Warum unterstützt Deutschland die Ukraine in diesem Maße ?
Guten Tag Frau Brugger,
angesichts der bisherigen militärisch strategischen und taktischen Fähigkeiten der Russischen Streitkräfte, es sei denn, Putin hatte nie die Absicht die ges. Ukraine zu besetzten, ist mir die These: „Unterstützung der Ukraine bedeutet: Frieden und Freiheit in Europa verteidigen“ vollkommen unklar.
Es ist m.E. absolut nicht zu erwarten, dass die russische politische Führung die Absicht hat, eine militärische Auseinandersetzung mit Staaten der NATO zu provozieren.
Frage: 1. Welches pol./milit. Ziel soll die Ukraine durch die westl. Waffenlieferungen . erreichen?
2. Warum konkret soll Deutschland die Ukraine unterstützen?
PS: Auch habe ich den Satz von Peter Struck (SPD) von 2002: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ zwar damals gehört, aber bis heute scheint mir das Problem nicht erledigt zu sein.
Mit den besten Grüßen Rolf K.
Sehr geehrter Herr K.,
vielen Dank für Ihre Fragen.
Wie so viele andere Menschen, allen voran die unschuldigen Menschen in der Ukraine, die unter den grausamen Folgen dieses brutalen russischen Angriffskrieges am meisten leiden, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass der Krieg endlich endet.
Ich möchte Ihre beiden Fragen gerne gemeinsam beantworten. Aus meiner Sicht gibt es vier gute Gründe, warum wir die Ukraine auch mit Waffen unterstützen sollten. Manche sind militärisch, manche politisch, manche beides.
Ziel ist in erster Linie, die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen und die Kalküle so zu beeinflussen, dass die Gewalt endet, der Krieg aufhört und echte Verhandlungen stattfinden. Zugleich gilt es zu vermeiden, dass in der Welt der Eindruck entsteht, dass ein solches rücksichtsloses und brutales Vorgehen sich für den Aggressor lohnt und dadurch eine Reihe anderer aggressive Autokraten dazu ermutigt werden, es Wladimir Putin gleichzutun. Motivation sind daher also durchaus Solidarität und Werteüberzeugungen, aber auch sehr klar unsere eigenen Interessen. Würde der Kreml diesen Krieg gewinnen, wäre das ein herber Rückschlag, nicht nur für die Ukraine, sondern auch für unsere eigene Sicherheit und eine regelbasierte Ordnung, auf der wir unsere ganze Art und Weise zu leben und auch unser Wohlstand aufgebaut haben.
Es ist die russische Seite, die trotz zahlreichen Gesprächsangeboten und Sanktionsdrohungen diesen Krieg begonnen hat und auch nach Monaten keinen echten Willen zu Verhandlungen erkennen lässt. Deutlicher als mit einer Teilmobilmachung und einer Kriegsführung, die immer weiter eskaliert und entgegen der Bestimmung des Kriegsvölkerrechts vor allem zivile Ziele bombardiert, kann man wohl kaum zum Ausdruck bringen, dass derzeit von russischer Seite kein Interesse an Verhandlungen besteht.
Ich erinnere aber auch an die Zeit vor Kriegsausbruch und an die zahlreichen Gespräche und Vermittlungsvorschläge vieler Regierungschefs, Außenminister*innen, der NATO und der EU angesichts des russischen Truppenaufmarsches. In diesem Zusammenhang hat der Bundeskanzler auf der gemeinsamen Pressekonferenz in Moskau noch einmal explizit erklärt, dass eine Aufnahme der Ukraine in die NATO derzeit nicht ansteht. Inhalt vieler Gespräche war als Antwort auf die Aufrüstung das Angebot, über gemeinsame Sicherheit und Abrüstung zu verhandeln. Sanktionen wurden in vielen Staaten der Welt vorbereitet, nicht weil man sie verhängen wollte, sondern geleitet von der Hoffnung, sie nicht Realität werden lassen zu müssen, indem die Androhung von extremen wirtschaftlichen Folgen den Kreml von seinem Kriegskurs abbringen könnte. Auch wenn als das den Krieg nicht verhindern konnte, war und bleibt es richtig, dass diese Möglichkeiten zur Deeskalation und Diplomatie versucht worden sind. Aber sie haben leider nicht zu einem Ende der Gewalt geführt. Dieses Ziel hat in den befreiten Gebieten nur die ukrainische Selbstverteidigung erreicht.
Damit wäre ich beim ersten Grund: Ziel ist es, einen russischen Sieg unmöglich zu machen und die Kosten für den Kreml über Sanktionen und die Unterstützung der Ukraine so zu verändern, dass auch Wladimir Putin keine vertretbare Alternative zu Verhandlungen bleibt. Leider beobachten wir, dass er bisher in seinem ideologischen Wahn bereit ist, nicht nur das Leben seiner eigenen Soldaten regelrecht zu verheizen, die russische Wirtschaft zu ruinieren, sich weltweit zu isolieren, das Ansehen Russlands zu zerstören und auch in Kauf zu nehmen, dass zwei weitere, militärisch sehr gut aufgestellte Staaten (der eine mit einer ca 1000 Km langen direkten Grenze) in seiner Umgebung zu NATO-Mitgliedern werden. Wenn es aber zu echten Verhandlungen kommt, darf es kein Diktatfrieden Putins sein, sondern die Ukraine muss aus einer Position der Stärke verhandeln können, sonst wird es weder Stabilität, noch Sicherheit und erst recht keinen Frieden geben. Man kann es auch so ausdrücken: Die militärische Unterstützung der Ukraine ist derzeit der Garant dafür, dass sich die Wahrscheinlichkeit für eine politische Lösung erhöht.
