Sollte die Amtszeit von Politikern in Parlamenten begrenzt werden?
Sehr geehrte Frau Brugger,
wie Ihnen vermutlich bekannt sein dürfte, sind die Zustimmungswerte zur Ampelregierung in der Bevölkerung aktuell schlecht. Teilweise wird sogar die Demokratie als Regierungsform grundsätzlich in Frage gestellt. Ich finde diese Entwicklung außerordentlich bedenklich. Eine weit verbreitete Auffassung in der Bevölkerung ist, dass "die Politiker" in der Berliner Blase nichts von den wirklichen Sorgen der Menschen mitbekommen und sich weniger für das Allgemeinwohl, sondern v.a. für ihr Fortkommen innerhalb ihrer Partei interessieren. Sicherlich tragen die aktuellen Krisen ihren Teil zu der Politikerverdrossenheit in der Bevölkerung bei und man tut Ihnen und vielen Ihrer Kollegen Unrecht. Dennoch würden Politiker möglicherweise weniger als Angehörige einer abgehobenen Kaste wahrgenommen werden, wenn ihre Amtszeit nach z.B. 8 Jahren enden würde. Dies könnte für das Ansehen unserer Politiker und unsere Demokratie förderlich sein. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Sehr geehrter Herr N.,
vielen Dank für Ihre Frage und Ihre Überlegungen, aus denen eine große Wertschätzung unserer Demokratie spricht.
Ich schätze es sehr, im Bundestag sowohl mit Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten, die sehr viel Erfahrung in der parlamentarischen Arbeit mitbringen, als auch mit Kolleginnen und Kollegen, die neu in den Bundestag gewählt wurden. Ich möchte jetzt nicht aus dem „Nähkästchen“ tratschen, aber es ist meine persönliche Erfahrung, dass leider weder das Alter noch die Zahl der Wahlperioden etwas darüber aussagen, wie jemand sein Mandat wahrnimmt. Ich habe neue (junge wie ältere) Kolleginnen und Kollegen gesehen, die nach sehr kurzer Zeit abgehoben waren und sich selbst viel zu wichtig genommen haben. Und das auch unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit. Zugleich habe ich Abgeordnete getroffen, die auch nach 20 Jahren ganz nah bei den Leuten sowie noch voller Leidenschaft und Energie waren, unser Land und die Politik besser zu machen.
Deshalb kann ich Bürgerinnen und Bürgern nur empfehlen, sich ihre Abgeordneten genau anzuschauen und danach die Entscheidung zu treffen, wer sie im Bundestag am besten vertreten kann und wem sie mit ihrer Stimme ihr Vertrauen schenken möchten. Um diesen Berlin-Bubble-Effekt zu vermeiden, bin ich wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen selbst sehr viel vor Ort im Wahlkreis unterwegs und reise wegen meiner fachlichen Zuständigkeit für internationale Politik auch in viele andere Länder.
Würde es sich in der Realität aber unabhängig davon so darstellen, dass in der Tat auf sehr lange Zeit eine Gruppe von immer gleichen Menschen im Bundestag sitzt, fände ich eine Begrenzung der Amtszeiten sehr sinnvoll. Unser Wahlsystem führt aber in der Praxis dazu, dass ungefähr im Schnitt nach der Wahl mehr als ein Drittel der Mandate von neu gewählten Abgeordneten wahrgenommen wird. Vor diesem Hintergrund und den geschilderten Erfahrungen sehe ich gerade keine Notwendigkeit für eine solche Maßnahme. Im Gegenteil muss ich sagen, dass ich in meinen ersten Jahren gerade von dem Rat der sehr erfahrenen und dienstältesten Abgeordneten sehr viel gelernt habe.
Ich selbst überlege mir alle vier Jahre sehr genau, ob ich noch einmal für ein Bundestagsmandat kandidieren möchte und ob ich noch neue Projekte habe, die ich mit viel Herzblut auf den Weg bringen oder Vorhaben fortsetzen möchte. Ganz persönlich stelle ich mir immer wieder die Frage, ob ich weiter so viel arbeiten will, wie ich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen es tun. Zugleich ist es aus meiner Sicht eine der sinnhaftesten und erfüllendsten Aufgaben, die ich mir in unserer Gesellschaft vorstellen kann.
Es gibt dieses Bild vom Bundestag als Spiegelbild unserer Gesellschaft. Auch wenn der Bundestag von einer solchen Pluralität in der Realität noch weit entfernt ist (zu wenige Menschen mit Ausbildung, zu wenig Frauen, zu wenig junge Menschen, zu wenige Menschen mit Migrationsgeschichte). Ich finde diesen Anspruch schön und er beschreibt einen der wichtigsten Grundsätze unserer Demokratie, denn er dient dem Ziel, dass sich mehr Menschen von ihren Abgeordneten repräsentiert fühlen und an der Demokratie teilhaben.
