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Anja Weisgerber
CSU
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Frage von Eva R. •

Frage an Anja Weisgerber von Eva R. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Weisgerber,

ich habe gehört, dass über ein "Kinderrecht" im Grundgesetz verhandelt wird. Dies berge die große Gefahr, dass die Elternrechte ausgehebelt werden. Darüber gibt es diverse Gutachten. Kinder sind im aktuellen Grundgesetzt seit Jahrzenten ausreichend geschützt. Mehr dazu unter https://citizengo.org/de/fm/182275-haende-weg-vom-grundgesetz-kinderrechte-sind-gefaehrlich
Wie ist Ihre Postition dazu? Werden Sie dagegen stimmen?
Ich hoffe sehr! Denn ich bin Mutter und die Kinder müssen die Maskenpflicht in der Schule und sogar im Sportunterricht und in der Pause draußen mit all ihren Risiken durchleiden! Machen Sie auch dem ein Ende!

Freue mich auf Antwort,
E. Rick

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Antwort von
CSU

Sehr geehrte Frau R.,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Die CSU im Bundestag begleitet die Diskussion sehr eng und wird dieses Thema sehr behutsam angehen; wir wollen die Kinderrechte stärken, ohne dabei das naturgegebene Recht der Eltern auf Erziehung ihrer Kinder zu beschränken.

Die Rechte von Kindern sind bereits nach derzeitiger Gesetzeslage durch die Grundrechte verfassungsrechtlich abgesichert. Das Bundesverfassungsgericht hat durch seine Rechtsprechung ein differenziertes, wohlaustariertes System der wechselseitigen Rechte und Pflichten im Dreiecksverhältnis Eltern-Kind-Staat entwickelt. Insbesondere sind Kinder bereits jetzt Grundrechtsträger, ihre Menschenwürde, ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit haben Verfassungsrang. Unsere Verfassung schützt die körperliche Unversehrtheit sowie die freie Entfaltung der Persönlichkeit der Kinder. Glauben und Gewissen werden geschützt, weshalb Kinder ab dem zwölften Lebensjahr selbst entscheiden dürfen, welcher Religion sie angehören wollen.

Vor allem aber regelt Artikel 6 Grundgesetz, dass Eltern ihren Kindern zu Pflege und Erziehung verpflichtet sind. Umgekehrt heißt dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Kinder können von ihren Eltern eine Pflege und Erziehung verlangen, die diesen Namen auch verdient; eine Erziehung ohne Gewalt, eine Erziehung, die die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln berücksichtigt.

Daher setzte sich die CSU im Bundestag in der Vergangenheit primär stets für die Stärkung von Kinderrechten im Rahmen von konkreten gesetzlichen Maßnahmen ein, wie der konsequenten Verfolgung von Kindesmissbrauch und Kinderpornographie im Internet und nicht für eine symbolträchtige Änderung des Grundgesetzes.

Gleichwohl wird die Aufnahme einer entsprechenden Regelung ins Grundgesetz aufgrund der von ihr ausgehenden Symbolkraft vielerseits als wünschenswert erachtet. An die Entscheidungsträger in Staat und Kommunen sowie die gesamte Gesellschaft kann so ein wichtiges politisches Signal gesandt werden. Dementsprechend haben wir uns darauf verständigt, Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich zu verankern. Eine Verfassungsänderung darf jedoch aus unserer Sicht nicht dazu führen, dass das bestehende differenzierte und wohlaustarierte System der wechselseitigen Rechte und Pflichten im Dreiecksverhältnis Eltern-Kind-Staat aus dem Gleichgewicht gerät. Dabei ist von höchster Relevanz, die Elternrechte (Art. 6 Absatz 2 Grundgesetz) nicht zu beschneiden, die vor allem ein Abwehrrecht gegenüber staatlicher Bevormundung und Einmischung beinhalten. Wie auch Sie richtig ausführen, ist die Familie die zuständige Einheit für die Erziehung der Kinder. Es sind die Eltern, die die Verantwortung bei der Erziehungsarbeit tragen. Der Staat schreitet mit seinem Wächteramt erst ein, wenn Eltern ihre Pflichten nicht wahrnehmen und ihre Kinder vernachlässigen.

