Frage an Agnieszka Brugger von Felix M. bezüglich Politisches Leben, Parteien
Wie stehen sie zu Parteidisziplin und eigenen Entscheidungen?
Sehr geehrte Frau Brugger,
ich habe den Eindruck, dass sie sehr zur Linie der Partei stehen.
(konkret überprüft habe ich, dass sie in allen Bundestagsabstimmungen der Jahre 2020 und 2021 immer mit der Mehrheit der Grünen-Fraktion abgestimmt haben)
Meine Fragen:
- ist das etwas, das für sie durch das Parteiensystem passiert oder passt die Parteipolitik der Grünen einfach sehr zu ihnen?
- hatten sie im letzten Jahr Abstimmungen, bei denen ihnen die Entscheidung besonders schwer fiel oder die sie bereuen?
- In welcher Position wären sie am liebsten von allen Politischen Ämtern der Bundesrepublik?
- Wenn sie sich entscheiden könnten, würden sie lieber per Direktmandat (erneut) gewählt werden oder per Listenplatz? Macht das einen Unterschied?
Falls möglich, würde ich mich über eine klare, vor allem aber kurze Antwort freuen.
Abschließend noch meinen aufrichtigen Respekt dafür, dass sie ihre Zeit für das Wohl unseres Landes geben, persönlich sympathischen wie unsympathischen Leuten sollte meiner Meinung nach der nötige Respekt gezollt werden für die Bürden eines Politikers...
Vielen Dank bisher!
F. M.
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre sehr interessierte und bestens informierte wie recherchierte Anfrage. Lieben Dank auch zu Ihren wertschätzenden Worten mit Blick auf die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, auch jenseits der eignen politischen Überzeugungen. Das weiß ich sehr zu schätzen und davon lebt unsere Demokratie.
Als Bundestagsabgeordnete fühle ich mich in erster Linie dem Allgemeinwohl verpflichtet, wie es unser Grundgesetz vorsieht. Besondere Bedeutung haben für mich dabei auch die Anliegen der Menschen aus Oberschwaben, mit denen ich zu allen politischen Themen in einem besonderen und auch intensiven Dialog stehe, weil ich meinen Wahlkreis in Ravensburg habe.
Zu Ihrer ersten Frage:
In der Tat fühle ich mich bei den Grünen politisch sehr Zuhause, da ich die grundlegenden Werte und Ziele mit hoher Übereinstimmung teile. Würde ich häufig gegen die Fraktionslinie stimmen und die nach sorgfältigen Diskussionen gefundenen grünen Positionen immer wieder nicht teilen, sollte ich aus meiner Sicht in diesem Fall besser konsequenterweise die Partei und die Fraktion verlassen.
Fraktionen sind angehalten in einem Für und Wider, alle Argumente wahrzunehmen und zu wägen, um die aus ihrer Sicht beste Lösung zu finden. Das gelingt beispielsweise, indem man, soweit das möglich und sinnvoll ist, auf die Bedenken der Minderheit eingeht. So diskutieren Parteien und Fraktionen auch bereits viele Fragen stellvertretend für die Gesellschaft vor.
Ich halte es auch für wichtig, dass Parteien und Fraktionen sich darum bemühen, in einem demokratischen Prozess eine klare und gemeinsame Antwort zu finden. Nur so entsteht die Transparenz den Bürger*innen gegenüber, welche politischen Inhalte sie wählen, wenn sie sich mit ihrer Zweitstimme bei einer Wahl für eine Partei entscheiden. Würden alle Abgeordneten einer Fraktion zudem immer wild durcheinanderstimmen, wäre genau das nicht gegeben. Insofern hat die Fraktionsdisziplin, die gemeinhin als etwas Negatives dargestellt wird, eine starke demokratische Funktion. Denn mit der Zweitstimme entscheiden die Menschen über das politische Kräfteverhältnis und damit auch über die Möglichkeiten, bestimmte politische Ideen in die Realität umzusetzen. Dafür gibt es die verschiedenen politischen Parteien in unserem Land und daher bin ich auch sehr überzeugt von unserem personalisierten Verhältniswahlrecht.
Fraktionsdisziplin darf aber niemals ein Fraktionszwang sein und daher lautet der Art 38 unseres Grundgesetzes aus sehr guten Gründen folgendermaßen: „Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ (Und damit explizit nicht darauf festgelegt, bestimmten Parteipositionen, Wünsche der Fraktionsführung und auch nicht Einzelinteressen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder Regionen zu vertreten)
In der Tat haben Sie richtig beobachtet, dass ich gerade in den letzten Jahren sehr einig mit der Mehrheit meiner Fraktion war. Das liegt auch darin begründet, dass ich in dieser Legislaturperiode als stellvertretende Fraktionsvorsitzende natürlich die Möglichkeit habe, die großen Linien mitzugestalten und meine Meinung frühzeitig in Diskussionen einzubringen. In den Jahren zuvor bin ich aber durchaus aus Gewissensgründen bei Abstimmungen nicht nur ein Mal abgewichen - auch nicht immer zur Freude der jeweiligen Fraktionsführung. Aber ich finde bei allem Willen zur Gemeinsamkeit muss man auch zu seinen Überzeugungen stehen, wo ein Kompromiss oder Konsens nicht möglich ist und man eine Entscheidung als Gewissensfrage empfindet.
