Frage an Albert Deß von Stefan D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Deß,
ich nehme Bezug auf meine Frage vom 09.04.2015. Darauf haben Sie bisher nicht reagiert.
Muss ich daraus schließen, dass Sie keine Meinung zum Thema TTIP und CETA haben? Das kann ich mir nicht vorstellen.
Ich wäre daher sehr dankbar, wenn Sie auf meine Anfrage vom 09.04.2015 antworten würden.
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
S. D.
Sehr geehrter Herr Donhauser,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Transatlantische Handels- und
Investitionspartnerschaft (TTIP).
Erlauben Sie mir, zunächst nochmals ganz grundsätzlich auf die Bedeutung des Freihandels für Deutschland und für unser Sozial- und Wirtschaftssystem einzugehen.
Deutschland als größte Volkswirtschaft in der EU und drittgrößter Exporteur weltweit profitiert in besonders hohem Maße von international frei handelbaren Gütern und Dienstleistungen sowie von grenzüberschreitenden Investitionen. Der Anteil der Exporte am deutschen Bruttoinlandsprodukt ("Exportquote") liegt bei rund 51 Prozent. Die deutschen Ausfuhren an Waren und Dienstleistungen betrugen rund 1,4 Billionen Euro im Jahr 2013. Freihandel ist zudem für die Wertschöpfungsketten innerhalb Europas von hoher Bedeutung. Zwei Drittel der europäischen Importe sind Rohstoffe, Zwischenprodukte oder Komponenten für Hersteller in der Europäischen Union. Ohne offene Märkte, durch Beschränkungen der Importe oder durch eine Verteuerung von Einfuhren würde somit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und deutschen Unternehmen verschlechtert und Arbeitsplätze gefährdet.
All diese Zahlen belegen, dass der freie weltweite Handel mit Waren und Dienstleistungen für Europa sehr wünschenswert ist. Er ist Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Prosperität und damit für den Erhalt von Lebensqualität, hohen sozialen Standards und kultureller Vielfalt in der EU und in Deutschland. Deutschland und die EU haben somit ein hohes Interesse an dem Abschluss von Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP. Diese Gesamteinschätzung müssen wir im Auge behalten, wenn wir über einzelne Aspekte der Abkommen wie zum Beispiel den Investitionsschutz reden. Zu berücksichtigen ist überdies, dass die Abkommen uns die – vielleicht letztmalige – Möglichkeit bieten, unsere hohen sozialen, umwelt- und verbrauchpolitischen Standards auch im 21. Jahrhundert weltweit zu verbreiten. Denn wenn es uns nicht gelingt, diese globalen Standards der Zukunft mit unseren amerikanischen Partnern zu setzen, werden sie von anderen aufstrebenden Mächten wie zum Beispiel China und Indien gesetzt.
Schon die Bezeichnung "Freihandelsabkommen", geschweige denn "Freihandelslüge", halte ich für falsch. Es wird - wenn die Bedingungen passen - ein Handelsabkommen mit Vorgaben und Auflagen geben. Dann ist es kein Freihandelsabkommen, sondern ein Handelsabkommen, ähnlich dem, wie wir es bereits mit vielen anderen Ländern haben.
Zu Ihrer Sorge um die Rolle der Schiedsgerichte:
Wussten Sie, dass bei ca. 90 Prozent der Schiedsgerichtsverfahren kleine und mittelständische Unternehmen klagen. Oft geht es um alltägliche Dinge, wie zum Beispiel die Vorenthaltung einer Lizenz oder ähnliches. Diese Unternehmen versuchen, sich gegen die Diskriminierung des Landes zu verteidigen, in dem sie Investitionen getätigt haben.
Die nationalen Gerichte in den USA beispielsweise wenden ausschließlich amerikanisches Recht an und sind nicht an internationale Abkommen wie TTIP gebunden. Außerdem werden US-Richter oftmals direkt vom Volk gewählt und fühlen sich daher ihren örtlichen Wählern in der Regel sehr verbunden. Diese Umstände führen immer wieder zu Diskriminierungen europäischer Investoren auch vor Gerichten in den USA.
