Frage an Agnieszka Brugger von Eugen M. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Ich war 45 Jahre ununterbrochen unselbstständig tätig, wurde mit 60 Jahren arbeitslos, nach 2 jahren Arbeitslosengeld droht mir nun mit 62 Jahren Hartz 4. Finden sie diese Regelung in Ordnung?
Oder können sie mir sagen wohin ich mich wenden kann,um dieses Unrecht zu umgehen?
Mit freundlichen Grüßen
Eugen May
Sehr geehrter Herr May,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Erlauben Sie mir zunächst eine persönliche Vorbemerkung und die Darstellung der grünen Position in dem von Ihnen angesprochenen Themenfeld, bevor ich natürlich gerne auch Ihre konkrete Frage beantworten möchte:
Ich gehöre zu denjenigen in meiner Partei, die die Hartz IV-Gesetzgebung schon immer sehr kritisch betrachtet haben. Auch wer ohne Erwerbsarbeit ist oder sich aus anderen Gründen in einer Notlage befindet, muss ein Leben in Würde und Selbstbestimmung führen und sich auf eine armutsfeste Existenzsicherung verlassen können. Ich gehöre deshalb zu denjenigen in der Partei Bündnis 90/Die Grünen, die sich gegen die zu Regierungszeiten beschlossenen Regelungen gestellt haben und heute auch über das Konzept der Grünen Grundsicherung hinaus gehen würden, da ich langfristig ein bedingungsloses Grundeinkommen anstrebe (Konzept der Grünen in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2007 siehe hier: http://www.gruene-partei.de/cms/partei/dok/201/201743.armut_bekaempfen_bildung_verbessern_chan.htm ).
In der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen sind wir der Auffassung, dass das Sozialgesetzbuch II, in dem das Arbeitslosengeld II geregelt ist - und das umgangssprachlich oft als Hartz IV bezeichnet wird -, insgesamt reformbedürftig ist und überarbeitet werden muss. Wir haben hierfür das Konzept der Grünen Grundsicherung entwickelt. Die Grüne Grundsicherung umfasst Teilhabegarantie und Existenzsicherung. Sie besteht gleichberechtigt aus materieller Absicherung und dem Zugang zu fördernden und befähigenden Institutionen und Instrumenten. Beides muss klar festgelegt sein, auf beides muss es einen verbindlichen Rechtsanspruch geben. Ein Element der Grünen Grundsicherung ist die Festsetzung der Regelleistung in einer Höhe, die das sozio-kulturelle Existenzminimum garantiert und die Autonomie derjenigen schützt, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind.
Wir treten dafür ein, die Sätze für das Arbeitslosengeld II neu zu berechnen und an das gestiegene Preisniveau anzupassen. Dieser Anforderung kommt der neue Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium nicht nach.
Nicht nur beim Lebensunterhalt, auch bei der Eingliederung von Arbeitslosen soll gespart werden, indem beim Eingliederungstitel, bei der Qualifizierung, bei der Weiterbildung und bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen gekürzt werden soll.
Bündnis 90/Die Grünen haben im Deutschen Bundestag wiederholt deutlich gemacht, dass das ALG II so ausgestaltet werden muss, dass es dem sozialstaatlichen Gebot der Deckung des Existenzminimums für alle Menschen Rechnung trägt. Wir orientieren uns nach wie vor an den Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, der auf Basis der Daten der EVS 2003 zu einem Regelsatz in Höhe von 420 Euro gekommen ist. Wir sind der Auffassung, dass die Vorgehensweise der Bundesregierung nicht den tatsächlichen Erfordernissen entspricht und den gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht gerecht wird.
Die Existenzsicherung in der Grünen Grundsicherung muss langfristig auch vollständig individualisiert und unabhängig vom jeweiligen Einkommen des Partners gewährt werden. Dieser Prozess muss von der Individualisierung anderer Systeme - wie der Einkommensteuer sowie der Kranken- und Rentenversicherung - begleitet werden.
Zusätzlich wollen wir die Renteneinzahlungen für Langzeitarbeitslose in einem ersten Schritt wieder auf das frühere Niveau anheben und im nächsten Schritt an den Satz der ALG I-Beziehenden angleichen, sodass auch in diesen Zeiten nennenswerte Rentenansprüche erworben werden und Altersarmut präventiv verhindert wird. Zudem muss für Langzeitarbeitslose ein erheblich höheres Schonvermögen für Altersvorsorgeaufwendungen gelten. Die angekündigte Anhebung durch FDP und CDU/CSU dient der neuen Regierung dabei lediglich als soziales Deckmäntelchen. Wir sind der Auffassung, dass alle Ersparnisse auf dem grünen Altersvorsorgekonto von der Anrechnung auf das ALG II freigestellt werden müssten.
