Was ist Ihre Meinung zum neuen Pandemievertrag und zu den neuen Internationalen Gesundheitsvorschriften?
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank für Ihre Frage, in welcher Sie die aktuellen Verhandlungen zur Reform der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) und eines künftigen Pandemievertrages bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) thematisieren.
Die Covid-19-Pandemie hat sehr deutlich gemacht, dass Viren nicht an Grenzen halt machen und wie wichtig es ist, grenzüberschreitenden Gesundheitsrisiken gemeinsam und global zu begegnen. Denn in einer Pandemie ist niemand sicher ist, solange nicht alle sicher sind. Das internationale Gesundheitskrisenmanagement muss daher dringend gestärkt werden, um künftig besser auf internationale Krankheitsausbrüche mit pandemischem Potenzial reagieren zu können. Für uns in der SPD-Bundestagsfraktion bedeutet dies insbesondere höhere globale Investitionen in Pandemieprävention und -vorsorge und auch die weltweite Stärkung von Gesundheitssystemen, die Ausbildung und die Bereithaltung von Fachpersonal sowie den Auf- und Ausbau von Laborkapazitäten. Die Pandemie hat zudem gezeigt, dass die Schnittmenge von Mensch- und Tiergesundheit sowie Ökosystemen mehr Beachtung finden muss, um die Übertragung von Zoonosen mit pandemischem Potenzial durch Wild- und Nutztiere zu verhindern.
Aus Perspektive der SPD-Bundestagsfraktion ist es das Ziel der aktuellen Verhandlungen bei der WHO, diese Lücken in der internationalen Pandemievorsorge zu schließen. Es sind wichtige Schritte erforderlich, um sicherzustellen, dass die WHO ihre Mitgliedsstaaten etwa noch schneller als bisher vor Gefahren warnen oder sie noch besser bei der Vorbereitung auf Gesundheitskrisen – z.B. durch die Verbesserung von Meldeketten und den optimierten Austausch von Informationen und Daten unterstützen kann. Es geht zudem darum, dass globale Lieferketten auch in einer Krise funktionieren und u.a. Impfstoffe, Therapeutika und Diagnostika weltweit gerecht verteilt werden. Menschen müssen überall auf der Welt die besten Möglichkeiten der Vorbeugung, des Schutzes und die bestmögliche Gesundheitsversorgung haben. Dazu gehört auch, Mechanismen zu vereinbaren, die zielgerichtete Forschung und Entwicklung global stärken.
In den aktuellen Verhandlungen sind insoweit zwei Prozesse zu unterscheiden: Die IGV adressieren sämtliche Gesundheitsgefahren (z.B. auch chemische und radiologische) und sind als sog. „Regulations“ der WHO ein eigenes völkerrechtliches Instrument, das durch die Weltgesundheitsversammlung (WHA) erlassen und angepasst werden kann. Staaten, die gegen Änderungen sind, können bei einer Annahme durch die WHA aktiv ihre Nichtteilnahme vorbringen (vgl. Art. 21 ff. WHO-Verfassung). Da der Anwendungsbereich der IGV jedoch begrenzt ist, lassen sich nicht alle Lehren aus der Pandemie in den IGV adressieren.
Das Pandemieabkommen, das nach aktuellem Stand als ein völkerrechtlicher Vertrag ausgestaltet werden soll, kann dagegen durch einen pandemiespezifischen Fokus und Anwendungsbereich den bestehen Herausforderungen besser gerecht werden. Dies schließt weitergehende Bestimmungen zur Prävention und zur Verhinderung von Pandemien ebenso mit ein wie die Reaktion auf bestehende Pandemien und die damit zusammenhängenden Fragen zum Zugang zu medizinischen Gegenmaßnahmen. Wichtig ist, dass einem solchen völkerrechtlichen Vertrag in allen parlamentarischen Demokratien wie Deutschland durch das nationale Parlament ausdrücklich zugestimmt werden muss. Insoweit verlangt das Grundgesetz, dass Hoheitsrechte nur gesetzlich auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden können. Es besteht also eine weitreichende demokratische Kontrolle für das völkerrechtliche Handeln der Bundesregierung. Zudem bleibt es nach anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen dabei, dass Staaten auch von völkerrechtlichen Verpflichtungen zurücktreten können, wenn es geboten ist – dies ist Ausdruck ihrer nationalstaatlichen Souveränität.
Vor diesem Hintergrund teile ich die Sorge von Kritiker:innen nicht, dass durch die Reform der IGV oder einen künftigen Pandemievertrag die nationale Souveränität von Deutschland eingeschränkt werden könnte. In beiden Konstellationen treffen völkerrechtlich letztlich immer allein die einzelnen Mitgliedsstaaten bzw. deren nationalen Parlamente die Entscheidung, ob sie die in den Verhandlungen geeinten Punkte per Selbstverpflichtung einhalten wollen oder nicht. Grundsätzlich besteht in praktisch allen Mitgliedstaaten eine große Sensibilität und Zurückhaltung, nationale Befugnisse auf internationale Organisationen zu übertragen. Insoweit bleibt abzuwarten, ob die Verhandlungen tatsächlich bereits bis Mai 2024 abgeschlossen werden können.
Wichtig ist uns als SPD-Bundestagsfraktion auch, dass die WHO nachhaltig finanziert wird und wieder unabhängiger von Spenden wird, damit sie ihr Mandat als leitende und koordinierende Institution des internationalen Gesundheitswesens vollumfänglich erfüllen kann. Wir haben daher die Bundesregierung aufgefordert, die Anhebung der Pflichtbeiträge auf einen Anteil von 50 Prozent des Kernbudgets der WHO bis spätestens 2030/2031 aktiv zu unterstützen und bei allen Partnern für diese Erhöhung zu werben.
Insgesamt unterstützt die SPD-Bundestagsfraktion grundsätzlich sowohl die Verhandlungen zu einem globalen Pandemieabkommen als auch die Reform der IGV, um die weltweite Pandemievorsorge zu stärken. Es ist unsere Überzeugung, dass die aktuellen Überlegungen nicht zu Lasten unserer nationalen Souveränität gehen, sondern uns in einer Pandemie erst handlungsfähig machen.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort meine sowie die Positionierung der SPD-Bundestagsfraktion deutlich machen zu können.
Mit freundlichen Grüßen
Annika Klose