Sehr geehrte Frau R., in allen Grundrechtsangelegenheiten ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zentral. Dieser besagt nach gefestigter Grundrechtslehre, dass eine in Grundrechte eingreifende Maßnahme (1) einen an sich legitimen Zweck verfolgen und (2) überhaupt geeignet sein muss, diesen Zweck zu erreichen. Es darf (3) keine mildere Maßnahme geben, die den Zweck dennoch gleich gut erreicht. Und schließlich darf (4) die Eingriffsintensität der Maßnahme nicht außer Verhältnis zu dem mit der Maßnahme verfolgten Zweck stehen. Wie dieser Grundsatz verfassungsgerichtlich zu prüfen ist, richtet sich nach dem konkret betroffenen Grundrecht, der zu prüfenden Maßnahme sowie ihrer Schwere, den von der Maßnahme Betroffenen und dem Kontext der Maßnahme. Wie so oft in rechtlichen Fragen verbieten sich einfache Antworten. Zu erörtern ist vielmehr immer die konkrete Situation, in einiger Genauigkeit.

Eine für den Schulbesuch sowie den Schulunterricht angeordnete Maskenpflicht könnte möglicherweise in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eingreifen, weil das Atmen erschwert wird. Allerdings wird für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine tatsächliche Veränderung am Körper verlangt, um von einem Eingriff sprechen zu können. Die Pflicht, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, greift deswegen nicht in das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein (niemand wird körperlich „versehrt“). Die Maskenpflicht würde angeordnet, um Leben und körperliche Unversehrtheit von Schülerinnen und Schülern wie Lehrkräften zu schützen, indem die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung verringert wird. Das ist ein verfassungsrechtlich legitimer Zweck, weil den Staat die grundrechtliche Pflicht trifft, „sich schützend und fördernd vor das Leben der Einzelnen zu stellen (…) sowie vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit zu schützen (…)“, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Corona-Eilentscheidung jüngst noch einmal betont hat (BVerfG[K], 12. Mai 2020, 1 BvR 1027/20, Rn. 6). Auch hier ist noch einmal zu betonen, dass nicht unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Eingriffsgrundlage abgeleitet werden kann, sondern die vielmehr rechtlich geregelt werden muss (dazu grundlegend Wahl/Masing, JZ 1990, Schutz durch Eingriff).

Geeignet, das Ziel des Gesundheitsschutzes während der noch grassierenden Corona-Pandemie zu erreichen, ist eine Maskenpflicht allemal. Fraglich ist, ob es ein milderes Mittel gibt? Ein freiwilliges Maskentragen könnte ein solches milderes Mittel sein. Allerdings muss das Mittel gleich geeignet sein, das Ziel des Infektionsschutzes zu erreichen. Das erscheint mir fraglich bei einer bloßen Empfehlung im Vergleich zu einem Gebot, dass auch zwangsweise durchgesetzt werden kann.

Fraglich ist zudem, ob der aus einer Maskenpflicht vermeintlich resultierende Eingriff in die Allgemeine Handlungsfreiheit schließlich auch in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck des Infektionsschutzes steht? Hier muss eine weitere Besonderheit des Schulbesuches erwähnt werden: Er ist verpflichtend. Wenn aber Schülerinnen und Schüler staatlich verpflichtet werden, die Schule zu besuchen, so darf ihnen diese Pflicht nur zugemutet werden, wenn das Gesundheitsrisiko soweit als möglich minimiert wird. Das aber ist nur der Fall, wenn wenigstens die nach gegenwärtigem Stand möglichen Maßnahmen ergriffen werden, das Infektionsrisiko zu minimieren. Dies spricht aus meiner Sicht dafür, dass eine Maskenpflicht grundrechtskonform eingeführt werden könnte. Die Maskenpflicht ist nur solange grundrechtskonform möglich, als überhaupt eine Ansteckungswahrscheinlichkeit besteht. Wenn niemand mehr sich anstecken kann oder von einer Ansteckung keine gravierende Gesundheitsgefahr mehr ausgeht, dann ist natürlich auch eine Maskenpflicht obsolet. In der gegenwärtigen Lage jedoch, da es ausreicht, wenn eine einzige infizierte Person in einem Raum ist, um möglicherweise als „Superspreader“ zu wirken, kann auch ein Verweis auf „vergleichsweise“ geringe Infektionszahlen nicht überzeugen. Das wäre eine Wette auf geringe Ansteckungswahrscheinlichkeit und wirkt ein bisschen wie russisch Roulette.

Ich wünsche Ihnen bleibende Gesundheit.

Mit freundlichen Grüßen
Anja Weisgerber

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