Frage an Andrea Wicklein von Peter S. bezüglich Gesundheit
Betr.: Notfall-Antibiotikum Colistin
Sehr geehrte Frau Wicklein,
das Antibiotikum Colistin kommt zum Einsatz, wenn verbreitete Antibiotika nicht mehr helfen. In „DER SPIEGEL“ vom 4. 6. 2016 wurde in einem Bericht über Superkeime im menschlichen Darm berichtet, dass Colistin in großen Mengen bei der Zucht von Scheinen, Rindern oder Geflügel eingesetzt wird. In vielen Fleischprodukten wurden Colistin-resistente Bakterienstämme gefunden. Dadurch könnte im menschlichen Darm ein Superkeim entstehen, der dann nicht mehr behandelbar ist. Wie stellt sich die Bundesregierung und die SPD zu diesem Problem?
Hochachtungsvoll
Peter Sauerland
Sehr geehrter Herr Sauerland,
Antibiotika gehören zu den größten Errungenschaften der Medizin. Seit der Entdeckung des Penicillins im Jahr 1928 und dem Einsatz als Medikament im Jahr 1941 sind diese zu einem der wichtigsten und effektivsten Instrumente in der Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten geworden.
Erreger verändern sich jedoch ständig. Die zunehmende Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen, wie in dem von Ihnen geschilderten Fall, stellt weltweit ein bedrohliches hochkomplexes Problem dar - auch in Deutschland. Es besteht zunehmend das Risiko, dass bislang wirksame Medikamente gegen bakterielle Infektionen gar nicht mehr oder nur noch begrenzt helfen. Für das Weltwirtschaftsforum zählen Antibiotikaresistenzen zu den größten Risiken der Weltwirtschaft. Ich bedanken mich, dass auch Sie bei diesem Thema so aufmerksam sind und möchte daher gern Ihre Frage beantworten.
Antibiotika sind derzeit unverzichtbar für Mensch und Tier im Hinblick auf die Behandlung bakterieller Infektionen. Die Entwicklung von Antibiotika mit neuem Wirkmechanismus wird wissenschaftlich immer schwieriger und kostenaufwendiger. Nur noch wenige pharmazeutische Unternehmen engagieren sich in der Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika, da zu den relativ hohen Entwicklungskosten die Gewinnaussichten für Antibiotika gering sind.
Die Gesundheit von Mensch und Tier muss im Bereich der Antibiotika-Resistenzproblematik gemeinsam betrachtet werden. Denn häufig werden bakterielle Infektionen bei Mensch und Tier von denselben Infektionserregern ausgelöst. Daher werden in der Human- und Tiermedizin häufig auch die gleichen Wirkstoffklassen für deren Therapie eingesetzt. Erreger, so auch Bakterien, können auch wechselseitig zwischen Mensch und Tier übertragen werden und Infektionskrankheiten auslösen (Zoonosen). Bei falscher Medikamentenabgabe bei Tieren, können also die Erreger auch auf den Menschen überspringen. Bei Haustieren kommt dies übrigens wesentlich häufiger vor, weil der Kontakt zwischen Haustier und Mensch häufig intensiver ist. Fleisch hingegen wird bei der Verarbeitung meist erhitzt und Keime abgetötet.
Ebenso gelangen resistente Bakterien aus Abwässern jedweder Art ins Trinkwasser und in Gewässer. Jede Anwendung - ob bei Mensch oder Tier - birgt das Risiko einer Resistenzbildung. Daher ist es das gemeinsame Ziel von Human- und Tiermedizin, Antibiotika im jeweiligen Bereich so sachgerecht und sorgfältig wie möglich einzusetzen.
Neben dem Erhalt der Wirksamkeit vorhandener Antibiotika stellt die Prävention von Infektionen einen wichtigen Aspekt dar. Die konsequente Einhaltung von allgemeinen Hygienestandards und ihre Überwachung ist eine notwendige Voraussetzung. Impfungen gehören zu den wirksamsten medizinischen Präventionsmaßnahmen, weshalb die Steigerung von Impfquoten als Präventionsmaßnahme gegen virale und bakterielle Infektionen und zur Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes in der Veterinär- und Humanmedizin von entscheidender Bedeutung ist.
Die Prävention von bakteriellen Infektionen hat einen direkten Einfluss auf die Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika.
Fakt ist nämlich leider auch, dass etwa 95 Prozent der Antibiotika-Resistenz-Bildung beim Menschen nicht durch die Ernährung, sondern durch falsche Medikamenteneinnahme oder Krankenhauskeime verursacht wird.
