Welche Chance bietet die Energiewende bzw. der Ausstieg aus der Kohleverstromung für die Oberlausitz?
Sehr geehrte Frau Jagiela, Frau Baerbock sprach in einer Wahl-TV-Show Sie davon, dass die Energiewende für die Lausitz eine "Riesenchance" sei. Bitte erläutern Sie mir konkret, welche das sein sollen. Bitte berücksichtigen Sie dabei auch, dass meiner Stadt in der Oberlausitz, nach 1989 die Glasindustrie rückgebaut wurde, der nächste Autobahnanschluss ca. 50 km entfernt ist, die Bahnstrecke nicht elektrifiziert und eingleisig ausgebaut ist. Es ist in den 30 Jahren seit der Wende nicht gelungen, Arbeitsplätze in nennenswerter Größe neu anzusiedeln. Derzeit leben die noch verbliebenen Einwohner der Stadt (1987 ca. 37.000, 2020 ca. 15.000) von ihrer Arbeit im und rund um den Braunkohletagebau und die Kohlekraftwerke. Viele kleine Firmen überleben nur durch die Aufträge rund um den Tagebau. Die Jugend wandert ab, weil sie keine Perspektiven sehen. Worin sehen Sie also die "Riesenchance" (bitte ganz konkret und keine Wahlkampfphrasen)?
Sehr geehrte Frau R.,
ich habe das Gefühl, Sie schreiben von Weißwasser. Vor kurzem habe ich da einen öffentlichen Stadtspaziergang gemacht und da ist mir wieder einmal aufgefallen, wie wichtig die Zuganbindung für die Entwicklung Weißwassers war. Ohne diese hätte sich die Glasindustrie wahrscheinlich gar nicht in Weißwasser angesiedelt. Deshalb werde ich mich auch dafür einsetzen, dass die Bahnstrecke endlich auch ausgebaut und elektrifiziert wird. Diese Bahnanbindung schafft Bewegung und Wohlstand.
Ich verstehe Ihre Skepsis - die ich zwischen den Zeilen lese, wenn Sie schreiben: "Es ist in den 30 Jahren seit der Wende nicht gelungen, Arbeitsplätze in nennenswerter Größe neu anzusiedeln." Allerdings ist es nicht so, dass gar nichts passiert ist in den letzten 30 Jahren. Vor ein paar Wochen habe ich die Kreisel GmbH in Krauschwitz besucht - die sich auch neue Märkte und Kunden sucht und der es wirtschaftlich gut geht. So wurde mir das vom Geschäftsführer berichtet. Krauschwitz, Weißwasser und Rietschen entwickeln gerade auch Ideen für ein gemeinsames Rechenzentrum. In Weißwasser soll auf dem Gebiet der ehemaligen Gelsdorfhütte ein neuer Campus entstehen - mit Wohnungen und Arbeitsplätzen, klimaneutral und nachhaltig gebaut und so auch dort leben. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen dort gerne leben und arbeiten werden. Das Konzept wurde mir von der neuen Bau-Referatsleiterin im Rathaus vorgestellt. Diese Menschen machen andere Arbeiten als die in einem Kraftwerk zu tätigen sind, sind oft freiberuflich unterwegs oder können ggf. viel Homeoffice arbeiten und mit einer schnelleren Bahnanbindung nach Cottbus, in den Spreewald und nach Berlin - würden sie diesen Ort bestimmt gerne annehmen.
Sehr geehrte Frau R. .- die Energiewirtschaft wird auf Erneuerbare Energien umstellen. In den letzten Jahren sind Tausende Arbeitsplätze verloren gegangen, weil SPD und CDU/CSU den Ausbau von Wind und Sonne boykottiert haben. Erst letzte Woche hat die Firma "Vestas" in Lauchhammer angekündigt, dass sie schließen wird und rund 460 Menschen müssen sich eine neue Arbeit suchen. Viele Unternehmen werden sich darüber sogar ein wenig freuen - aufgrund des Fachkräftemangels. Den gibt es auch bei uns im Norden des Landkreises. Als die BAFA hier her kam - stöhnten viele Unternehmen, weil Mitarbeiter:innen zur BAFA wechselten. Was ich mit all dem sagen möchten: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird auch bei uns Arbeitsplätze schaffen und ich kenne Menschen, die die Seiten gewechselt haben - vom Kohlekraftwerk zur Windkraft. Das geht. Und der Fachkräftemangel wird ebenso Möglichkeiten für die Arbeiter:innen aus den Kraftwerken schaffen - zum Bsp. im Anlagenbau - bei der Kreisel GmbH oder der SKAN GmbH in Görlitz. Wir Bündnisgrünen planen zudem mit Weiterbildungsbudgets - so dass sich die Kraftwerker:innen in den nächsten 9 Jahren entsprechend vorbereiten können.
"Riesenchancen" sehe ich auch bei der Umstellung der Wirtschaft auf eine klimaneutralere und nachhaltigere Produktion und Arbeit und bei der Energieeffizienz. Unternehmen werden sich fragen, wie sie Energie sparen können und wie sie so produzieren können, dass möglichst wenig oder gar keine CO2-Emmissionen entstehen. Dafür wird es neue Maschinen, Abläufe geben - das muss erfunden und ausprobiert werden. Wir Bündnisgrünen wollen technische Innovationen und Pilotprojekte fördern.
Zudem wollen wir Bündnisgrünen die Kreislaufwirtschaft ausbauen - also: Weniger Müll! Wir haben in unserem Landkreis 2 Recyclingunternehmen - auch hier können wir anknüpfen. Unsere Hochschule Zittau-Görlitz forscht und experimentiert mit Pflanzen, die zu Fasern und Dämmstoffen etc. umgewandelt werden. Es gab bisher mehrere Ausgründungen, neue Unternehmen.
Klar muss sein, dass umweltschützenden Verhalten und Wirtschaften belohnt werden muss.
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage beantworten konnte. Es ist eine große Frage und es gibt darauf nicht die 1-eine Antwort.
Viele Grüße aus Görlitz, Annett Jagiela