Frage an Alfred Schubert von Georg W. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Schubert,
mit meinen Schülern (ca. 18-22 Jahre alt) hatte ich über die Bedeutung des Fremdsprachenerwerbs diskutiert. Es herrschte große Einigkeit, dass es einerseits den Horizont erweitert und es andererseits hilfreich dabei ist, einen anderen Blick auf viele Dinge zu bekommen, wenn man sich in einer Fremdsprache übt.
Darüberhinaus waren sich alle einig, dass Englisch, da ja "unumstritten Weltsprache", die Sprache sei, die zuvorderst jeder zu erlernen habe. Der hohe Rang rechtfertigt sich nicht zuletzt hinsichtlich der weltweiten amerikanischen Vormachtstellung unter anderem im wirtschaftlichen als auch im militärischen Bereich.
Wie steht es aber nun um die Engländer, englisch sprechenden Amerikaner und die Australier, so entwickelte sich im Diskussionsverlauf eine Gegenthese, müssen die nicht irgendwann durch Horizontverengung und eingeschränkten Durchblick um ihre Vormachtstellung fürchten?
An dieser Stelle möchte ich Sie fragen: Kann Esperanto da Abhilfe leisten? Wenn jeder Bürger, egal aus welchem Staat er kommt, Esperanto als Brückensprache zur internationalen Verständigung erlernt und nutzt, dann profitieren auch Engländer und Amerikaner davon, weil sie sich durch das Erlernen von Esperanto dem Begleiteffekt aussetzen, ihren kulturellen Horizont wesentlich zu erweitern.
Oder aber ist das beim Erlernen von Esperanto nicht in gleicher Weise gegeben wie beim Erlernen anderer Fremdsprachen, da ja mit Esperanto kein bestimmtes Land mit einer bestimmten Kultur im Hintergrund steht?
Sehr geehrter Herr Weil,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ich stimme ihrer Argumentation voll zu. Wer Sprachen lernt, lernt, dass man das amorphe Kontinuum der Realität nicht nur mit den Be-Griffen greifbar machen kann, die eine Sprache bietet, sondern auch mit anderen, die die Realität anders unterteilen. Ich habe das nicht nur im meinem Studium der Anglistik und der Romanistik selbst erfahren, sondern auch bei anderen beobachtet.
Ich möchte mich nicht negativ über andere äußern und bitte dafür um Verständnis, dass ich mich zu Bildungshorizont vieler (nicht aller!) Amerikaner nicht äußern möchte. Auch nicht über eine mögliche weitere Entwicklung.
Aber nun zum Esperanto. Es bietet mit Sicherheit eine zusätzliche Chance, egal für wen, da es als zusätzliche Sprache eine zusätzliche Möglichkeit bietet, die Welt zu sehen. Dies gilt auch für Menschen, die es von Geburt an sprechen, da diese in allen mir bekannten Fällen mehrsprachig aufgewachsen sind.
Esperanto bietet wie jede andere Sprache auch die Möglichkeit, sich mit einer neuen Kultur und einem neuen Land vertraut zu machen. Es gibt ein "Esperantoland" mit einer eigenen Esperantokultur. Das Land hat natürlich kein Territorium mit Grenzen darum herum, aber es existiert und hat tatsächlich seine eigene Kultur. Die Sprecher treffen sich häufig - heuer z.B. zu Pfingsten in Herzberg am Harz und Ende Juli in Bialystok, um ihre Kultur zu leben. Diese Treffen sind so eine Art temporäres "Land". Die Kultur wird im Wesentlichen durch den "Homaranismus" geprägt, eine Weltanschauung, die auf den Esperanto-Erfinder Zamenhof zurückgeht. Außerdem gibt es natürlich Literatur in Esperanto und Esperantogeld (steloj) und noch vieles mehr.
Noch weitere Fragen? Schreiben Sie mir.
Korajn salutojn
Alfred Schubert