Frage an Andreas Schwab von Georg M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Schwab,
wie will ihre Partei das Demokratiedefizit in der EU beheben?
Dass es dieses offensichtlich gibt, können Sie an diesem Wikipedia-Eintrag sehen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Demokratiedefizit_der_Europ%C3%A4ischen_Union
Ist die EU-Kommission Ihrer Meinung nach ausreichend legitimiert?
Warum dürfen die Bürger_innen nicht mehr mitentscheiden?- zumal sie von den Auswirkungen häufig betroffen sind?
Warum dürfen die Bürger_innen nicht darüber mitentscheiden, ob sie noch mehr Länder in der EU oder im Euroraum haben wollen oder nicht?
Aus meiner Sicht hat z.B. die Personenfreizügigkeit für Kranke, für Geringqualifizierte, für Ältere usw. dramatische Auswirkungen. Teilen Sie meine Einschätzung? Ein Kranker, Armer oder Gering-und Mittelqualifizierter kann nicht unbedingt aus Deutschland weg, ist aber von der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ggf. betroffen. Von 240.000 neuen Jobs sollen laut diesem Bericht in 2014 gerade einmal 37.000 an Erwerbslose gehen: http://www.rp-online.de/wirtschaft/auch-2014-wird-es-keinen-job-boom-geben-aid-1.3708096
Die Arbeitgeber müssten meine Erachtens Kompromisse machen, wenn die Zahl der zur Verfügung stehenden Arbeitnehmer geringer wäre und dann würde mehr der o.g. Personen eine Stelle bekommen. Können Sie meinem Argument folgen?
Wird Ihre Partei weitere Genpflanzen- bzw. nahrungsmittel ablehnen?
Mit freundlichen Grüßen
Georg Mayer
Sehr geehrter Herr Mayer,
haben Sie vielen Dank für Ihre Zuschrift vom 27. April 2014 und Ihr Interesse an meiner Arbeit.
Zunächst einmal teile ich nicht Ihre Auffassung, dass in der Europäischen Union ein Demokratiedefizit besteht. Insbesondere durch den Lissabon-Vertrag sind die Rechte des Europäischen Parlaments erheblich gestärkt worden. Bei fast allen EU-Gesetzen, etwa in den Bereichen Landwirtschaft, Energiepolitik oder Binnenmarktfragen – insgesamt in mehr als 40 zusätzlichen Bereichen - entscheidet das Parlament nunmehr neben den Mitgliedstaaten mit. Auch über den gesamten EU-Haushalt bestimmt das Parlament nunmehr gleichberechtigt mit dem Ministerrat mit. Und als einzige EU-Institution, die aus direkten Wahlen hervorgeht, entscheiden somit auch die Wählerinnen und Wähler in der EU mit! Insofern ist es nicht richtig, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht mitentscheiden können, denn bei den anstehenden Europawahlen im Mai haben auch Sie selbst die Möglichkeit, die Europäische Union konkret mitzugestalten, indem Sie Ihre Stimme abgeben.
Mit der stetigen Ausweitung der Politikbereiche im Laufe der Jahre stellte sich auch vermehrt die Frage nach der Legitimation der Europäischen Kommission als "Hüterin der Verträge" sowie als Exekutivorgan, welches das Initiativrecht für neue Gesetzesvorhaben innehat. Bereits mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam wurde die Legitimation gestärkt, um auch die Mitspracherechte des Europäischen Parlaments bei der Ernennung der Kommission zu verstärken. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde nunmehr aber auch die Rolle des Parlaments bei der Auswahl des Führungspersonals weiter ausgebaut und damit die demokratische Legitimation der Kommission. Das Parlament wählt nunmehr den Präsidenten der Europäischen Kommission auf der Grundlage eines Vorschlags der Staats- und Regierungschefs, wobei diese das Ergebnis der Europawahl berücksichtigen müssen. Auch die oder der neue Hohe Vertreter für die Auβen- und Sicherheitspolitik benötigt als Vize-Präsident(in) der Kommission die Zustimmung des Europäischen Parlaments.
Hinsichtlich des Beitritts neuer Länder zur EU bzw. der Eurozone ist im Vertrag über die Europäische Union festgelegt, dass grundsätzlich jeder europäische Staat, der die Grundsätze der EU achtet, die Beitrittskriterien - wie die institutionelle Stabilität oder eine funktionierende Marktwirtschaft - erfüllt und aufnahmefähig ist, Mitglied der Union werden kann. Deutschland und die EU unterstützen die Fortführung des Erweiterungsprozesses, um die EU noch weiter zu verzahnen, ohne dabei die nationalen Kulturen und Traditionen aus den Augen zu verlieren.
