreitung des Corona-Virus wird auch weiterhin Mutationen zur Folge haben, die wir nur durch eine globale Herdenimmunität besiegen können.
Welche expliziten Schritte planen Sie und ihre Partei, um unserer globalen Verantwortung gerecht zu werden und endlich die Patente für die Impfstoffe schnell für alle verfügbar zu machen?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr A.,
vielen Dank für Ihr Schreiben zu diesem wichtigen Thema! Es wird regelmäßig betont, dass COVID-19 zahlreiche Missstände weiter verschärft hat. Dies gilt ganz besonders für globale Disparitäten: Die Anzahl an Menschen in extremer Armut, also mit weniger als 1,90$ am Tag, ist 2020 erstmals seit 22 Jahren wieder gestiegen – um bis zu 115 Millionen (https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/GHRP_ProgressReport_17NOV.pdf). Solch drastische Entwicklungen beobachten wir zudem im Bildungssystem, bei der Ernährungssicherheit, bei der Wohlstandsverteilung und in vielen weiteren Bereichen. 80 Millionen Kinder unter einem Jahr laufen Gefahr, wichtige Impfungen gegen Krankheiten nicht zu erhalten. Erfolge im Gesundheitssektor aus der Zeit vor COVID-19, etwa im Kampf gegen HIV, Malaria und Tuberkulose, könnten unter anderem dadurch verloren gehen.
Als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss sowie im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe verfolge ich diese negativen Dynamiken mit großer Sorge. Und ich teile Ihren Standpunkt, dass alle Menschen dieser Welt Zugang zu Impfstoff gegen COVID-19 brauchen, aus humanitärer Überzeugung sowie schlicht für eine effektive Eindämmung der Pandemie. Gemeinsam mit Kollegen setze ich mich daher dafür ein, alle Länder bei der Bekämpfung mit zu berücksichtigen.
Hierfür müssen alle Maßnahmen, die uns diesem Ziel näher bringen könnten, auf den Tisch -einschließlich die Freigabe von Patenten. Jedoch zeigen aus meiner Sicht die derzeit vieldiskutierten Herausforderungen bei der Impfstoffproduktion und –lieferung, dass die Thematik hochkomplex ist. Die Freigabe allein erreicht nichts, wenn andere Unternehmen die Impfstoffe nicht produzieren können oder die Bereitstellung dann zum Beispiel an deren Kühlung scheitert. Zudem gehen Unternehmen wie BIONTECH/Pfizer von sich aus Kooperationen ein, deren Aufbau aber Zeit in Anspruch nimmt. Aus diesem Grund bin ich überzeugt, dass es aktuell vor allem auf die weltweite Koordinierung und Intensivierung bestehender Maßnahmen ankommt.
Hierbei gehörte die Bundesregierung von Beginn an zu den treibenden Kräften multilateraler Zusammenarbeit im Kampf gegen das Virus. Bereits im April 2020 wurde das Programm Access to COVID-19 Tools (ACT) Accelerator ins Leben gerufen. Es bringt unterschiedlichste Akteur:innen aus der Wissenschaft, der Politik und der Wirtschaft zusammen. Dem Impfprogramm von ACT-Accelerator, COVAX, gehören neben der Impfallianz Gavi, der Weltgesundheitsorganisation und der Forschungsallianz CEPI auch bislang 97 Staaten an (https://www.who.int/initiatives/act-accelerator). Zwei Milliarden Dosen Impfstoffe sollen eingekauft und global gerecht verteilt werden. Ende Februar wird die Impfstoffversorgung in 18 Pilotländern anlaufen. 92 Staaten werden darüber hinaus über finanziell bei der Beschaffung von Impfstoff unterstützt.
Die Bundesrepublik ist mit 675 Millionen Euro die drittgrößte Beitragszahlerin von ACT-Accelerator (https://www.who.int/initiatives/act-accelerator/funding-tracker) und stellt darüber hinaus 300 Millionen Euro an zusätzlicher humanitärer Hilfe aufgrund von COVID-19 bereit (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/gesundheit/covax/2395748). Die EU unterstützt COVAX zusätzlich mit 400 Millionen Euro. Neben diesem finanziellen Engagement werde ich, wie die gesamte SPD-Bundestagsfraktion, weiter auf die politische Unterstützung dieser wichtigen Maßnahmen drängen.
Mit freundlichen Grüßen
Aydan Özoğuz, MdB