Frage an Andrea Wicklein von Gunter F. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Wicklein,
bekanntlich litt Brandenburg in den letzten beiden Jahrzehnten unter Abbwanderung gut ausgebildeter und motivierter Fachkräfte, was die Politik zurecht beklagt. Brandenburger Medien berichten andererseits immer wieder über Fachkräftemangel in Brandenburg und begründen damit notwendigen Zuzug von Nichtbrandenburgern.
Während eines mehrmonatigen Aufenthalt im Südosten Schwedens stellte ich fest, dass dort sehr viele exBrandenburger wohnen, leben und arbeiten. Gesprächen mit schwedischen Immobilienmaklern entnehme ich, dass in den nächsten Monaten weitere Brandenburger folgen werden.
Worin sehen Sie Ursachen dieser Wanderungsbewegung nach Schweden? Was tun Sie persönlich, um dieser Abwanderung entgegen zu wirken? Ist es volkswirtschaftlich nicht sinnvoller Abwanderung entgegen zu wirken, als mit viel Aufwand unter entsprechendem Einsatz von Steuergeldern Fachkräftemangel durch Werbung zum Umzug nach Brandenburg zu bewegen?
Mit freundlichen Grüßen
Gunter Flügel
Sehr geehrter Herr Flügel,
ich habe ihre E-Mail bezüglich der Abwanderung qualifizierter Fachkräfte aus Brandenburg erhalten und mit Interesse gelesen. Die späte Antwort bitte ich zu entschuldigen.
In der modernen, immer stärker wissensbasierten Wirtschaft, spielt die Qualifikation eine maßgebliche Rolle. Deutschland ist ein Land mit gut ausgebildeter Erwerbsbevölkerung. Laut einer Studie der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, 2007) verfügen 58 % der 25- bis 64-Jährigen über ein Abitur oder einen Lehr- bzw. Berufsfachschulabschluss. Der Anteil der Hochqualifizierten - mit Universitäts-, Fachhochschul- und Fachschulabschlüssen - liegt bei 25 %. In Brandenburg ist das Qualifikationsniveau der Erwerbsbevölkerung sogar noch höher, denn 61 % der Erwerbsbevölkerung in Brandenburg besitzt ein Abitur, einen Berufs- oder Berufsfachschulabschluss. Der Anteil der Hochqualifizierten liegt mit 32 % auch über dem Bundesdurchschnitt. Auch im internationalen Vergleich steht Brandenburg damit sehr gut da.
Doch nach drei Jahrzehnten, die von einem Überangebot an Arbeitskräften geprägt waren, werden die nächsten Jahrzehnte in Folge des Geburtenrückgangs vor allem jedoch durch einen Mangel an qualifizierten Fachkräften geprägt sein. Zugleich geht die derzeitige Entspannung am Arbeitsmarkt an Langzeitarbeitslosen und am Arbeitsmarkt benachteiligten Gruppen größtenteils vorbei. Ohne eine entschlossene Politik, die Arbeitsplätze schafft, Bildung ins Zentrum stellt und auch Langzeitarbeitslose besser in den Arbeitsmarkt integriert, droht ein gespaltener Arbeitsmarkt - mit Fachkräftemangel einerseits und hoher Sockelarbeitslosigkeit andererseits. Um dies zu verhindern, müssen Wirtschafts-, Finanz- und Bildungspolitik durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik flankiert werden, die Qualifizierung und Weiterbildung ins Zentrum stellt. Hierzu sind wirksame Förderinstrumente erforderlich, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Des Weiteren muss das Lohnniveau auf einen einheitlichen Betrag für Ost- und Westdeutschland angeglichen werden. Dies gilt insbesondere auch für die Rentenberechnungssysteme der Arbeitnehmer. Meine Recherchen haben ergeben, dass in dem Jahr 2009 rund 45.000 Deutsche mit einem Fachhochschul- bzw. Hochschulabschluss in den EU-15-Mitgliedsstaaten (zu denen auch Schweden gezählt wird) seit maximal 5 Jahren lebten. Umgekehrt lebten zu diesem Zeitpunkt etwa 48.000 Migranten mit dem gleichen Bildungsabschlüssen seit maximal 5 Jahren aus eben diesen EU-15-Staaten in Deutschland. Zusammengefasst weist die gesamte Bundesrepublik somit eine weitgehend ausgeglichene Wanderungsbilanz von Fachkräften auf. Ein vergleichbares Bild zeigt sich bei den so bezeichneten "Führungskräften". Die Auswanderungsbewegung ist somit keine Einbahnstraße in das Ausland. Es zeichnet sich auch verstärkt eine Rückwanderungsbewegung nach Brandenburg aus den alten Bundesländern ab - vor allem die vorhandenen Kitaplätze sind für die Weggezogenen ein Kriterium. Zusammenfassend sehe ich die Auswanderung von hochqualifizierten Personen nicht als auschlaggebenden Faktor bei dem prognostizierten "Fachkräftemangel", sondern eine mangelnde Qualifizierung und Weiterbildung von zukünftigen Arbeitnehmern. Dessen ungeachtet müssen die angesprochenen Gründe der Auswanderungen durch eine aktive Wirtschafts-, Finanz-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik angegangen werden, um die bereits qualifizierten Fachkräfte an Brandenburg zu binden.
Mit freundlichen Grüßen
Andrea Wicklein