Frage an Alexander Krauß von Mike S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Wie werden Sie bei der Abstimmung zum "Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" stimmen?
Wie bewerten Sie, dass der o. g. Entwurf dem Bundestag und den Länderparlamenten keine Mitsprachemöglichkeiten mehr zu Art und Dauer von Maßnahmen einräumt?
Sehr geehrter Herr Schmidt,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich habe bei besagtem Gesetz mit Ja gestimmt. Die Gründe dafür möchte ich Ihnen im Folgenden darlegen.
Nach wie vor befinden wir uns weltweit und so auch in Deutschland in einer sehr dynamischen und ernstzunehmenden Situation. Die Zahl der COVID-19-Fälle ist besorgniserregend angestiegen. Gleichzeitig ist auch die Zahl der COVID-19-Intensivpatienten in deutschen Krankenhäusern gestiegen. Die Infektionszahlen sind zu hoch. Deswegen müssen auch weiterhin Maßnahmen getroffen werden, um Leben und Gesundheit zu schützen, die außerordentliche Belastung des Gesundheitssystems abzufedern, den Öffentlichen Gesundheitsdienst zu entlasten und die Infektionszahlen zu senken. Um dies zu ermöglichen, überarbeiten wir mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz, das wir am 18. November 2020 mit zahlreichen Änderungen der Koalitionsfraktionen im Vergleich zum Entwurf vom 3. November im Deutschen Bundestag angenommen haben, das Infektionsschutzgesetz.
Mit dem Infektionsschutzgesetz ermöglichen wir es der Bundesregierung und den Landesregierungen, notwendige Schutzmaßnahmen durch Rechtsverordnungen auf den Weg zu bringen, um der Verbreitung übertragbarer Krankheiten entgegenzutreten. An dieser Zuordnung der Aufgaben ändert das nun beschlossene 3. Bevölkerungsschutzgesetz nichts. Mit der langen Dauer dieser Pandemie ist aber deutlich geworden, dass das Infektionsschutzgesetz in der alten Fassung nicht mehr alle Anforderungen der Pandemie-Bekämpfung im Jahr 2020 erfüllt hat.
So war eine Pandemie dieser Dauer und dieses Ausmaßes bislang nicht bekannt. Dies umso mehr, als Medikamente zur Behandlung oder ein Impfstoff bislang nicht zur Verfügung stehen. Deshalb hat der Deutsche Bundestag den gesetzlichen Rahmen im Infektionsschutzgesetz mit einem neuen §28a konkret an die COVID-19-Pandemie angepasst. Wir haben mit dem nun verabschiedeten Gesetz der Koalitionsfraktionen die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten in §§ 28 ff des Infektionsschutzgesetzes nicht ausgeweitet, sondern – im Grunde in Ihrem Sinne – die Vorschriften enger gefasst, präzisiert und konkretisiert. Vor diesem Hintergrund danke ich auch Ihnen für Ihre Anmerkungen zu dem Gesetzentwurf.
Konkret schaffen wir mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz einen klaren und rechtsicheren Rahmen – und damit auch eine feste Orientierung für die Bürgerinnen und Bürger. Wir benennen 17 spezifische Einzelmaßnahmen, die es den Landesregierungen erlauben, auf einen Anstieg der mit dem Coronavirus infizierten Personen zu reagieren. Zu diesen Einzelmaßnahmen gehören zum Beispiel die Maskenpflicht, Kontaktbeschränkungen, die Untersagung von Veranstaltungen und die Schließung der Gastronomie. Dabei muss permanent abgewogen werden zwischen einerseits den Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen, also in diesem Fall das Infektionsgeschehen weiter einzudämmen und andererseits weiteren Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger, die von den Einschränkungen betroffenen sind. Grundrechte sind prinzipiell nicht unbeschränkt gewährleistet, sie enden dort, wo die Grundrechte anderer beginnen, und müssen in einen sorgsamen Ausgleich gebracht werden. Das ist schon immer so, aber kommt in der aktuellen Krise besonders deutlich zum Tragen. An diesen Grundsätzen ändert sich auch mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz nichts.
Wir geben Ihnen Recht, diese Abwägung muss sorgsam getroffen werden. Deshalb verpflichten wir die Landesregierungen ihre Rechtsverordnungen zu begründen und versetzen Sie so in die Lage, sich ein Bild auch von dem Ziel der angeordneten Maßnahmen verschaffen zu können. Zudem wird es eine generelle Befristung der Schutzmaßnahmen auf vier Wochen geben. Eine Verlängerung muss dann durch die Länder wirksam begründet werden. Dadurch wird es gelingen, die Maßnahmen für die Bevölkerung noch transparenter zu machen. Und wir schaffen noch mehr demokratische Legitimation der Corona-Schutzmaßnahmen. Zudem bleibt es dabei: Der Deutsche Bundestag hat - wie schon bisher - jederzeit das Recht und die Möglichkeit, ein Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite zu beschließen und die auf dieser Basis vorübergehend erteilten Befugnisse wieder an sich zu ziehen. Im Übrigen können die Parlamente jede einzelne Rechtsverordnung auch jederzeit durch einfaches Gesetz außer Kraft setzen.
