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Frage von Horst F. •

Frage an Andrea Wicklein von Horst F.

Sehr geehrte Frau Wicklein,

beim Blick auf das Abstimmungsverhalten der mir bekannten Bundestagsabgeordneten zum Asylpaket II habe ich festgestellt, dass Sie seit Oktober 2015 an keiner Abstimmung im Bundestag mehr teilgenommen haben. Als Babelsberger Bürger interessiert mich das "warum?" (entschuldigen Sie bitte, wenn ich ggf. einen bereits öffentlich bekannten Grund nicht mitbekomemn habe).
Des weiteren interessiert mich Ihre Position zum Asylpaket II. Wie bewerten Sie die Position Ihres Fraktionskollegen, dem bis Dato Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Christoph Strässer, der dem Gesetz aus Gründen, die mit seinem engagierten Einblick in die weltweite Menschenrechtslage zusammenhängen, nicht zustimmen konnte.

Mit freundlichem Gruß
Horst Furtner

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Furtner,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage und ihr Interesse an dem so wichtigen Thema der Geflüchtetenpolitik. Leider konnte ich krankheitsbedingt nicht an Abstimmungen teilnehmen. Das ist das erste Mal für längere Zeit in den vergangenen 14 Jahren, in denen ich bereits Mitglied des Deutschen Bundestages bin. Ich bitte dafür um Verständnis.
Gern möchte ich Ihnen aber meinen Standpunkt erläutern.
Ich hatte im letzten Jahr immer wieder Gelegenheit, Geflüchtete persönlich kennenzulernen und kann absolut nachvollziehen, dass Menschen vor Gewalt, Krieg, Verfolgung fliehen und ihr Land verlassen, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen und ihnen eine Zukunfts- und Überlebensperspektive zu geben. Diese Menschen sind gezwungen alles zurückzulassen, weil sie ihre Heimat unfreiwillig verlassen. Viele von ihnen sehnen sich danach, schnellstmöglich zurückkehren zu können. Das Leid, dass die zu uns Flüchtenden dabei auch auf der Flucht erleben, ist hingegen für uns nur schwer vorstellbar.
Es ist daher unsere Verantwortung und moralische Pflicht, den Flüchtenden alle uns mögliche Hilfe zukommen zu lassen. Auch rechtlich ist diese Verpflichtung geregelt, seit Deutschland den Genfer Flüchtlingskonventionen beigetreten ist und sich damit zum Schutz von flüchtenden Menschen verpflichtet hat.
Eine der wichtigsten Aufgaben ist die Bekämpfung von Fluchtursachen. Zu den Fluchtursachen gehören neben Gewalt und Krieg, auch Diskriminierung, z.B. von Roma, die Auswirkungen des Klimawandels oder wirtschaftliche Perspektivlosigkeit.
Zu diesem Thema hat die SPD Arbeitsgruppe Zusammenarbeit und Entwicklung ein Positionspapier entwickelt und konkrete Forderungen formuliert. Sie finden das Positionspapier unter folgendem Link: http://www.spdfraktion.de/sites/default/files/pospapier_der_agwz_fluchtursachen.pdf .
Solange wir die Fluchtursachen nicht bekämpft haben, kann man es den Menschen nicht verdenken, dass sie sich auf den Weg in sichere Länder machen.

Natürlich stehen wir in Deutschland auch deshalb vor großen Herausforderungen. Ich bin aber froh, dass wir nun in allen Bereichen Fortschritte machen. Ich bin aber auch der Meinung, dass es möglich sein muss, dass sich die europäischen Mitgliedsstaaten in Gänze solidarisch verhalten, sonst können wir den europäischen Gedanken beerdigen.

Unter den Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sind viele, die nur eine geringe Bleibeperspektive haben. Bis sie diese Gewissheit erhalten, müssen sie jedoch oft monatelang auf die Entscheidung ihres Asylantrags warten. Das liegt nicht zuletzt auch an der hohen Arbeitsbelastung des zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das einen Rückstand von rund 770.000 noch offenen Asylverfahren hat. Diese Situation ist für die zuständigen Behörden, für Länder und Kommunen ebenso wie für die Asylbewerber/-innen selbst nicht tragbar. Es ist daher unerlässlich, ihre Asylersuchen zügig zu bearbeiten, um eine menschenwürdige Aufnahme, Unterbringung und Versorgung zu gewährleisten. Denn eine schnelle Entscheidung ihrer Asylanträge ist nicht das Ende der Willkommenskultur, sondern ihre Voraussetzung.
Der Anteil der Menschen, die aus Nicht-Kriegsgebieten kommen, ist jedoch deutlich zurückgegangen. Und richtig ist auch, dass ein Großteil dieser Asylsuchenden keinen Schutzstatus erhält.
Daher haben sich die Bundesregierung und Koalitionsfraktionen auf das Asylpaket II geeinigt. Auf einige dieser unterschiedlichen Maßnahmen des Asylpakets II, insbesondere jene, die die Verfahren von Asylbewerber/-innen mit geringer Bleibeperspektive vereinfachen und beschleunigen, möchte ich kurz eingehen.
Diese Vereinfachung und Beschleunigung sorgt aus meiner Sicht für die dringend notwendige Entlastung und schafft mehr Ordnung und Steuerung bei der Aufnahme und Registrierung.
Für bestimmte Asylsuchende wird ein beschleunigtes Asylverfahren eingeführt. Dazu gehören solche aus sicheren Herkunftsstaaten, Folgeantragssteller/-innen sowie Asylbewerber/-innen, die keine Mitwirkungsbereitschaft zeigen, weil sie beispielsweise falsche Angaben zu ihrer Identität machen, mutwillig ihren Pass vernichten oder sich der Abnahme von Fingerabdrücken verweigern. Menschen, die unverschuldet ihren Pass nicht mehr besitzen oder verloren haben, weil sie zum Beispiel fluchtartig ihre Heimat verlassen mussten, fallen nicht unter die beschleunigten Verfahren. Über Asylanträge dieser Personengruppen wird das BAMF innerhalb von einer Woche entscheiden. Rechtsmittelverfahren werden innerhalb von zwei Wochen durchgeführt.