Der zweite Grund besteht darin, dass da, wo Wladimir Putin herrscht, Gewalt herrscht. Die zahlreichen Berichte über Morde, Misshandlungen, systematischer Vergewaltigungen, die gewaltsame Verschleppung von Kindern und weitere schwere Menschenrechtsverletzungen in den von Russland besetzten Gebieten beweisen, dass ein militärischer Sieg Russlands kein Ende der Gewalt bedeuten, sondern das komplette Gegenteil. Das haben wir nicht nur in Butscha und Irpin gesehen. Das ist aus meiner Sicht auch eine Tatsache, die in der Debatte von denjenigen, die damit argumentieren, dass Waffenlieferung angeblich den Krieg „verlängern“ völlig ignoriert wird. Sowohl in den besetzten Gebieten als auch in Russland selbst leiden viele Menschen unter dem nach innen und nach außen skrupellosen Regime. Allein die mutigen Menschen in der Ukraine bei ihrer legitimen Selbstverteidigung, mit militärischer Unterstützung ihrer Verbündeten, haben zur Befreiung besetzter Gebiete geführt und noch mehr Kriegsverbrechen für die Menschen in diesen Gebieten verhindert.
Den dritten Grund kann man mit Erhalt der angegriffenen internationalen Ordnung und der beabsichtigten abschreckende Wirkung auf andere autoritäre Aggressoren beschreiben. Mit ihrer brutalen Invasion, den Völkerrechtsbrüchen und den gravierenden Menschenrechtsverletzungen greifen die russischen Truppen in erster Linie die Menschen in der Ukraine an. Dieser furchtbare Krieg ist aber auch zugleich eine Attacke auf unsere gemeinsame Sicherheitsordnung, das Völkerrecht und auf viele Regeln, Verträge und Grundlagen, mit denen wir seit Jahrzehnten gemeinsam Sicherheit auf unserem Kontinent organisiert haben und die Russland selbst mitgestaltet und unterschrieben hat. Würden wir nicht handeln, ginge die Botschaft in die Welt, dass man Regeln nach Belieben brechen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Auch das ist ein weiterer Grund, warum die Sanktionen richtig wie auch die militärische Unterstützung der Ukraine wichtig sind. Der kenianische Botschafter Martin Kimani hat dies bei den Vereinten Nationen in der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates am 22. Februar 2022 in bewegenden Worten auf den Punkt gebracht. Die Rede können Sie hier nachlesen und – schauen: https://taz.de/UN-Rede-zu-Russland-Ukraine-Konflikt/!5833849/. Es ist im ganz großen Interesse der Mehrheit der Staaten, nicht in einer Welt zu leben, in der in erster Linie Recht des Stärkeren gilt und kleinere Länder in ständiger Gefahr leben, aufgrund Großmachtsfantasien ihrer größeren Nachbarn angegriffen zu werden. In diesem Zusammenhang sind auch die Beschlüsse der Generalversammlung der Vereinten Nationen, in der eine breite Mehrheit von Staaten den Krieg verurteilt und zu einem Ende der Gewalt aufruft, zu sehen.
Das vierte Argument hat in der Tat vor allem mit unseren eigenen Interessen zu tun: Wenn sich dieser Krieg für Wladimir Putin lohnt, stellt sich folgende Frage: Was sollte ihn davon abhalten früher oder später noch weiter vorzumarschieren oder zumindest die besetzten Gebiet als Gebiete für weitere Aufmärsche und Aufrüstung zu nutzen, auch um uns zu bedrohen oder auch politisch zu erpressen? Dieses Muster sehen wir durchaus in der Vergangenheit mit Georgien und nun in der Ukraine. Der russische Angriffskrieg führt uns so auch vor Augen, dass unsere Sicherheit leider keine Selbstverständlichkeit ist und dass wir angesichts der neuen sicherheitspolitischen Lage auf allen Ebenen mehr tun müssen, um die Sicherheit unserer Bürger*innen, aber auch unserer Verbündeten zu gewährleisten. Gerade unsere ost- und mitteleuropäischen Freund*innen haben immer wieder vor einem solchen Szenario gewarnt. Um unsere gemeinsame Sicherheitsordnung, das Völkerrecht, unsere Verbündeten und unsere Bürger*innen vor solcher skrupellosen Gewalt und weiteren Bedrohung zu schützen, brauchen wir daher eine gemeinsame, mit unseren Partnern vereinbarte und starke sicherheitspolitische Antwort mit dem Ziel, Präsident Putin aber auch andere Regelbrecher vor weiterer Aggression abzuhalten.
Deshalb bin ich fest davon überzeugt und arbeite täglich daran, dass wir die Ukraine weiter umfassend politisch, humanitär, finanziell und auch militärisch unterstützen. Und die Bundesregierung setzt sich weiter intensiv dafür ein, unsere internationalen Allianzen gegen diesen brutalen und völkerrechtswidrigen Krieg zu stärken.
Der Satz von Peter Struck war mir damals persönlich etwas zu zugespitzt, aber natürlich haben die Entwicklungen in anderen Regionen der Welt auch konkrete Auswirkungen auf unsere Sicherheit. Das zeigen nicht nur die Folgen der Krieg der letzten Jahre, sondern auch die Pandemie und die Klimakatastrophe. In einer eng verflochtenen Welt erreichen viele Entwicklungen, die auf den ersten Blick geographisch weit weg sind, direkt oder in ihren Folgen sehr schnell unsere politisches System, unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unseren Alltag. Das haben wir gerade in den letzten Jahren an vielen Stellen erlebt.
Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Brugger