Frage an Adil Oyan von Florian P. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Oyan,
das Verhältnis Ihrer Partei zum Fortschritt in der grünen und medizinischen Gentechnik (Stichwort: Gen-Food und Stammzellenforschung) ist ja alles andere als freundlich.
Da ich als angehender Molekularbiologe mir verständlicherweise meine Zukunftschancen nicht verbauen will und ich überdies keine generellen ethischen, ökologischen oder gesundheitlichen Probleme bezüglich dieser Entwicklungen erkenne, werde ich die GRÜNEN als Partei dieses Jahr nicht mehr wählen. Was ich eigentlich sehr schade finde, da ich mit den sonstigen Kernpunkten des Wahlprogramms durchaus übereinstimme.
Mich würde daher Ihre persönliche Meinung zu den beiden genannten Themen interessieren.
Auszug aus dem GRÜNEN-Wahlprogramm:
"Gen-Food – Nein danke!
Die Lobby der Agro-Gentechnik fährt in einer große Koalition mit Union, FDP, PDS und Teilen der SPD einen Generalangriff gegen die gentechnikfreie Landwirtschaft und die Mehrheit der Verbraucher. Agro-Gentechnik, Biopiraterie und Saatgutmonopole gefährden weltweit die Vielfalt und Sicherheit unserer Nahrungsgrundlage. Deshalb ist es richtig, dass sich die Mehrheit der Verbraucherinnen und Verbraucher und Landwirtinnen und Landwirte gegen Gentechnik auf dem Teller und auf dem Acker wehren.
Wir GRÜNEN nehmen die Menschen ernst. Wir GRÜNE wollen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel. Landwirtschaft und Gentechnik – das bedeutet Monopole industrieller Großkonzerne, das bedroht gentechnikfreie Landwirtschaft und gefährdet Arbeitsplätze im ökologischen Landbau, und das bedeutet massive Subventionierung durch öffentliche Steuergelder und leere Arbeitsplatzversprechungen. Wir nehmen Angriffe auf die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht hin und haben ein Gentechnikgesetz auf den Weg gebracht, das der schleichenden Einführung von Gen-Food auf unseren Feldern sowie in den Supermarktregalen Regeln setzt, Transparenz gewährleistet, eine klare Verursacherhaftung einführt und damit bislang erfolgreich Einhalt gebietet. "
Sehr geehrter Herr Priller,
Sie schreiben, dass Sie die Grünen nicht wählen werden. Stellt sich die Frage, warum ich auf die Frage antworten sollte!?
Aus zwei einfachen Gründen:
1. Die Antwort dürfte auch für andere Interessant sein.
2. Ich gebe nicht auf und vielleicht können Sie sich noch einnmal
durchringen Ihre Entscheidung zu überdenken!?
:-)
Zur Antwort:
In der modernen Biomedizin sehe ich große Potenziale, aber auch klare Grenzen. Die vielfältigen Ängste und Hoffnungen der Menschen müssen bei unseren künftigen Entscheidungen berücksichtigt werden - die einen befürchten zuviel Hochleistungsmedizin, andere hoffen auf neue medizinische Durchbrüche zum Beispiel in der Stammzellforschung. Gleichzeitig steigt - wie Sie wissen - die Sorge vieler Menschen, keinen Zugang mehr zu medizinischen Versorgungsleistungen zu bekommen, erst recht nicht zu neuen und teuren medizinischen Therapien.
Darum ist auch nicht jeder biomedizinische Fortschritt gleich ein humaner Fortschritt. Das sorgfältige Abwägen zwischen Fortschritt und Fehlentwicklung, zwischen einseitigen Antworten und vielfältigen Lösungen ist eine wichtige politische Aufgabe, der wir uns stellen müssen. Nicht Bremsen, sondern Lenken – das ist unser Leitprinzip in der Biomedizin.
Unsere Positionen zur Stammzellenforschung sind weder fortschrittsfeindlich noch technophob – das wurde uns erst kürzlich vom Chefredakteur der Fachzeitschrift "Technology Review" bestätigt. Keine andere Partei, so das Urteil zu unserem grünen Wahlprogramm, würde sich so intensiv und kompetent mit neuen Technologien auseinandersetzen. Unter rot-grüner Forschungspolitik wurden die Fördermittel in der Biotechnologie um über 40 % gesteigert. Deutschland nimmt in der biomedizinischen Grundlagenforschung einen Spitzenplatz ein. So sind zum Beispiel in den letzten sechs Jahren – finanziert mit über 225 Millionen Euro - über 17 Kompetenznetzwerke (zum Beispiel in der Alzheimer-, Krebs- oder Depressionsforschung) entstanden, die international großes Ansehen genießen. Nicht eine kritische Position zur Stammzellforschung ist forschungsfeindlich, sondern das Schlechtreden des Forschungsstandortes Deutschland und die Engführung der biomedizinischen Forschung auf die embryonale Stammzellforschung. Ähnliche Verheißungen wie jetzt bei der Stammzelltherapie gab es vor einigen Jahren auch bei der Gentherapie. Und jeder Kritiker wurde schlechtgeredet, weil er mit seiner Kritik angeblich das Heilen von Schwerkranken verhindern würde. Erst nach dem ersten offiziellen Todesfall durch eine Gentherapie gab es dann eine ernsthafte Risikodiskussion; und die viel zu hohen Erwartungen an gentherapeutische Experimente wurden heruntergeschraubt.
Ich denke, dass es für Sie als zukünftiger Molekularbiologe auch unter einer Rot/Grünen Regierung genug Möglichkeiten geben wird, ihren Beruf auszuüben. Darüberhinaus können Sie sicher sein, dass die weiteren Kernpunkte unseres Programms - mit denen Sie ja übereinstimmen - auch weiter vertreten werden.
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen
Adil Oyan