Aber auch die praktischen Gründe sprechen dafür. Denn sowohl die Forschung als auch meine Erfahrung zeigt, dass wenn sich Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen an einen Tisch setzen, mit dem Willen und dem Ziel eine gemeinsame Lösung zu finden, die Antwort besser wird und mehr Akzeptanz findet. (Umso bedauerlicher ist es, dass im Bundestag eine politische Richtung vertreten ist, die weder an einer Lösung noch an fairen Spielregeln oder an Vielfalt interessiert ist, sondern genau das bekämpft.)
Deshalb finde ich es auch sehr wichtig und auch zielführender als eine Amtszeitbegrenzung, wenn sich die Parteien bei ihren Kandidatinnen und Kandidaten um eine solche Vielfalt und breite Repräsentanz bemühen. Deshalb weiß ich zum Beispiel sehr zu schätzen, dass unsere grüne Bundestagsfraktion mit 59,3% nicht nur den höchsten Frauenanteil besitzt, sondern auch beständig daran arbeitet, Menschen mit verschiedenen Perspektiven und Erfahrungen bei einer Kandidatur zu unterstützen, vom Handwerker, der Landwirtin bis zu Professorin, ob jung, Quereinsteiger oder Menschen mit Migrationshintergrund oder Handicap. Menschen, die so unterschiedlich sind, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist.
Ich teile Ihre Sorge um den Schutz unserer Demokratie. Das Wesen und die Stärke der Demokratie bestehen in ihrer Offenheit und Vielfalt, zugleich ist sie dadurch auch verwundbar. Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir in einem anständigen, fairen und lebhaften Wettbewerb um die besten Lösungen für die echten Probleme unseres Landes ringen, aber auch geschlossen jenen Populisten das Wasser abzugraben, die hasserfüllt Ängste schüren und die Werte unseres Landes mit Füßen treten. In meinen Begegnungen und Gesprächen mit vielen Menschen höre ich auch immer wieder von den Sorgen vieler angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit, sehe aber auch, wie viele Menschen sich engagiert für ein besseres Miteinander und konkrete Lösungen engagieren. Das gibt mir immer wieder Kraft und Zuversicht und zeigt aber auch, wie viele Menschen sich engagiert und oft auch gar nicht groß sichtbar im Kleinen für unsere Demokratie einsetzen.
Als Außenpolitikerin besuche und spreche ich viel mit Menschen aus anderen Ländern, in denen viele sogar ihr Leben für die Freiheiten und Sicherheiten riskieren, die wir bei allen großen und kleinen Problemen hierzulande genießen. Unsere Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sondern viel zu kostbar, als dass wir den Ernst der Lage verkennen dürfen. Sie braucht unseren vereinten Einsatz und muss jeden Tag gelebt und geschützt werden.
Natürlich müssen wir uns auch als Ampel-Koalition selbstkritisch fragen, was wir besser machen können, denn niemand kann mit diesen Umfragewerten zufrieden sein, auch wenn wir Grüne uns rund um unser letztes Wahlergebnis bewegen. Und ich verstehe sie als deutliche Botschaft, anders miteinander umzugehen und besser zu regieren. Im Gespräch mit vielen Menschen stelle ich übrigens fest, dass es dabei sehr oft nicht so sehr um unsere Entscheidungen an sich geht, sondern die Art und Weise, wie wir Politik machen. Deshalb setze ich mich dafür ein, dass wir in dieser Koalition von drei sehr unterschiedlichen Parteien gemeinsam und respektvoll um die richtigen Antworten für die Menschen in diesen schwierigen Zeiten ringen, statt uns mit der Frage zu beschäftigen, wer sich vermeintlich durchsetzt hat.
Aber auch wenn in der Ampel-Regierungskonstellation manches manchmal mühsam ist, ist es für mich ein großes Privileg und eine große Verantwortung, dass wir Grüne in so herausfordernden Zeiten Regierungsverantwortung tragen dürfen. Dabei lohnt es sich auch einmal, darauf zu schauen, wie viele wichtige und zukunftsweisende Vorhaben die Ampel-Koalition zur Halbzeit dieser Wahlperiode auf den Weg gebracht hat. Einige davon finden Sie hier: https://www.gruene-bundestag.de/themen/demokratie/so-weit-so-gruen.
Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Brugger