Frage an Alexander Radwan von Reinhold R. bezüglich Gesundheit
Auf der Internetseite „www.corona-katastrophenschutz.bayern.de“ steht, ich zitiere „ Die Belegungen und Zugänge in den Krankenhäusern sind besorgniserregend“. Nach dem ich die Daten des DIVI-Intensivregisters für das Jahr 2020 auswertete und ansah stellte sich mir folgende Frage: Wie kommt es das in einer Pandemie die Anzahl der Intensivbetten abgebaut werden? So wurden z.B. die Low care Betten von ca. 3000 auf 1500 und die High care von 8000 auf 5000 verringert!
Vielen Dank im voraus für Ihre Bemühungen.
Sehr geehrter Herr Reistle,
Danke für Ihre Frage. Es kursieren derzeit viele Falschbehauptungen bezüglich der Intensivbettenkapazität. Die Daten basieren auf dem DIVI Intensivregister, das zu Beginn der Pandemie aus der Taufe gehoben wurde, um die Koordination zwischen Kliniken, Rettungsleitstellen, Sanitätern etc. zu vereinfachen und um als Wegweiser hinsichtlich der vorhandenen Kapazitäten zu dienen. Die Meldung der Betten soll folglich unter 2 Minuten dauern, deshalb kann das DIVI nicht nach Gründen oder weiteren Parametern fragen. Die Kurvenverläufe der Intensivbettenkapazitäten können bedauerlicherweise also nur interpretiert werden.
Um es kurz zu machen: Nein, während der Pandemie wurden nicht in größerem Maße Intensivbetten abgebaut, schon gar nicht politisch willentlich. So sind in den Tagesreports des Registers bspw. am 22. April (relativ zu Anfang des Intensivregisters) insgesamt 31.885 Intensivbetten ausgewiesen, exakt 8 Monate später sind es mit den Notfallkapazitäten am 22. Dezember insgesamt 37.903 Betten.
Schwankungen und kleinere Verringerungen an verfügbaren Intensivbetten können auf mehrere Erklärungsansätze zurückgeführt werden:
1. Seit dem 1. August sind für die Intensivmedizin wieder die Personaluntergrenzen in Kraft getreten. Das heißt, eine Klinik darf keine Betten belegen, wenn nicht tagsüber der Schlüssel 2,5:1 (also eine Pflegekraft für 2,5 Betten) und in der Nacht 3,5:1 erfüllt ist. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/personaluntergrenzen.html Aus diesem Grund sind seit August weniger Betten im Register ausgewiesen, da Kliniken vorher erfahrenen Kräften oder ganzen Teams mehr zugemutet haben.
2. Es wurde zum 4. August eine neue, verbesserte und präziser definierte Abfrage der intensivmedizinischen Kapazitäten eingeführt, weiter kam das Datenfeld zur Erfassung der Notfallreservekapazitäten neu hinzu. Die Angaben zur Anzahl der freien betreibbaren Bettenkapazitäten haben sich in den folgenden Meldungen stark reduziert. Die Daten legen nahe, dass beispielsweise ein Teil der vorher gemeldeten freien Bettenkapazitäten nun als Notfallreservekapazität gemeldet wird. Der "Zahlenknick" im August ist also auf eine Veränderung in der Datenabfrage zurückzuführen.
3. Am 30. September endete vorerst die Freihaltepauschale für Intensivbetten sowie die Pauschale für die Schaffung neuer Behandlungsplätze. Da haben leider viele Kliniken dem finanziellen Druck nachgegeben und Intensivbetten wieder zurückgewandelt in Betten der Normalstation. Teilweise hatten im Frühjahr einige Häuser ja ganze Stockwerke für COVID-Patienten umgeräumt und aufgerüstet.
4. Auch haben Kliniken in der Anfangszeit teilweise nicht wie von der DIVI gewünscht die „betriebsbereiten Betten“ gemeldet, also Betten, für die Pflegepersonal zur Verfügung steht und in denen sofort ein Patient behandelt werden kann. Einige Kliniken haben stattdessen leider doch ihre tatsächlich einfach nur vorhandenen Betten gemeldet. Nach zahlreichen Appellen und Erinnerungen bei der Meldung hat sich hierdurch die Zahl der Betten im Register Ende Oktober/Anfang November leider noch einmal deutlich reduziert.
5. Derzeit ist wohl ein ausgesprochen wichtiger Faktor: Personal erkrankt vermehrt (saisonal bedingt oder eben auch an Covid-19) – oder fällt aus anderen Gründen aus (Kind kann z.B. nicht in die Kita und es kann keine Betreuung organisiert werden). Nach der derzeitigen Personaluntergrenze des Bundes fallen aber mit jeder ausfallenden Pflegekraft 2,5 betreibbare Intensivbetten kurzfristig weg!
Zusätzlich sollte bei derzeit freien Intensivbetten beachtet werden, dass oftmals Patienten von Intensiv- auf Normalstationen verlegt werden und viele Operationen verschoben werden, um mehr Platz für Covid-Patienten auf den Intensivstationen zu schaffen. Außerdem greifen in vielen Regionen Verteilungsmechanismen zwischen den Krankenhäusern, um Überbelastungen in einzelnen Hotspots entgegenzuwirken. Wir haben es vor allem diesen Maßnahmen und der in Deutschland relativ hohen Anzahl an Intensivbetten pro 100.000 Einwohner zu verdanken, dass in der derzeit sehr angespannten Situation noch immer jeder Patient behandelt werden kann.
Wie Sie sehen, die Antwort ist wieder einmal etwas komplexer, als es manche gerne hätten. Ich hoffe, Ihnen weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichem Gruß
Alexander Radwan