Unabhängige Schiedsgerichte sind in diesen Fällen oftmals die einzige Möglichkeit für die europäischen Investoren, effektiven Rechtsschutz zu erhalten. Die CDU/CSU Gruppe im Europäischen Parlament spricht sich daher für eine Reform des Systems zum Schutz von Investoren und einen ausgewogenen Ansatz dazu in TTIP aus. Die pauschale Verweigerungshaltung vieler TTIP-Gegner gegenüber einem seit Jahrzehnten funktionierenden System der Streitschlichtung (die Bundesrepublik hat bereits 139 solcher Abkommen abgeschlossen), ist der falsche Weg. Statt aus ideologischen Gründen Ängste zu schüren, die in eine Sackgasse führen, brauchen wir klare Regeln und Investitionssicherheit. Diese brauchen nicht vorrangig die Großkonzerne, sondern die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).
Europa braucht einen starken Partner auf der Welt. Angesichts der wachsenden Dominanz Chinas und Indiens ist TTIP eine Chance für Europa, die Regeln der globalen Wirtschaftsordnung mit den europäischen Werten nachhaltig zu prägen.
Im Jahr 1950 hatte Europa einen Anteil von 22% an der Weltbevölkerung, im Jahr 2050 werden wir lediglich 7% Anteil haben, zusammen mit den USA nur noch 12%.
Am Ende werde ich dem vorliegenden Vertragsentwurf nur zustimmen, wenn er einen klaren Mehrwert für die Bürger und Kommunen Europas bildet. Agrarimporte in die EU dürfen nur dann zugelassen werden, wenn für diese Importe die europäischen Standards für Verbraucherschutz, Tierschutz, Umweltschutz und Sozialmindeststandards eingehalte werden. Bereits im Oktober 2010 habe ich einen Änderungsantrag dazu im Plenum eingereicht, der damals mit 535 Stimmen befürwortet wurde.
Im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments war sich die Mehrheit der Parlamentarier einig, dass wir TTIP als Chance für Europa sehen müssen, aber unsere europäischen Standards, einschließlich geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen bewahren müssen. Diese Position ist für mich die Grundlage für die Verhandlungen mit den USA.
Für sachliche Argumente bin ich aufgeschlossen, von pauschaler Angstmacherei halte ich nichts. Kurz vor dem Beitritt der ehemaligen Ostländer im Mai 2004 wurden ebenfalls die schlimmsten Befürchtungen dahingehend geäußert, dass wir mit Billigarbeitskräften und Billigprodukten größte Probleme bekommen werden. Das Gegenteil ist eingetreten. In den bayerischen Grenzlandregionen zu Tschechien haben wir die geringste Arbeitslosigkeit seit Jahrzehnten und wir liefern aus Bayern wesentlich mehr Produkte in die östlichen Länder als vor der Grenzöffnung.
Ich habe bei einem solide ausgehandelten Vertrag keine Angst vor den "Amerikanern", die uns 1945 von einer fürchterlichen Diktatur befreit haben, die mit Millionen von Care Paketen vielen Menschen nach dem Krieg geholfen haben, die mit einer Luftbrücke Westberlin vor Hunger und Kälte bewahrt haben, die uns eine wirtschaftliche Entwicklung und damit Wohlstand ermöglicht haben, die jetzt die Hauptlast tragen, damit nicht eines Tages IS-Terroristen an unseren Grenzen stehen. Nein, ich habe keine Angst vor den Amerikanern, sondern Angst vor denen, die uns Angst vor den Amerikanern machen.
Ich kenne keine größere Region der Welt, die uns kulturell und wirtschaftlich näher steht wie die Amerikaner. Ich werde für ein ausgewogenes Handelsabkommen stimmen.
Mit freundlichen Grüßen
Albert Deß