Frage an Anke Nierstenhöfer von Moritz Z. bezüglich Bildung und Erziehung
Zu Schuljahresbeginn offenbarte sich ein dramatischer Lehrermangel an nahezu jeder Schulform. Viele Stellen werden mit didaktisch-pädagogisch unterqualifizierten Quereinsteigern besetzt. Wie wollen Sie den daraus resultierenden Qualitätsverlust und den Mangel an Lehrkräften im Allgemeinen kompensieren?
Lieber M. Z.,
vielen Dank für die Anfrage zur Bildungspolitik. Das Problem des
Lehrermangels ist hausgemacht – weil es auch im Bildungswesen nur um
Geld und Profit geht. In Deutschland fehlen aktuell 3300 Lehrer, in
Niedersachsen sind ca. 150 Stellen unbesetzt. Nach Ansicht der
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist die Lage so
"zugespitzt wie seit zehn Jahren nicht". Im Schnitt sind die deutschen
Lehrer die zweitältesten im gesamten OECD-Raum, in Ostdeutschland wird
in den nächsten 10 Jahren jeder zweite Lehrer in Rente gehen. Vor allem
an Grund-, Haupt-, Berufs- und Förderschulen fehlen Lehrer. In Bremen
wird derzeit ein Drittel der offenen Lehrerstellen mit Studenten
besetzt, die damit schon vor ihrem Abschluss aufgerieben werden! Von
der Qualität ganz zu schweigen. Seit der „Föderalismusreform“ von 2006
wird die Finanzierung der schulischen Bildung den einzelnen
Bundesländern aufgedrückt, vom Bund gibt es kein Geld. Es hängt also
vom Haushalt und der Politik der Landesregierungen ab, wieviel in
Bildung investiert wird.
Man kann die Situation an den Schulen nicht von der an den Unis und
Hochschulen und der auf dem Arbeitsmarkt trennen. Das gesamte
Bildungswesen wird den Interessen und dem Bedarf der Konzerne an
Fachkräften untergeordnet. Seit den 1990er Jahren wurde die
internationale Produktion neuorganisiert und es entstand ein
internationaler Arbeitsmarkt. Die internationalen Konzerne und Monopole
drängen darauf, Akademiker international einzusetzen und haben dazu ein
international organisiertes und standardisiertes Ausbildungs- und
Hochschulsystem eingeführt, Stichwort „Bologna“. Heute kommen ca. 20%
der Fördermittel für Hochschulen von Großkonzernen, keinesfalls aber
wohltätig oder uneigennützig. Sie verlagern ihre eigene Forschung und
Entwicklung an die Unis und Hochschulen und diktieren damit zugleich,
woran geforscht wird. Forschungen und ganze Fakultäten, die nicht der
Generierung von Profit dienen, werden eingestellt.
Der mit „Bologna“ verbundene Leistungszwang und die elitäre Auslese
(Bachelor/Master/Promotionsstudium) setzt sich nach unten fort, wie mit
dem Turbo-Abi. All das führt zu massiven Verschlechterungen im
Bildungswesen, Druck auf Schüler und Lehrer. Aber auch zu berechtigten
Protesten von Schülern, Studenten, Eltern, Lehrern und Gewerkschaften.
Ich meine, dass wir nur durch diesen gemeinsamen Protest etwas
verändern können und indem wir die kapitalistischen Ursachen der
Bildungsmisere aufdecken und in Frage stellen. Die wichtigsten
Forderungen dabei sind für mich:
Für ein kostenloses, einheitliches und qualifiziertes Bildungssystem
von der Krippe bis zur Hochschule! Gegen die Folgen der Umverteilung
der öffentlichen Haushalte zu Lasten der Beschäftigten, insbesondere im
Erziehungs-, Bildungs-, Kultur-, Sozial- und Gesundheitswesen!
Gemeinsamer Kampf gegen Niedriglöhne, Zeit- und Werkverträge in
akademischen Berufen! Kampf der Knebelung von Wissenschaft, Forschung
und Kultur durch die Profitinteressen der Monopole! Erhöhung und
Ausweitung der Ausbildungsförderung für Schüler und Studierende!
Ich kann dazu auch den Jugendverband REBELL empfehlen (www.rebell.info)
, der auch in Göttingen gut organisiert ist. Und mit anderen
Jugendorganisationen eine jugendpolitische Plattform im
Internationalistischen Bündnis gegründet hat: „Die Zeit ist reif für
Veränderung! Mach mit! Damit sich wirklich etwas ändert!“ (www.inter-li
ste.de).
Herzliche Grüße!
Anke Nierstenhöfer