Frage an Angelika Niebler von Michael E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Dr. Niebler!
Ich habe in der Zeitung (NZ vom 5.2.09) gelesen, dass im Europaparlament ein Bericht eingebracht wurde, dem folgend Haus- und Familienarbeit im Renten- und Sozialsystem stärker berücksichtigt werden solle. Dies sei abgelehnt worden und statt dessen der Entwurf der Grünen angenommen worden.
Meine Fragen:
1. Wo finde ich Einzelheiten zu dem Vorgang?
2. Wo kann man erfahren, wie die deutschen Abgeordneten sich verhalten haben?
3. Ist es Ihrer Meinung nach Sache der Politik, den Menschen zu sagen, wie sie zu leben haben? Anders ausgedrückt: Kann man Ihrer Meinung nach Gleichberechtigung auch ohne Diskriminierung traditioneller Lebensformen erreichen? Schafft man sonst nicht ein Stück Freiheit ab?
4. Inwieweit nehmen Unternehmerverbände oder andere Lobbies hier Einfluss?
Mit freundlichem Gruß
Michael Erhard
Sehr geehrter Herr Erhard,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage über www.abgeordnetenwatch.de.
Bei dem von Ihnen angesprochenen Bericht handelt es sich um einen Initiativbericht des Europäischen Parlaments zur "Beseitigung der geschlechtsbedingten Diskriminierung und die Solidarität zwischen den Generationen". Die Berichterstatterin für das Dossier war meine slowakische Kollegin Dr. Anna Zaborska. Der Bericht hat keine rechtlich bindende Wirkung. Er fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten lediglich auf, in bestimmten Bereichen der Diskriminierung aufgrund des Alters oder des Geschlechts tätig zu werden. Wie Sie bereits schreiben, wurde der Bericht von Frau Zaborska in seiner ursprünglichen Fassung abgelehnt und stattdessen ein alternativer Antrag der Grünen-Fraktion angenommen.
Der größte Unterschied zwischen dem Antrag der Grünen-Fraktion und dem zuvor vom zuständigen Frauenausschuss einstimmig angenommenen Bericht war, dass die Anerkennung des Beitrags der Haus- und Familienarbeit auch im Bereich der Sozial- und Rentenversicherung nicht berücksichtigt wurde.
Meiner Ansicht nach ist es nicht richtig, nicht auf die Gleichwertigkeit der Arbeit im Haus- und Familienbereich mit Erwerbsarbeit hinzuweisen und deutlich zu machen, dass Erziehungsarbeit vollwertige Arbeit darstellt und entsprechend von den EU-Mitgliedstaaten in der Sozial- und Rentenversicherung mitbedacht werden sollte.
Denn, wie Sie richtig bemerken, ist es nicht Sache der Politik, den Menschen zu sagen, welchen Lebensentwurf sie zu wählen haben. In meinen Augen kann es nur dann eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter geben, wenn sowohl Frauen wie auch Männer sich frei entscheiden können, welchen Lebensweg sie einschlagen möchten.
Es ist mir nicht bekannt, dass Unternehmensverbände oder andere Lobbyorganisationen Einfluss auf diesen Bericht genommen hätten. Meine Kollegen und ich haben lediglich eine Vielzahl von E-Mails und Faxen von Bürgern erhalten, die uns ihre Meinung zu diesem Thema mitgeteilt haben. Die meisten haben sich dabei für eine Berücksichtigung der Haus- und Familienarbeit im Sozial- und Rentensystem ausgesprochen.
Die Einzelheiten zum Bericht von Frau Ana Zaborska finden Sie auf der Internetseite des Europäischen Parlaments ( http:www.europarl.europa.eu ) unter "Tätigkeiten". Bitte klicken Sie dann auf "Plenartagung". Links finden Sie in der Spalte "Plenartagungen" unter dem Button "Protokolle" die Texte, die am 3. Februar 2009 vom Plenum des Europäischen Parlaments angenommen wurden. Darunter befindet sich auch der erwähnte Bericht, sowohl in der vom Ausschuss eingereichten Fassung, wie auch in der vom Plenum verabschiedeten Version.
Des Weiteren finden Sie am Ende der Seite im Dokument "Namensabstimmungen" auf Seite 66, wie die einzelnen Abgeordneten abgestimmt haben. Hier können Sie sehen, dass nur die Mitglieder der CDU/CSU-Gruppe den Änderungsantrag der Grünen-Fraktion geschlossen abgelehnt haben. Die deutschen Abgeordneten aller anderen Fraktionen haben dem Antrag zugestimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angelika Niebler, MdEP