Frage an Albert Deß von Josef N. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Hr. Dess!
Die Resolution zum TTIP-Verhandlungsmandat, die das Europäische Parlament beschlossen hat, begrüßt die Aufnahme der Verhandlungen über das transatlantische Freihandels- und Investitionsabkommen TTIP.
Warum haben Sie dieser Resolution zugestimmt, obwohl dies hinter verschlossenen Türen verhandelt wird und die demokratischen Rechte der nationalen Parlamente übergeht?
Besten Dank für Ihre Antwort im Voraus und
mit sonnigen Grüßen
:-) Josef Neumeyer
Sehr geehrter Herr Neumeyer,
vielen Dank für Ihre E-Mail zum Thema Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP).
Ich beziehe gerne Stellung zu meiner Position hinsichtlich des transatlantischen Handelsabkommens. Wie alle Mitglieder des Europäischen Parlaments habe ich Einsicht in die wesentlichen Verhandlungsdokumente der EU zu TTIP. Daher kann man nicht davon sprechen, dass dies hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Diese Möglichkeit haben aber auch Sie. Deshalb darf ich Sie auf die Möglichkeit hinweisen, die Fakten einmal selbst nachzulesen. Die verhandlungsführende Europäische Kommission veröffentlich hier Ihre Positionen und die aktuellen Verhandlungsdokumente völlig transparent:
http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1252&serie=866&langId=de
Auf dem Gebiet der Handelspolitik verhandelt die Europäische Kommission im Namen der Europäischen Union und ihrer 28 Mitgliedstaaten. Es ist wirksamer, wenn eine Stimme für über 500 Mio. Menschen spricht, als wenn jeder Mitgliedstaat versuchte, separat zu verhandeln. Die EU-Kommission richtet sich dabei nach den Leitlinien, die im Rat, in dem die Regierungen aller Mitgliedstaaten vertreten sind, vereinbart sind. Also man kann nicht behaupten, dass die nationalen Parlamente nicht beteiligt sind. Im Gegensatz zum Europäischen Parlament finden übrigens die Ausschusssitzungen des Deutschen Bundestages zu 90% unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Auch möchte ich gerne Stellung zu den viel diskutierten Schiedsgerichten geben:Bei ca. 90 Prozent der Schiedsgerichtsverfahren klagen kleine und mittelständische Unternehmen. Oft geht es dabei um alltägliche Dinge, wie zum Beispiel die Vorenthaltung einer Lizenz oder ähnliches. Diese Unternehmen versuchen, sich gegen die Diskriminierung des Landes zu verteidigen, in dem sie Investitionen getätigt haben. Die nationalen Gerichte in den USA beispielsweise wenden ausschließlich amerikanisches Recht an und sind nicht an internationale Abkommen wie TTIP gebunden. Außerdem werden US-Richter oftmals direkt vom Volk gewählt und fühlen sich daher ihren örtlichen Wählern in der Regel sehr verbunden. Diese Umstände führen immer wieder zu Diskriminierungen europäischer Investoren auch vor Gerichten in den USA.
Unabhängige Schiedsgerichte sind in diesen Fällen oftmals die einzige Möglichkeit für die europäischen Investoren, effektiven Rechtsschutz zu erhalten. Die CDU spricht sich daher für eine Reform des Systems zum Schutz von Investoren und einen ausgewogenen Ansatz dazu in TTIP aus.
Die pauschale Verweigerungshaltung vieler TTIP Gegner gegenüber einem seit Jahrzehnten funktionierenden System der Streitschlichtung (die Bundesrepublik hat bereits 139 solcher Abkommen abgeschlossen), ist der falsche Weg. Statt aus ideologischen Gründen Ängste zu schüren, die in eine Sackgasse führen, brauchen wir klare Regeln und Investitionssicherheit. Diese brauchen nicht vorrangig die Großkonzerne, sondern die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Die Idee, eine "regulatorische Kooperation" zu vereinbaren, ist aus unserer Sicht ein gutes Mittel, um zukünftige Handelsbarrieren erst gar nicht entstehen zu lassen. Kooperation heißt hier ein gegenseitiger rein informeller Austausch. Dies wird die Handlungshoheit der Parlamente selbstverständlich _nicht_ einschränken. Demokratische Rechte von nationalen Parlamenten werden _nicht_ übergangen.
Europa braucht einen starken Partner auf der Welt. Angesichts der wachsenden Dominanz Chinas und Indiens ist TTIP eine Möglichkeit und Chance für Europa, die Regeln der globalen Wirtschaftsordnung mit den europäischen Werten nachhaltig zu prägen.
Am Ende werde ich dem vorliegenden Vertragsentwurf nur zustimmen, wenn
er einen klaren Mehrwert für die Bürger und Kommunen Europas bildet.
Agrarimporte in die EU dürfen nur dann zugelassen werden, wenn für diese
Importe die europäischen Standards für Verbraucherschutz, Tierschutz, Umweltschutz und Sozialmindeststandards eingehalte werden. Bereits im Oktober 2010 habe ich einen Änderungsantrag dazu im Plenum eingereicht, der damals mit 535 Stimmen befürwortet wurde.
Im Agrarausschuss des Europäischen Parlaments war sich die Mehrheit der Parlamentarier einig, dass wir TTIP als Chance für Europa sehen müssen, aber unsere europäischen Standards, einschließlich geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen bewahren müssen.
Diese Position ist für mich die Grundlage für die Verhandlungen mit den USA.
Daher werde ich für ein ausgewogenes Handelsabkommen stimmen.
Mit freundlichen Grüßen
Albert Deß