Ferner sprechen Sie die Freizügigkeit in der Europäischen Union und die Auswirkungen in Deutschland an. Hier sieht das europäische Recht vor, dass alle EU-Bürger seit dem 1.1.2014 das uneingeschränkte Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten haben. Arbeitssuchende oder arbeitslose EU-Bürger genießen das Recht auf Freizügigkeit aber nur dann, wenn sie über ausreichende finanzielle Mittel und eine Krankversicherung verfügen. Die Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, sind selbst für die Sozialpolitik verantwortlich und können entscheiden, unter welchen Voraussetzungen Sozialleistungen gewährt werden. Gleichzeitig gelten die EU-Freizügigkeitsregelungen auch für deutsche Bürgerinnen und Bürger.
Bezüglich Ihrer Frage zu Genpflanzen bzw. –nahrungsmitteln bin ich prinzipiell kein Befürworter des Anbaus von genetisch veränderter Organismen (GVO) in Europa. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass diese Debatte stets sachlich und vorurteilslos geführt werden sollte. Ich begrüße Forschung und Entwicklung in diesem Bereich und bin der Meinung, dass wir Chancen die sich in diesem Bereich auftun, jedenfalls nicht von vornherein ausschließen sollten.
Die Diskussion um die Zulassung von GVO in Europa ist sehr umstritten und die Kompetenzen der zuständigen Entscheidungsträger auf nationaler sowie europäischer Ebene nicht auf den ersten Blick klar erkennbar.
Die Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel und die Richtlinie 2001/18/EG über die absichtliche Freisetzung von genetisch veränderter Organismen (GVO) in die Umwelt, legen das Verfahren zur Bewertung und Zulassung von GVO fest. Grundlage für die Entscheidung, ob genetisch veränderte (GV-) Lebensmittel in der EU zugelassen werden, bietet eine strenge wissenschaftliche Sicherheitsbewertung. Diese erfolgt durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Ziel dieser unabhängigen Bewertung ist es, mögliche – von GVO ausgehende – Risiken für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt zu erfassen. Mehr zur Sicherheitsbewertung und der Rolle der EFSA im Zulassungsverfahren finden Sie hier: http://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/gmo.htm.
Die Entscheidung, ob in Europa gentechnisch veränderte Pflanzen zugelassen und angebaut werden dürfen oder nicht, entscheidet aber nicht die EFSA, sondern die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission. Die EU-Landwirtschaftsminister stimmen über die Zulassung einer GVO-Pflanze ab. Es bedarf einer qualifizierten Mehrheit um eine Zulassung zu verhindern. Qualifizierte Mehrheit bedeutet, dass jeder EU-Mitgliedstaat zwar eine Stimme hat, diese aber – je nach Bevölkerungsgröße – anders gewichtet wird. Sollten die EU-Landwirtschaftsminister für (oder eben nicht gegen) die EU-weite Zulassung stimmen, hat die Kommission das letzte Wort.
In der aktuellen Debatte, hätten die Landwirtschaftsminister der EU-Mitgliedstaaten also die Zulassung des Genmaises 1507 verhindern können. Hierfür hätte es bei der Abstimmung im Februar eine qualifizierte Mehrheit bedurft. Diese kam aber nicht zustande. Deshalb liegt es jetzt an der Kommission, auf Basis der Untersuchungen der Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, einen endgültigen Zulassungsentscheid zu fällen.
An dieser Stelle muss deshalb klar gesagt werden, dass die EU den Anbau von GVO keinesfalls diktiert, vielmehr sind es die EU-Mitgliedstaaten, die den Anbau am Ende möglich machen. Die Kommission ihrerseits hat sogar vorgeschlagen, die Zulassungsentscheidung komplett den Mitgliedstaaten zu überlassen. Interessanterweise lehnen diese die Verantwortung ab und bevorzugen, die Kommission die Rolle des schwarzen Peters spielen zu lassen.
Das Europäische Parlament seinerseits hat sich bereits 2012 klar gegen die Zulassung jener Maissorte ausgesprochen. Am 16. Januar 2014 hat das Parlament diesen Standpunkt bestätigt, indem es mit großer Mehrheit gegen die Marktzulassung von Genmais 1507 ausgesprochen hat. Bedauerlicherweise hat das Europäische Parlament jedoch kein juristisch bindendes Mitspracherecht in dieser Angelegenheit. Derzeit gibt es in Deutschland keinen kommerziellen Anbau von GV-Pflanzen und die deutschen Landwirte sind auch beim bereits zugelassenen Anbau von MON 810 Mais sehr zurückhaltend. Es ist davon auszugehen, dass dies beim Genmais 1507, sollte er zugelassen werden, ebenfalls der Fall sein wird.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Andreas Schwab