Zudem werden sie in besonderen Aufnahmeeinrichtungen untergebracht, in denen sie verpflichtet sind zu wohnen. Bei einem Verstoß gegen diese Auflage soll das Asylverfahren grundsätzlich eingestellt werden, es sei denn, die Person kann unverzüglich nachweisen, dass es sich hierbei um einen unverschuldeten Verstoß handelte. Sofern das Asylverfahren eingestellt wird, besteht zudem die Möglichkeit der einmaligen Wiederaufnahme.

Die Union forderte ursprünglich riesige Auffanglager an den Grenzen Deutschlands, in denen mehrere Tausend Menschen unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht werden sollten. Das hat die SPD mit der Schaffung dieser besonderen Aufnahmeeinrichtungen verhindert.

Mit dem Asylpaket II werden die Rahmenbedingungen für ärztliche Atteste im Zusammenhang mit Abschiebungen konkretisiert, für die bislang keine einheitlichen Vorgaben existierten. Dazu zählt eine widerlegbare Vermutung für das Fehlen gesundheitlicher Abschiebungshindernisse, eine Präzisierung der methodischen Anforderungen an Atteste sowie eine Pflicht zur unverzüglichen Vorlage. Ärztliche Atteste "auf Vorrat", die in einigen Fällen erst dann vorgelegt wurden, wenn eine Abschiebung bereits eingeleitet worden ist, sind damit künftig nicht mehr möglich.

Weiterhin gilt: Lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, verhindern eine Abschiebung.
Viele der Asylbewerberinnen und Asylbewerber haben in ihren Heimatländern und auf ihrer Flucht Schreckliches erlebt. Krieg, Terror, Verfolgung und nicht zuletzt die
Fluchterfahrung können traumatische Erkrankungen zur Folge haben. Solch traumatische Erkrankungen sind als Abschiebehindernis nicht prinzipiell ausgeschlossen. Auch eine posttraumatische Belastungsstörung kann eine Abschiebung verhindern, sofern die Abschiebung zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt.
Die SPD hat in den Verhandlungen zum Asylpaket II auch Maßnahmen durchgesetzt, die wesentliche Verbesserungen mit sich bringen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Schutz minderjähriger Geflüchteter erhöht. So dürfen Beschäftigte und regelmäßig ehrenamtlich tätige Personen in Flüchtlingsunterkünften, die in Kontakt zu Minderjährigen stehen, nicht durch Gewalt- und Sexualdelikte aufgefallen sein und müssen daher ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen.

Darüber hinaus wurde vereinbart, in einem weiteren Gesetzgebungsverfahren Regelungen für mehr Rechtssicherheit und Verfahrensvereinfachungen für auszubildende Flüchtlinge und ausbildende Betriebe zu schaffen. Auszubildende sollen für die Dauer ihrer Ausbildung (3 Jahre) und weitere 2 Jahre danach ein Aufenthaltsrecht bekommen.

In einem weiteren Schritt gilt es nun, mit umfassenden Maßnahmen die gesellschaftliche Integration geflüchteter Menschen erfolgreich zu gestalten. Besonders wichtig ist mir die Sprach- und Integrationsförderung. Die Menschen brauchen Perspektiven, wir wollen ihnen diese bieten. Wir sind überzeugt davon, dass Bildung die Schlüsselrolle für die erfolgreiche langfristige Integration zukommt. Das alleine auch deshalb, weil es sich bei den Flüchtlingen in hohem Maße um Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene handelt, die über Bildung gezielt und gut erreicht werden können. 25 Prozent sollen unter 16 Jahre alt sein, ein weiteres Viertel unter 25 Jahre. Das ist aber auch eine unglaublich große Chance für unsere Gesellschaft, die in einem bedenklichen Maße vom demografischen Wandel betroffen ist.

Es ist und bleibt eine Gesamtaufgabe für unsere Gesellschaft, die uns innen- und außenpolitisch weiter fordern wird.
Das bedeutet allerdings auch, sich nicht von rechtspopulistischen Hetzerinnen und Hetzern ausspielen zu lassen. Die Grundwerte unserer Gesellschaft wie z.B. Gleichberechtigung, aber auch der Rechtsstaat und Demokratie, sind kein Ergebnis rechtspopulistischer Politik. Sie wurden durch unsere Demokratie, die etablierten Parteien und unsere tolerante Gesellschaft gestärkt und gegen Angriffe geschützt. Wohin uns rechtspopulistische Politik mit nationalistischer und Sündenbock-Rhetorik gebracht hat, sollten wir auch nie vergessen.
Als SPD wollen wir, dass Deutschland ein offenes und starkes Land bleibt, das allen seinen Menschen die Chance auf ein gutes Leben bietet. Daran werden wir als SPD-Bundestagsfraktion auch weiterhin mit ganzer Kraft und vollem Einsatz arbeiten!

Mit freundlichen Grüßen

Andrea Wicklein