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Adis Ahmetovic
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Frage von Tobias S. •

als politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger möchten wir uns nach dem Fortschritt der Rettung von afghanischen Ortskräfte erkundigen, die vor Ort für die GIZ und die Bundeswehr tätig waren.

Sehr geehrter Herr Ahmetovic,

als politisch interessierte Bürgerinnen und Bürger möchten wir uns nach dem Fortschritt der Rettung von afghanischen Ortskräfte erkundigen, die vor Ort für die GIZ und die Bundeswehr tätig waren.

Die Berichte der letzten Wochen werfen zahlreiche Fragen auf. Laut einem ZDF-Artikel vom 16.08.2024 zeigt die Analyse vorliegender Dokumente, dass die Bundesregierung viele Ortskräfte, die nach dem chaotischen Abzug aus Kabul dringend Schutz benötigt hätten, im Stich gelassen hat durch Verschleppung von VISA-Verfahren durch Scheinargumente (Werkverträge seien Arbeitsverträgen nicht gleichgestellt) oder erneuten Sicherheitsüberprüfungen.

Diese Informationen veranlassen uns, genauer zu fragen, welche konkreten Schritte die Bundesregierung unternimmt, um den zurückgebliebenen Ortskräften zu helfen. Wie steht es um die (in-)direkte Verhandlungen mit den Taliban?

Über eine Antwort würden wir uns sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen,

NK-Mitte Hannover

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Antwort von
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Sehr geehrte Damen und Herren des Nachbarschaftskreises Hannover Mitte, 

vielen Dank für Ihre Frage zur aktuellen Menschenrechtslage in Afghanistan sowie die Situation der ehemaligen Ortskräfte.  

Zunächst einmal ist den Ortskräften, z. B. die der Bundeswehr und der GIZ, für ihre unermüdliche Arbeit vor Ort in einem denkbar schwierigen Arbeitsumfeld vielmals zu danken. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass es von 2002 bis 2021 zu einer deutlichen Verbesserung der Grundversorgung der afghanischen Bevölkerung gekommen ist, sei es unter anderem durch die Bereitstellung von fließendem Wasser, einer ausreichenden Versorgung mit Nahrungsmitteln oder Strom, zudem wurden Fortbildungen für die Menschen in den verschiedensten Bereichen angeboten, darunter Alphabetisierungskurse oder landwirtschaftliche Trainings. Zusammen mit internationalen und deutschen zivilen Akteuren wurde auf die Weise das Leben vieler Afghaninnen und Afghanen über 20 Jahre positiv beeinflusst. Dennoch lässt sich festhalten, dass es von Seiten der westlichen Regierungen kaum gelang, Vorhaben, die auf die strukturelle Stärkung der Verwaltungs- und Regierungssysteme sowie der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zielten, voranzutreiben. 

Letzteres spiegelte sich nach dem überraschenden Abzug der US-Truppen aus Afghanistan im September 2021, an dem sich ebenso die beteiligten NATO-Staaten, darunter Deutschland, beteiligten, in dem Wiedererstarken der Taliban wider. Die Taliban konnten das Land in Rekordzeit erneut vereinnahmen, schneller, als viele Expertinnen und Experten es befürchtet hatten. Die De-facto-Autoritäten verletzen seitdem massiv die Rechte von Frauen, Mädchen und Minderheiten, Frauen und Mädchen werden systematisch aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Diese gezielte Diskriminierung haben die Vereinten Nationen kürzlich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet. Auch weiterhin wird die De-facto-Regierung Afghanistans international nicht anerkannt.

Zahlreiche Bilder, wie jene von verzweifelten Menschen am Flughafen in Kabul im September 2021, haben sich in unser Gedächtnis eingebrannt. So hat unter anderem die GIZ im Auftrag des Auswärtigen Amts und des BMZ seitdem Afghaninnen und Afghanen dabei unterstützt, legal nach Deutschland auszureisen, auch gemeinsam mit ihren Angehörigen. Dafür wurden Landtransporte und Flüge organisiert und die Versorgung der Ausreisenden gesichert. Die Aufgabe der Bundesregierung ist es in dem Zusammenhang, Aufnahmeberechtigungen zu überprüfen und im nächsten Schritt Einreisevisa auszustellen.  

