Frage an Agnes Krumwiede von Andreas K. bezüglich Kultur
Sehr geehrte Frau Krumwiede,
meine Großmutter war wie Sie, Pianistin. Meine Tante ist Kunstmalerin (hat schon Anne Sophie Mutter und Herbert von Karajan portraitiert. Meine Schwester ist selbsttändige Kamerafrau und früher beim ZDF beschäftigt. Mein Vater war Architekt...,
Jetzt lebe ich in Baden-Württemberg auf dem Land.
Kultur ist hier in Baden-Württemberg unmittelbar mit Mobilität verknüpft.
(Die Kultur wird Qasi von der Autoindustie gesponsort).
Wenn aber alle auf dem Land, daß gleiche Kulturelle Ziel, zu gleichen Zeit ansteuern, kommt es regelmäßig zum für mich spührbaren Kultur-Infarkt. D.h. Stau auf der Autobahn und Verkehrschaos in der Stadt, bzw. Überfüllung in natürlichen naherholungsgebieten (z.B Skipiste/Schwimmbad). (Ein Intelligenter Selbstdenkender Mensch erkennt dieses Problem).
Wie bekommen die Menschen/Bürger dieses Zwangsproblem in den Griff?
Ich brauche Kultur und Sport und Bildung in erreichbarer Nähe und einen Naturnaherholungsraum.bin ich der einzige mit diesem Problem?
"Dank" der Globalen Mobilen Welt (Virtuell & Real) konzentriert sich Kultur zunehmend auf wenige Weltmetropolen und dem Fernseher/Internet/Radio.
MfG
kuhn
Sehr geehrter Herr Kuhn,
vielen Dank, dass Sie mir diese eigentlich verkehrspolitische Frage anvertrauen. Inzwischen hat sich in Baden-Württemberg ja einiges getan und sicherlich ändert sich unter der neuen Landesregierung auch in der Verkehrspolitik einiges - nicht nur in Stuttgart, sondern auch auf dem Land.
Zu Ihrer Frage:
Das Problem, das Sie beschreiben, sehe ich auch. Nicht nur bei der Kultur, sondern auch bei Einkaufsmöglichkeiten oder Arbeitsplätzen führen eine zunehmende Zentralisierung, Zersiedelung und die auf das Auto zentrierte Verkehrspolitik dazu, dass es gerade für Menschen im ländlichen Raum immer zeitaufwendiger, teurer und umweltschädlicher wird, die Orte zu erreichen, die sie erreichen wollen oder müssen.
Die Politik kann drei Dinge tun, um diese Situation zu entschärfen und langfristig sogar zu lösen:
1. Die Verkehrspolitik sollte nicht mehr davon ausgehen, dass jedeR ein Auto zur Verfügung hat und es auch immer nutzen will. Eine solche Politik schließt Menschen aus, die nicht selbst Auto fahren können oder dürfen (Kinder, Jugendliche, Behinderte, arme Familien) und führt zu immer mehr Verkehr, der notgedrungen irgendwann zu dem von ihnen beschriebenen Verkehrschaos endet. Die Lösung dafür kann dann aber nicht sein: Mehr Straßen! Mehr Autos! Sie liegt vielmehr in einem intelligenten, bezahlbaren und regelmäßigen öffentlichen Nahverkehr, der Bahn und Bus fördert und auch innovativere, kleinteilige Lösungen wie Anruf-Sammel-Taxis oder Trampleitsysteme mit ihnen verzahnt. Dann kommt man auch entspannt zu seiner Kultur, so wie es sein sollte.
2. Die Planungsbehörden müssen die Zersiedelung stoppen. Ein Shopping-Center auf der grünen Wiese macht nur Sinn, wenn man mit dem Auto hinfahren kann. Wenn jedeR sein oder ihr Häuschen im Grünen mit Thujenhecke Drumherum haben will, hat am Ende niemand mehr etwas vom schönen Landleben, weil immer mehr Häuschen und Hecken und Straßen und Parkplätze die ganze Landschaft verbauen und die Wege zwischen dem Wohn- und Lebensräumen der Menschen immer weiter werden. Das heißt natürlich nicht, dass wir alle in Großstädte ziehen sollten. Aber die Kommunen gerade im ländlichen Raum müssen viel langfristiger planen und stärker kooperieren, anstatt in dauernder Konkurrenz immer noch mehr und mehr zu bauen.
3. Die Kultur oder auch die Freizeiteinrichtungen, die Sie nutzen wollen, muss es auch geben. Wer immer nur spart (und am besten gleichzeitig noch die Steuern senken will), braucht sich nicht zu wundern, dass die Kommunen und Länder, die auch jenseits der Landeshauptstädte Theater, Schwimmbäder, Jugendzentren, Künstlerdienste und ähnliches erhalten und Vereine und Initiativen fördern müssten, das nicht tun können. Auch das ist ein Grund für die Zentralisierung der Kultureinrichtungen und am Ende auch ein Grund für Ihren "Kulturinfarkt" im Verkehrschaos. Dabei ist Kultur, wenn man sie im Verhältnis zum Beispiel mit Straßenbau betrachtet, gar nicht so teuer. Allein der Ausbau der A8 hinter Rosenheim, wo der Wahlkreis des Verkehrsministers Raumsauer liegt, kostet fast so viel Geld wie der gesamte Jahresetat für Kultur auf Bundesebene.
Noch eine vierte Sache könnte man tun, aber da kann die Politik nur diskutieren, fördern und helfen, nicht alles selbst zur Verfügung stellen: Die Kultur könnte auch zu den Menschen kommen, nicht immer nur die Menschen zur Kultur. Sie beschreiben, wie die modernen Medien die Zentralisierung der Kultureinrichtungen befördern. Aber es könnte auch ganz anders sein: Anfang der 90er Jahre beschrieb der österreichische Soziologe Franz Nahrada, wie das damals noch ganz neue Internet dazu führen könnte, den ländlichen Raum zu stärken. Später ließ eine Standleitung in ein kleines Dorf in der Steiermark legen und Verband den Veranstaltungssaal des dortigen Pfarrzentrums mit dem größten Hörsaal der Grazer Uni.
Wir könnten sehr vieles tun, wenn wir unseren Wohlstand und unser Glück nicht mehr an vielen Straßen und großen Autos messen, sondern an der Teilhabe an den Dingen, die in unserer Gesellschaft passieren.
Mit freundlichen Grüßen,
Agnes Krumwiede