Zuletzt möchte ich noch darauf verweisen, dass die Abstimmungen, in denen es keine festen Positionen der Fraktionen gibt, im Parlament oft als Sternstunden der Demokratie empfunden werden. Das sind wenige, meist zutiefst ethische Fragestellungen, bei denen die Abgeordneten sehr oft mit sich selbst und miteinander um die besten Argumente und eine überzeugende Position ringen.
Zu Ihrer zweiten Frage:
Ja, ich mache mir meine Entscheidungen nicht leicht und wäge sehr sorgfältig ab. Gerade auch die Beschlüsse rund um die Coronapolitik waren im letzten Jahr aus mehreren Gründen eine besondere Herausforderung. Als Oppositionsfraktion ist es unsere Aufgabe, die Fehler der Regierung zu benennen und auf Probleme hinzuweisen. Gerade in einer solchen Krise muss das aber mit großem Verantwortungsgefühl, konkreten Verbesserungsvorschlägen, im Austausch mit der Wissenschaft und mit Blick auf die Probleme der Menschen vor Ort erfolgen. Auch in meinem originären Fachbereich, der internationalen Politik, sind die Fragen oft sehr komplex und passen selten in ein Schwarz-Weiß-Schema. Ich habe meine Meinung selten fundamental geändert, aber ich habe sie immer wieder auch angepasst, wenn mich berechtigte und überzeugende Kritik erreicht hat.
Zu ihrer dritten Frage:
Ich bin überzeugt davon, dass die Arbeit als Parlamentarierin eine der schönsten Aufgaben ist, die man in der und für unsere Gesellschaft übernehmen kann. Sie ist sinnstiftend und sinnvoll. Ich bin zutiefst dankbar für das Vertrauen der Menschen und all die neuen Erkenntnisse, die ich aus vielen Gesprächen und Diskussionen immer wieder mitnehmen darf. Manche mögen es idealistisch nennen, aber für mich ist unser Parlament der Ort, an dem verschiedene Menschen miteinander darum ringen, gemeinsam die besten Lösungen für die Menschen zu finden. Das ist zumindest mein Anspruch. Ich habe sehr gern die verschiedenen Aufgaben in Partei und Fraktion übernommen und versuche sie immer mit allem Einsatz bestens wahrzunehmen. Einen Karriereplan, der auf bestimmte Ämter oder Posten abzielt, hatte ich dabei nie wirklich. Wenn ich mehr Verantwortung übernommen habe, dann oft aus der Motivation heraus, aus der jeweiligen Position meine Fähigkeiten besser einbringen und meine Überzeugungen wirksamer vertreten zu können.
Zu ihrer vierten Frage:
Ich glaube nicht, dass es für meine konkrete Arbeit einen Unterschied machen würde, da für mich in beiden Fällen sowohl die Arbeit vor Ort im Wahlkreis als auch das Engagement in der Partei einen hohen Stellenwert hätten. Ich sehe auch viele Kolleg*innen verschiedener Parteien, die sich als sogenannte „Listenabgeordnete“ mit viel Einsatz um die Anliegen aus ihrem jeweiligen Wahlkreis kümmern.
Ich habe mich bei den letzten Jahren in Ravensburg auch um das Direktmandat beworben. Bei den Wahlen durfte ich mich dann über ein zur Zweitstimme relativ starkes Erststimmenergebnis persönlich freuen, letztes Mal waren es 20 % (Zweitstimme: 15 %). Das hat mir gezeigt, dass die Menschen in Oberschwaben mir als Person ihr Vertrauen geschenkt haben und meine Arbeit im Bundestag nicht allein über die eigene Parteipräferenz unterstützen und schätzen.
Insofern bin ich den Grünen Baden-Württemberg sehr dankbar für das Vertrauen und den Rückhalt auf dem sehr guten Platz 3 der Landesliste. In den nächsten Wochen werde ich im Bundestagswahlkampf mit viel Einsatz ein weiteres Mal um das Vertrauen der Menschen werben, sowohl für grüne Politik als auch für meine Arbeit. Und ja natürlich, über ein Direktmandat würde ich mich aus den genannten Gründen außerordentlich freuen.
Sehen Sie mir nach, dass ich Ihre Fragen nicht in der von Ihnen gewünschten Kürze beantwortet habe, aber da Sie sich so viel Mühe gegeben haben, wollte ich alle vier nicht nur beantworten, sondern auch die Hintergründe darstellen – auch für diejenigen, die die Antwort lesen und sich noch nicht so tief in die sehr grundsätzlichen Fragen zur Rolle von Abgeordneten in unserer Demokratie eintauchen konnten.
Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Brugger