Aufgrund der prekären Menschenrechtslage hat Deutschland im Zuge dessen etwa 45.000 gefährdeten Afghaninnen und Afghanen sowie deren berechtigten Familienangehörigen eine Aufnahme in Deutschland in Aussicht gestellt. Die Formulierung „und ihre Familien“ bezieht sich auf die Kernfamilie der afghanischen Ortskräfte, die im Rahmen der Evakuierungen nach Deutschland geholt wurden. Diese umfasst gemäß den deutschen Aufnahmebestimmungen in der Regel den Ehepartner und minderjährige, ledige Kinder. Das bedeutet in den veröffentlichten Zahlen zur Evakuierung sind die Familienangehörigen bereits enthalten.

Hierzu zählen insbesondere zwei Personengruppen: 

  • Etwa 25.100 ehemalige afghanische Ortskräfte und ihre Familienangehörige sowie
  • weitere 19.900 besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen, die die Bundesregierung mit Hilfe der Zivilgesellschaft identifiziert hat und die wegen ihres Engagements für ein demokratisches Afghanistan einer besonderen individuellen Gefährdung ausgesetzt sind.

Deutschland spielte auch bei der Evakuierung von Personen durch die USA eine bedeutende Rolle. Insgesamt wurden rund 116.700 Personen von den USA aus Afghanistan evakuiert, darunter auch afghanische Staatsangehörige, die in andere Länder weitergeleitet wurden. Deutschland leistete dabei logistische und medizinische Unterstützung, insbesondere über den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein, der als wichtige Transitstation für viele der Evakuierten diente. Deutschland stellte die notwendige Infrastruktur bereit, sorgte für die Unterbringung sowie die medizinische Versorgung der Menschen, bevor diese in die USA oder andere Zielländer weiterreisen konnten. Die Zahl derjenigen, denen durch deutsche Bemühungen geholfen wurde, übersteigt somit die Anzahl der von Deutschland Evakuierten.

Derzeit sind mehr als 33.200 Personen in Deutschland eingereist. Diese setzten sich zusammen aus ca. 20.300 Ortskräften sowie etwa 12.900 weiteren besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen einschließlich ihrer jeweils berechtigten Familienangehörigen. Das bedeutet, dass ein sehr großer Teil, etwa zwei Drittel, der Ortskräfte, die identifiziert wurden, bereits nach Deutschland einreisen konnten und hier Schutz erhalten haben. 

Ich gebe Ihnen dennoch Recht, dass noch viele Menschen, die mit Asyl in Deutschland gerechnet haben, weiterhin in schwierigen Verhältnissen in Afghanistan oder in dessen Nachbarländern ausharren. Diesen Menschen unmittelbar zu helfen, muss trotz aller Herausforderungen, die es dabei zu bedenken gibt, eine weitaus höhere Priorität genießen. 

Als Reaktion auf die Geschehnisse haben wir im Deutschen Bundestag zudem die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ sowie einen Untersuchungsausschuss eingerichtet. Weiterführende Informationen zu diesen beiden Gremien finden Sie hier: 

https://www.bundestag.de/ausschuesse/weitere_gremien/enquete_afghanistan

https://www.bundestag.de/ausschuesse/untersuchungsausschuesse/ua01

Seien Sie versichert, als Bundestagsabgeordneter werde ich mich weiter dafür einsetzen, dass wir die Menschen in Afghanistan nicht vergessen, weder die Menschen, die perspektiv noch zu uns nach Deutschland kommen, noch diejenigen, die keine Möglichkeit haben, das Land zu verlassen. Zur Wahrheit gehört aber auch – und da möchte ich ehrlich mit Ihnen sein - dass dies mitunter keine leichte Aufgabe ist. 

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit dieser ausführlichen Antwort meinen Standpunkt näherbringen und Ihre Frage beantworten. Erneut vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Engagement!

Mit freundlichen Grüßen  

Adis Ahmetović, MdB 

 

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