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Agnieszka Brugger
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Tanja G. •

Frage an Agnieszka Brugger von Tanja G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrte Frau Malczak,

stabilisieren die NATO-Truppen in Afghanistan die Macht von Verbrechern?

Unter

http://media.de.indymedia.org/media/2010/08//287200.pdf

ist nachlesbar:

Ein Pastor kritisiert die Befürwortung militärischer Gewalt in Afghanistan durch den schleswig-Holsteinischen Bischof Ulrich in einem Offenen Brief unter dem Titel NICHT IN MEINEM NAMEN!.

Ein Auszug:
Gruppenvergewaltigungen junger Mädchen und Frauen durch Warlords der Nordallianz finden nach wie vor gerade in den Nordprovinzen Afghanistans statt. Ein schockierender Fall war der der 11jährigen Sanobar, die entführt, vergewaltigt und dann von einem Warlord gegen einen Hund getauscht wurde.

Werden Sie sich dafür einsetzen, daß die Öffentlichkeit über diese Zustände informiert wird?

Mit freundlichen Grüßen
Tanja Großmann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Großmann,

vielen Dank für Ihre Anfrage, mit der Sie eine schwierige und durchaus auch problematische Thematik zum Versöhnungsprozess in Afghanistan ansprechen. Gerne möchte ich versuchen, Ihnen im Folgenden meine Position in dieser Frage darzustellen. Für die verzögerte Antwort möchte ich Sie vielmals um Entschuldigung bitten, ich habe schlicht vergessen, sie an abgeordnetenwatch.de weiterzuleiten. Es tut mir Leid, dass Sie so lange darauf warten mussten.

Neun Jahre nach Beginn des Afghanistan-Einsatzes steht die internationale Gemeinschaft vor einem Dilemma: Trotz intensiven Engagements ist das Land von einer inneren Stabilität weit entfernt. Allerdings haben die USA mit der Ankündigung, ab 2011 mit dem Abzug der Truppen zu beginnen, einen Zeitrahmen für den Einsatz vorgelegt. Einige Länder haben bereits mit dem Abzug begonnen, andere kündigen einen baldigen Beginn an. Also stellt sich die Frage, was am Ende des Prozesses stehen wird und wie wir diesen gestalten können: Welcher Weg muss jetzt eingeschlagen werden, um eine Übergabe in Verantwortung erreichen zu können?

Für mich steht fest, dass der Konflikt in Afghanistan nicht militärisch gelöst werden kann. Die Strategie der Bundesregierung war zu lange zu militärlastig und zu wenig auf den zivilen Aufbau ausgerichtet. Das haben wir Grüne stets kritisiert und die Defizite klar benannt. Ich persönlich habe nicht zuletzt aus diesem Grund bei den letzten Mandatsverlängerungen gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gestimmt. Gleichwohl habe ich nie einen kopflosen Sofort-Abzug aus Afghanistan gefordert, weil ich eine große Verantwortung gegenüber den Afghaninnen und Afghanen empfinde. Durch eine ganze Reihe von internationalen Entscheidungen hat sich jetzt eine Abzugsperspektive eröffnet, die ich begrüße. Es geht jetzt nicht mehr um das "ob", sondern um das "wie" eines Abzugs. Ich will mich dafür einsetzen, diesen Prozess auf verantwortliche und umsichtige Art und Weise zu gestalten.

Nur durch eine substanziell verstärkte Anstrengung der afghanischen Partnerinnen und Partner und nur im Rahmen einer politischen Verhandlungslösung mit allen relevanten Akteurinnen und Akteuren kann es erreicht werden, einen Rückfall Afghanistans in einen offenen Bürgerkrieg nach dem Abzug der internationalen Truppen zu verhindern. Es wird wahrscheinlich auch notwendig sein, sich mit nicht-demokratischen Kräften zu arrangieren, was zu - teilweise schmerzhaften - Kompromissen führen kann, die in demokratischer und menschenrechtlicher Hinsicht tatsächlich problematisch sind. Dieses Thema sprechen Sie deshalb völlig zurecht an.

Die in dem mir von Ihnen angegebenen Link beschriebenen Vorgänge kann ich jedoch weder bestätigen noch ausschließen. Wir müssen aber alle Anstrengungen unternehmen, um zu verhindern, dass die Frauen in Afghanistan künftig von denjenigen regiert werden, die für Gewalt und massive Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen verantwortlich sind. Meine Fraktion kritisiert daher scharf, dass Frauen und andere wichtige Bevölkerungsgruppen bisher unzureichend oder gar nicht am Versöhnungsprozess beteiligt wurden. Bei der Friedensjirga im Juni 2010 kamen Frauen de facto mit ihren Anliegen nicht zu Wort. Anschließend erklärten zehn afghanische Frauenorganisationen, dass sie keine Friedensverhandlungen mehr akzeptieren werden, die ihre Anliegen untergraben. Zusammen mit weiteren Mitgliedern der Grünen Bundestagsfraktion habe ich außerdem im März einen Brief an die Minister Westerwelle und Niebel verfasst, in dem wir uns für die Erhaltung von Frauenhäusern in Afghanistan einsetzen und die Bundesregierung dazu auffordern, die afghanische Regierung darin zu unterstützen, das "Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen" aus dem Jahr 2009 in allen Bevölkerungsschichten bekannt zu machen und dafür zu sorgen, dass afghanische Angestellte im Staatsdienst und im Justizsystem im Sinne dieses Gesetzes handeln. Den Brief können Sie bei Interesse auf meiner Homepage unter der Adresse http://www.malczak.de/fileadmin/dateien/Dokumente/Afghanistan/11-03-04_Brief_Niebel_Westerwelle_Frauenhaeuser.pdf einsehen.

Eine verantwortungsvolle Afghanistanpolitik erfordert einen Abzugsplan, aus dem hervorgeht, welche Kriterien für den Abzug zugrunde gelegt werden. Wir brauchen zwar ein klares Bekenntnis zu einer politischen Lösung, diese muss jedoch auch sehr deutlich machen, dass es bei einem Kompromiss eindeutige rote Linien hinsichtlich der Einhaltung der Menschen- und Frauenrechte gibt. Dass die Politik hier zu verbindlicher Klarheit kommt, gehört meiner Meinung nach ebenfalls zu unserer Verantwortung.

Wenn die Bundesregierung nicht auch über die problematischen Seiten einer politischen Lösung offen und ehrlich spricht, untergräbt sie die Motivation derer, die im Auftrag der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan arbeiten und dabei möglicherweise auch ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren. Was wir Grüne vermissen, ist, dass die Bundesregierung sich hier klar äußert und viel mehr noch, dass sie endlich eine ehrliche Antwort auf die Frage gibt, was sie denn bis 2014 noch in Afghanistan erreichen will, wie der Abzugsplan aussehen und welche Bedingungen für eine Reintegration von Aufständischen - wie auch auf der Kabul-Konferenz von der afghanischen Regierung gefordert - erfüllt sein müssen. Diese Klarheit haben auch die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland verdient.

Auf einer Afghanistan-Reise konnte ich mich über die aktuelle Situation in Afghanistan informieren. Die vielfältigen Eindrücke und Erfahrungen, die ich bei dieser Reise gewinnen konnte, fasse ich derzeit in einem ausführlichen Reisebericht zusammen. Ihr Interesse vorausgesetzt, möchte ich Sie herzlich dazu einladen, an diesen Eindrücken teilzuhaben. Den Reisebericht werde ich in Kürze veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen

Agnieszka Malczak

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