In der Human- und Tiermedizin ist eine grundsätzliche Sensibilisierung für das Thema Antibiotika-Resistenzen vor allem durch eine bessere Information und Aufklärung, der Ärzte und Tierärzte, der Bevölkerung und der Patienten erforderlich.
Nur, wenn die Länder ihren Öffentlichen Gesundheitsdienst so ausgestalten, dass er vor Ort handlungsfähig bleibt, kann Antibiotika-Resistenzen im ambulanten und stationären Bereich erfolgreich begegnet werden.
In der Nutztierhaltung muss zudem durch ein noch besseres betriebliches Gesundheits- und Hygienemanagement der Einsatz von Antibiotika auf das absolut notwendige Maß reduziert werden.
In der Nutztierhaltung gelten heute strenge Meldepflichten und Vorgaben. Seit 2011 sind pharmazeutische Unternehmen und Großhändler verpflichtet, die Abgabemengen von Tierarzneimittel mit antimikrobieller Wirkung zu melden. Seitdem ist ein erheblicher Rückgang der Abgabemengen an Antibiotika zu verzeichnen. Das 16. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (16. AMG-Novelle) strebt eine systematische flächendeckende Minimierung des Antibiotikaeinsatzes in Betrieben an, die Rinder, Schweine, Hühner und Puten zum Zweck der Mast halten, indem in einem Benchmarking die halbjährlich zu ermittelnden Therapiehäufigkeiten getrennt nach Nutzungsrichtung mit bundesweiten Kennzahlen verglichen werden und automatische Reduktionsmaßnahmen auslösen. Auf der Grundlage der Prüfung sind ggf. ein Antibiotikaminimierungsplan zu erstellen und entsprechende Maßnahmen durchzuführen.
Die Erforschung und Entwicklung neuer Antibiotika, alternativer Behandlungsoptionen sowie von Impfstoffen und Diagnostika müssen intensiviert werden. Die jährlichen Kosten durch Antibiotika-Resistenzen liegen in der EU bei schätzungsweise 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Es wird mit steigenden Kosten in den kommenden Jahrzehnten gerechnet. Die OECD schätzt die Kosten für OECD- Länder durch Antibiotika-Resistenzen für 2050 auf insgesamt 2,9 Billionen US Dollar, wenn nicht gegengesteuert wird. Die Kosten für die erforderliche Diagnostik sowie für Investitionen in Forschung sind Investitionen in die Zukunft, die sich rechnen, denn diese werden die Kosten durch Fehltherapien und Antibiotika-Resistenzen senken.
Angesichts der hohen Bedeutung von Antibiotika in der Veterinär- und Humanmedizin sind Tierhalter, Tierärzte, Ärzte und Patienten sowie Wissenschaft und Politik angehalten, weitere Anstrengungen zu unternehmen, um den Antibiotikaeinsatz insgesamt zu minimieren. Ein nationaler Ansatz zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen ist unverzichtbar, reicht aber nicht aus. Denn Bakterien und auch Resistenzen kennen keine Grenzen. Deshalb ist eine noch intensivere Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene existentiell, um die Resistenzbildung zu verlang-samen und neue Antibiotika zu entwickeln. Die Bekämpfung von Resistenzen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Diese kann nur gelöst werden, wenn alle Beteiligten in der Human- und Tiermedizin, Forschung und Entwicklung sowie im Bereich des Umweltschutzes zusammen arbeiten und unter dem "One health"-Ansatz gemeinsame Lösungen entwickeln.
Derzeit arbeiten wir als SPD Bundestagsfraktion an gesetzlichen Veränderungen.
Wir wollen einige Dinge im Bereich der Landwirtschaft fundamental ändern, z.B. dass jedem Tierbestand ein Tierarzt zugeordnet, der für diesen verantwortlich ist und ihn genau kennt. Derzeit können Tierärzte rabattiert Medikamente abtreten, wodurch leider auch ein Missbrauch entstehen kann, wenn die Rabatte weitergegeben werden. Wir sollen, dass Tierärzte das Recht einzukaufen behalten, aber die Rabatte sollen sie nicht weitergeben können. Wir wollen, dass die Beratungsleistung von Tierärzten im Vordergrund steht. Landwirte sollen verpflichtet werden, vollumfänglich über ihre Bestände zu informieren. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft soll Landwirte mehr in die Pflicht nehmen und die Weiterbildung und Beratung der Landwirte stärken. Statt übermäßiger Medikamenteneingabe, soll der Fokus darauf liegen, die Tiere gesund zu halten. Es gibt noch viel zu tun, da sich in den letzten Jahrzehnten einige Missstände angesammelt haben.
Ich hoffe, dass ich Ihnen die Position der SPD ausführlich darlegen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Wicklein