Erlauben Sie mir bitte noch einen Hinweis zu Ihren Ausführungen. Abgeordnete leisten keinen Amtseid, sie üben kein staatliches Amt aus, sondern wir verfügen über ein freies Mandat. Art.38 Abs.1 S. 2. des Grundgesetzes formuliert deshalb: „Sie [die Abgeordneten des Deutschen Bundestages] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Unser übergeordnetes Ziel mit dem Gesetz ist es, Leben und Gesundheit zu schützen, die Ausbreitung der Pandemie zu stoppen, das Gesundheitssystem vor Überlastung zu bewahren, Schulen und Kindergärten offen zu lassen und unsere Wirtschaft am Laufen zu halten.
Obendrein möchte ich explizit betonen, dass es sich beim vorliegenden Gesetz, anders als vielerorts behauptet, mitnichten um ein "Ermächtigungsgesetz" handelt. Die Demokratie wird nicht abgeschafft und der Rechtsstaat und die Gewaltenteilung bleiben selbstverständlich intakt. Auch wird der Einfluss des Deutschen Bundestages nicht eingegrenzt, sondern ausgeweitet. Das Parlament hat der Regierung mit diesem Gesetz nun recht genaue rechtliche Schranken aufgebaut, an welche sich diese zu halten hat und an welchem man jene auch messen wird. Der Deutsche Bundestag allein stellt fest, ob es sich um eine epidemische Lage nationaler Tragweite handelt und er allein ist es auch, der diesen Status wieder aufheben kann. In einer solchen Zeit verfügt die Regierung dann - das will ich keineswegs leugnen - über besondere Kompetenzen. Die jeweiligen Handlungen der Regierung sind jedoch stets zeitlich begrenzt und müssen sich in dem nun deutlicher konkretisierten Rahmen bewegen, welchen wir mit diesem Gesetz geschaffen haben. Sobald die Fristen enden oder der Deutsche Bundestag die epidemische Lager nationaler Tragweite für beendet erklärt, enden freilich auch die besonderen Befugnisse der Bundesregierung. Das Parlament kommt seiner Kontrollfunktion also absolut nach.
Zudem ist das vorliegende Gesetz keineswegs offensichtlich verfassungswidrig. Auch die Grundrechte werden nicht abgeschafft! Das Gesetz enthält keinerlei Regelung zur Abschaffung von Grundrechten. Wie bei allen Maßnahmen des Staates, die die Grundrechte der in Deutschland lebenden Menschen durchaus berühren (können), müssen die Verhältnismäßigkeit gewahrt und „soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen auf den Einzelnen und die Allgemeinheit“ berücksichtigt werden. Grundrechte können durch dieses Gesetz jedoch eingeschränkt werden. Im Grundgesetz Artikel 19 Abs. 1 heißt es: "Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen". Beides ist im Falle des vorliegenden Gesetzes der Fall. Dort werden in Artikel 7 jene Grundrechte genannt, welche - zeitlich begrenzt - eingeschränkt werden. Insofern ist dieses Vorgehen, anders als derzeit vielerorts behauptet, absolut mit dem Grundgesetz vereinbar.
Im Übrigen ist es auch nichts Neues, dass Grundrechte mitunter eingeschränkt werden können. Die Grundrechte einer Person werden beispielweise immer dann eingeschränkt, wenn durch etwaiges Handeln die Grundrechte anderer verletzt werden. Im Grundgesetz steht beispielsweise, dass alle Menschen frei handeln und entscheiden können. Der Staat verbietet jedoch Diebstahl, denn durch diesen wird das Grundrecht auf Eigentum einer anderen Person verletzt. Insofern wird an dieser Stelle das Grundrecht auf Eigentum höher bewertet als das Grundrecht auf freie Entscheidungen. Diese Abwägung ist, wie bereits erwähnt, nichts Neues, sondern vielmehr gängige Praxis und auch eine wichtige Grundlage für friedliches Zusammenleben in einer freien Gesellschaft.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Informationen weitergeholfen habe und zumindest einige Bedenken auflösen konnte.
Mit einem herzlichen Glückauf grüßt Sie
Alexander Krauß MdB