Frage an Arno Rademacher von Gregor M. bezüglich Staat und Verwaltung
Können Sie bitte erklären, warum bei den "Die Friesen" die 5% Sperrklausel angesetzt werden soll, wenn die Friesen seit 10 Jahren eine anerkannte Minderheit sind?
Warum wurde dann der EU Beschluß oder das Gesetz nicht umgesetzt?
Ich würde, als Nichtwähler, gerne meine Stimme Ihrer Partei geben. Aber diese Frage hätte ich gerne geklärt.
Moin Herr Mühlenkamp,
Sie sprechen einen Sachverhalt an, den wir auch nicht verstehen können. Ich erlaube mir, ein wenig auszuholen, damit auch andere Leser, die mit dieser Thematik nicht oder nur wenig vertraut sind, verstehen können, worum es eigentlich geht.
Der Europarat hat ein Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten getroffen, u.a. weil "der Schutz nationaler Minderheiten für Stabilität, demokratische Sicherheit und Frieden auf diesem Kontinent wesentlich ist". Die Bundesrepublik Deutschland hat dieses Übereinkommen am 10.09.1997 ratifiziert; damit ist es am 01.02.1998 in Kraft getreten.
Laut Artikel 25 dieses Rahmenübereinkommens war die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, "dem Generalsekretär des Europarats vollständige Informationen über die Gesetzgebungsmaßnahmen und andere Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der in diesem Rahmenübereinkommen niedergelegten Grundsätze getroffen hat" innerhalb eines Jahres zu über- mitteln. Das ist mit dem "Erster Bericht der Bundesrepublik Deutschland." im Jahre 1999 erfolgt.
In diesem Bericht legt die Bundesrepublik u.a. fest, wer unter den Schutz des Rahmenübereinkommens fallen soll: es sind dies die dänische Minderheit in Schleswig Holstein, die Sorben in Brandenburg und Sachsen, die Sinti und Roma als nicht gebietsansässige Minderheit und die Volksgruppe der Friesen, die in Schleswig-Holstein und Niedersachsen beheimatet sind.
Die Friesen sind sogar einzeln aufgeführt: die Nordfriesen, die Ostfriesen und die Saterfriesen. Bei den Ostfriesen heißt es beispielsweise: "Ostfriesland wird überwiegend noch von Menschen ostfriesischer Herkunft bewohnt. Obwohl die friesische Sprache hier ausgestorben ist, wird eine ostfriesische - kulturelle - Identität bei der Mehrheit der zwischen der niederländischen Grenze und der Weser lebenden Menschen Ostfrieslands weiter gepflegt. Die Friesen in Ostfriesland eint ein Gefühl gemeinsamer Geschichte und Kultur, das sich in einer regionalen Identität ausdrückt."
Es besteht also kein Zweifel, dass die Ostfriesen aufgrund ihrer eigenen Kultur und Geschichte - ungeachtet des Verlustes der friesischen Sprache! - unter den Schutz des Rahmenübereinkommens des Europarates fallen. Allerdings soll sich die Mehrheit der Friesen gegen die Bezeichnung "Nationale Minderheit" ausgesprochen haben, weshalb man sich auf den Begriff "Friesische Volksgruppe" geeinigt hat.
Die Bundesrepublik hat auch festgelegt, wer denn eigentlich Angehöriger einer der durch das Rahmenübereinkommen geschützten Gruppen ist: "Die Zugehörigkeit zu einer der vom Rahmenübereinkommen geschützten Gruppen ist somit die persönliche Entscheidung eines jeden einzelnen, die vom deutschen Staat nicht registriert, überprüft oder bestritten wird.".
Aus dem Rahmenübereinkommen ergeben sich für die Friesen bestimmte Sonderrechte, die uns auf Bundesebene auch zugestanden worden sind. Dazu gehört u.a. die Befreiung von der Sperrklausel, die man nach den Erfahrungen mit der Weimarer Republik in das Wahlgesetz aufgenommen hat. Diese Sperrklausel besagt: "Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten" (5%- Hürde). Im Bundeswahlgesetz gilt für Parteien nationaler Minderheiten folgende Regelung: "Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung."
Ähnliche Regelungen finden wir in den Landeswahlgesetzen von Schleswig Holstein (Dänen und Friesen) und Brandenburg (Sorben). Nur in Niedersachsen haben es die verschiedenen Landeregierungen seit 1998 nicht verstanden, einen entsprechenden Passus aus eigenem Antrieb und in Kenntnis des Vorhandenseins einer nationalen Minderheit in das Wahlgesetz aufzunehmen.
Darum haben wir den Präsidenten des Niedersächsischen Landtages und alle im Landtag vertretenen Fraktionen aufgefordert, dieses Versäumnis auf der letzten Sitzung dieser Legislaturperiode am 16. Januar 2008 (also noch vor der Landtagswahl) in das Landeswahlgesetz aufzunehmen. Am 17. Januar werden wir dann wissen, wie genau es die derzeitigen Abgeordneten mit der Aufforderung von Willy Brandt und Angela Merkel nehmen: "Mehr Demokratie wagen!".
Noch einmal zur Verdeutlichung: wir fordern keine "Extrawurst", sondern lediglich ein Recht vom Land Niedersachsen, das die Bundesrepublik uns bereits zugestanden hat! Beschließt der Landtag diesen Passus nicht (worauf im Moment alles hindeutet), dann bleibt uns nur, den Klageweg zu beschreiten und unser verbrieftes Recht gerichtlich durchzusetzen. Dabei schrecken wir auch vor einer Anfechtung der Landtagswahl nicht zurück!
Vielleicht sollten Sie diese Frage auch den anderen Abgeordneten bzw. Kandidaten aus unserer Region stellen; es ist bestimmt interessant, was diese Damen und Herren dazu ausführen.
Mit freundlich-friesischen Grüßen,
Arno Rademacher
Bundesvorsitzender