Frage an Andreas Scheuer von Marianne F. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Scheuer,
in zunehmendem Maße werden Kinder mit Unterhaltszahlungen für ihre pflegebedürftigen Eltern in Pflegeheimen belastet, deren Renten zusammen mit den Leistungen der Pflegekassen selten ausreichen, um die hohen Heimkosten zu decken.
Die "Eintreibung" des Elternunterhalts durch die Sozialhilfeträger führt zu sehr viel Ungerechtigkeit und verursacht immensen Verwaltungsaufwand. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Rechtslage zum Elternunterhalt sehr unklar ist. Selbst Fachanwälte für Familienrecht sind beim Elternunterhalt oft überfordert - ebenso wie die Sachbearbeiter bei den Sozialhilfeträgern. Letztere verfügen i.d.R. nicht über die erforderliche Ausbildung im Unterhaltsrecht und sie besitzen nicht die richterliche Unabhängigkeit, die für tatrichterliche Entscheidungen im Unterhaltsrecht notwendig wäre. Vielmehr unterliegen sie dem Zwang, für ihre Dienstherren möglichst hohe Einnahmen aus dem Elternunterhalt zu erzielen. Es verwundert insofern nicht, dass viele Unterhaltsberechnungen falsch sind und vom Familiengericht korrigiert werden.
Trotz des hohen Verwaltungsaufwands nahmen die Sozialhilfeträger laut Sozialhilfestatistik des Stat. Bundesamts im Jahre 2004 nur etwa 1,3% ihrer Ausgaben über den Elternunterhalt ein. Letztlich finanzieren die Elternunterhaltspflichtigen allenfalls den Verwaltungsaufwand, es kommt aber kein Cent tatsächlich bei den pflegebedürftigen Eltern an.
Nach § 8 SGB XI ist die pflegerische Versorgung der Bevölkerung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, denn Pflegebedürftigkeit kann JEDEN treffen.
Warum kommt die Allgemeinheit nur für die Pflegekosten von bedürftigen Kinderlosen und von Eltern auf, die wegen eigener Verfehlungen keinen Unterhalt von ihren Kindern fordern können?
Warum bestraft man gute Eltern, die leistungsfähige Kinder für die Gesellschaft herangezogen haben, mit der Unterhaltspflicht ihrer Kinder?
Ist das familienfreundlich?
Motiviert das zu Leistung?
Sehr geehrter Frau Fruhmann,
vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordnetenwatch zum Thema Elternunterhalt und Pflegeversicherung.
Die Gesellschaft in Deutschland wird älter. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf unser soziales Netz. Die einkommensabhängig finanzierten Sozialsysteme wie die Gesetzliche Kranken-, Renten- und schließlich auch die von Ihnen angesprochene Pflegeversicherung geraten an ihre Grenzen. Immer weniger Arbeitnehmer finanzieren die Systeme. Gleichzeitig steigt die Zahl der Bedarfsfälle.
Grundsätzlich beruhen unsere Sozialsysteme auf dem Gedanken, daß der Stärkere den Schwächeren stützt. Deutlich wird dies unter anderem an den einkommensabhängigen Beitragserhebungen. Dieser Gedanke unterstellt auch, daß sich zunächst jeder selbst bemüht, für sich zu sorgen.
Bei der Inanspruchnahme sozialer Leistungen steht deshalb die Bedürftigkeit des einzelnen im Mittelpunkt. Diese ist an objektive Kriterien geknüpft. Im Fall der Pflegeversicherung ist der leistungsberechtigte Personenkreis im zweiten Kapitel des SGBXI definiert. Nach § 14 Abs. 1 SGBXI gilt jemand als pflegebedürftig, wenn wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf. Nach § 15 SGBXI ist die Pflegebedürftigkeit in einzelne Pflegestufen einzuordnen. Danach bestimmen sich auch die Gewährung und Art der Pflegeleistungen im Einzelfall.
Dem Grundsatz, daß die pflegerische Versorgung der Bevölkerung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, § 8 Abs. 1 SGB XI wird damit grundsätzlich entsprochen. Das Risiko einer Pflegebedürftigkeit im Alter wird bereits zu einem großen Teil durch die Gemeinschaft getragen.
Die Feststellung, daß es sich bei der Pflege um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, schließt jedoch die Eigenverantwortung des Einzelnen und der Familien nicht aus. Es ist entspricht den rechtlichen Regelungen und ist Ausdruck des Generationenvertrages, daß Kinder über den Elternunterhalt zur Beteiligung an den Kosten für die Pflege der Eltern herangezogen werden können.
Die jetzigen Berufstätigen und Leistungsträger haben dabei sowohl ihre Kinder wie auch im Einzelfall ihre Eltern zu versorgen. In einer vom demographischen Wandel geprägten Gesellschaft tragen sie zudem durch Steuern und beträchtliche Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung wesentlich zur Finanzierung des Staates und der Sozialsysteme bei. Ich stimme daher grundsätzlich zu, daß dieser Generation nicht der finanzielle Spielraum und die Möglichkeit einer privaten Altersvorsorge durch eine Heranziehung zum Elternunterhalt genommen werden darf. Als zulässiger Beitrag für die Versorgung der eigenen Verwandten darf der Elternunterhalt deshalb nicht zu einer Entlassung des Sozialstaates aus der Verantwortung führen. Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. Juni 2005 hingewiesen. Die zukunftsfähige Ausgestaltung der Pflegeversicherung ist nicht zuletzt auch aus diesem Grund Ziel der Regierungskoalition in dieser Wahlperiode.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Scheuer, MdB