Frage an Andrew Ullmann von Bernd D. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Ullmann,
es gibt 2 zentrale Argumente gegen die Widerspruchslösung bei der Organspende:
1) Eine Spende, der man nur durch ein ausdrückliches Nein entkommt, sei keine Spende mehr.
Bitte bedenken Sie, worauf der Begriff „Organspende“ ursprünglich zielt, nämlich auf die Verhinderung von Organhandel. Wir sind uns ja alle einig, es darf niemals eine „Organbörse“ geben.
2) Die Widerspruchslösung sei ein unerträglicher Eingriff in unsere Persönlichkeitsrechte.
Meine Bitte: Fragen wir nicht als Erstes, ob wir Organe spenden wollen, sondern, ob wir für uns und unsere Liebsten im Ernstfall ein Organ wünschen würden!
Praktisch jeder tut das. Übrigens: Einem minderjährigen Kind kann man ein Organ durch elterliches Veto gar nicht vorenthalten, auch Zeugen Jehovas nicht. Die Ärzte erwirken sofort eine begrenzte Sorgerechtsübertragung auf das Jugendamt.
Jede Moral, die von der Rechtsgleichheit der Menschen ausgeht, fordert, anderen nicht vorzuenthalten, was man für sich und die Seinen wünscht. Kants kategorischer Imperativ stellt diese Maxime in das Zentrum der Moral, und sie ist Basis unseres Grundgesetzes.
Andererseits ist es ein hohes Menschenrecht, zu bestimmen, was mit dem toten Körper geschieht, wenn dieses Recht auch eingeschränkt ist: Es gibt kein Einspruchsrecht gegen die Obduktion bei unnatürlichem Tod.
Kranken, die keine Organe spenden wollten, darf man die Transplantation nicht verweigern. Es ist das Zentrum der ärztlichen Berufsethik, Behandlung darf niemals von Vorbehalten gegenüber dem Patienten abhängen.
Fazit: Ein Organ im Bedarfsfall haben, aber nicht geben wollen, ist nicht moralisch. Aber sowohl die Entnahme gegen den Willen des Verstorbenen als auch die Verweigerung ärztlicher Behandlung scheitern an höheren Rechtsgütern.
Was tun, in so einem moralischen Dilemma? Ist es nicht wenigstens zumutbar, dass, wer keine Organe spenden will, bei Bedarf aber selbst eines bekommt, aktiv Nein sagen muss?
Freundliche Grüße Bernd Meyer
Sehr geehrter Herr Dr. Meyer,
vielen Dank für Ihr reges Interesse an diesem Thema. Gerne möchte ich Ihnen auf Ihre Frage folgendermaßen antworten.
Sie haben völlig Recht: die Behandlung von Patientinnen und Patienten unabhängig von deren Einstellungen ist zentraler Bestandteil der ärztlichen Berufsethik. Aus diesem Grund darf es keine Rolle spielen, ob eine Patientin oder ein Patient selbst Organspenderin oder Organspender ist – jeder muss gleich behandelt werden.
Aus politischer Sicht halte ich es nicht für die Aufgabe des Gesetzgebers, diesbezüglich einen moralischen Maßstab vorzugeben. Jeder muss frei entscheiden können, ob und welche Organe er oder sie spenden möchte. Auch hier gilt, dass eine ärztliche Behandlung nicht von dieser Entscheidung abhängen darf.
Eine Widerspruchslösung kann ich nicht unterstützen, auch nicht in dem von Ihnen angeführten Fall des moralischen Dilemmas. Denn auch hier würde durch die Widerspruchsregelung ein schwerer Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte erfolgen und zudem der o.g. Grundsatz der Gleichbehandlung missachtet. Ich halte dagegen die bestehende Entscheidungslösung für sinnvoller. Die Bürgerinnen und Bürger sollen sich auf Basis umfassender Informationen selbst aktiv für oder gegen eine Organspende entscheiden dürfen.
Freundliche Grüße
Andrew Ullmann