Ein weiteres zentrales Element der Grünen Grundsicherung ist die Stärkung der Rechte der Hilfebedürftigen und ihrer Angehörigen. Die schematische Fallbearbeitung mittels EDV-Masken muss einem qualifizierten, individuellen und umfassenden Fallmanagement weichen. Sowohl Scheinangebote zur Überprüfung der Arbeitsbereitschaft als auch Sanktionsandrohungen und -automatismen darf es in Zukunft nicht mehr geben. Wir wollen weg von der Unkultur des Misstrauens und des Sanktionierens. Dafür müssen Hilfebedürftige und ihre Angehörigen in ihren Rechten gestärkt werden. Die Bundesregierung hat demgegenüber den umgekehrten Weg eingeschlagen: Sanktionen sollen in Zukunft auch ohne schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen möglich sein. Es soll ausreichen, wenn Betroffene "Kenntnis" der Rechtsfolgen gehabt haben. Die Bundesregierung tritt die Bürgerrechte mit Füßen.
Die Hilfebedürftigen müssen zukünftig das Recht haben, zwischen Maßnahmen zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Auf dieses Recht müssen sie im Erstgespräch hingewiesen werden. Eigene Vorschläge müssen Priorität in der Hilfeplanung haben. Die Ausübung von bürgerschaftlichem Engagement muss anerkannt werden.
Wir setzen uns dafür ein, dass Hilfebedürftige die Möglichkeit haben, den persönlichen Ansprechpartner auf ihren Wunsch einmalig zu wechseln. Bei allen Trägern des SGB II sollen unabhängige Ombudsstellen eingerichtet und finanziell abgesichert werden, um in Konfliktfällen zu vermitteln. Dadurch können unterschiedliche Auffassungen und Vorstellungen in einem frühen Stadium bearbeitet und gelöst werden. Die stetig steigende Anzahl von Gerichtsverfahren sollte dadurch wieder deutlich sinken.
Der Grundbedarf, der für eine Teilhabe an der Gesellschaft notwendig ist, darf nicht durch Sanktionen angetastet werden. Wird Fähigkeiten, Wünschen und Vorschlägen der Einzelnen nicht Rechnung getragen und besteht keine Wahl zwischen verschiedenen Förderangeboten, sollten keine Sanktionen verhängt werden dürfen (Sanktionsmoratorium). Widerspruch gegen die Verhängung einer Sanktion muss in Zukunft aufschiebende Wirkung haben.
Nun zu Ihrem persönlichen Anliegen:
Nach derzeitiger Gesetzeslage wird das Arbeitslosengeld I in der Regel zwölf Monate lang gezahlt. Danach haben Erwerbslose Anspruch auf Leistungen des Arbeitslosengelds II (Hartz IV). Die Große Koalition hatte im Jahr 2008 zwar eine Verlängerung der Bezugsdauer für Ältere beschlossen, diese aber an Bedingungen geknüpft: So verlängert sich für 50- bis 54-Jährige der Bezug von Arbeitslosengeld I von zwölf auf maximal 15 Monate. Voraussetzung ist eine Vorversicherungszeit von 30 Monaten. Ab 55 Jahren haben Erwerbslose einen Anspruch auf eine 18-monatige Zahldauer, wenn zuvor 36 Monate lang Sozialversicherungsbeiträge eingezahlt wurden. Ab 58 Jahren erhöht sich der Anspruch auf 24 Monate. Die Vorversicherungszeit muss dann 48 Monate betragen.
Wenn man Ihre persönlichen Angaben zugrunde legt, dann ergibt sich daraus die von Ihnen beschrieben Situation: Nachdem Sie jetzt zwei Jahre lang Arbeitslosengeld I bezogen haben, werden Sie - bei fortbestehender Arbeitslosigkeit - nur noch dazu berechtigt sein, Leistungen des Arbeitslosengelds II zu beziehen.
Ihre Lebensarbeitszeit ist mit 45 Jahren Beschäftigungsdauer beachtlich und verdient zweifelsohne Anerkennung und Respekt. Ich habe großes Verständnis dafür, dass Sie es als unbefriedigend empfinden, dass die letzten Jahre Ihres Erwerbslebens mit der Arbeitslosigkeit enden sollen. Auch kann ich nachvollziehen, dass Sie es persönlich als ungerecht empfinden, jetzt nicht mehr die Leistungen des ALG I, sondern die des ALG II beziehen zu können.
Allerdings sehe ich trotzdem nicht, dass die bloße Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs gesamtgesellschaftlich wirklich mehr Gerechtigkeit herstellen könnte. Für uns GRÜNE ist in diesem Zusammenhang auch entscheidend, dass ältere Menschen bis zum Rentenalter am Arbeitsleben beteiligt bleiben. Dass dies heute zu oft nicht möglich ist, macht ja gerade auch Ihre persönliche Problemlage aus. Wir GRÜNE wollen die Chancen älterer Arbeitssuchender auf Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt vor allem durch Weiterbildung und Qualifizierung sowie durch die Förderung einer anderen Kultur in den Unternehmen verbessern.
Mit freundlichen Grüßen
Agnieszka Malczak