Frage an Adil Oyan von Martens C. bezüglich Verteidigung
Wann werden endlich die einseitigen MännerZwangsdienste (Wehrpflicht / Zivildienst) abgeschafft? Wenn Frauen die Zwangsdienstleistenden wären, dann hätte man diese Zwangsdienste schon lange als menschenverachtung und menschenrechtsverletzung sehr scharf verurteilt und abgeschafft! Was können die Grünen bis jetzt an Taten zur Abschaffung der Wehrpflicht vorweisen oder war es immer nur Wählerstimmenfang?
Sehr geehrter Herr Mertens,
zunächst vielen Dank für Ihre Frage. Erlauben Sie mir mit den Zeilen zum Thema zu beginnen, die in unserem aktuellen Wahlprogramm stehen:
Seite 14
.... Die SPD war für eine Modernisierung der Gesellschaft, aber nicht selten blockierte sie gleichzeitig, wie zum Beispiel in der Zuwanderungspolitik oder beim Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Den Ausstieg aus der Wehrpflicht haben wir verfochten, aber noch nicht zum Abschluss bringen können.
Seite 113
Wehrpflicht abschaffen – Bundeswehr für die UN befähigen .... Die Wehrpflicht ist sicherheitspolitisch nicht mehr zu rechtfertigen. Ohne diese Begründung ist der Eingriff in die Grundrechte junger Männer auch unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit nicht mehr hinnehmbar. Deshalb streiten wir für ihre Abschaffung und wollen sie durch einen freiwilligen flexiblen Kurzdienst ersetzen. Die frei werdenden Mittel im Bereich des Zivildienstes wollen wir für den Ausbau der Freiwilligendienste und die Schaffung regulärer Beschäftigungsverhältnisse verwenden.
Soweit die entsprechenden Zeilen in unserem aktuellen Wahlprogramm zum Thema.
Die Abschaffung der Wehrpflicht ist in der Tat eine Forderung mit der wir uns bislang nicht durchsetzen konnten. Der Grund hierfür ist der offene Dissenz zu unserem Koalitionspartner. Die SPD wollte sich auf Ihrem Parteitag im November diesen Jahres dazu positionieren. Allerdings ist es nicht so, dass in diesem Bereich in den vergangenen 7 Jahren nichts passiert wäre. Unter Rotgrün ist die Bundeswehr kleiner sowie VN- und EU-fähiger geworden.
Rot-Grün hat den Gestaltungsauftrag für die Bundeswehr angenommen und die längst überfällige Transformation der Bundeswehr eingeleitet. Struktur, Umfang, Ausrüstung und Ausbildung mussten an das neue Aufgabenspektrum angepasst und in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden. Die Bundeswehr wurde von 340.000 auf 250.000 Soldaten reduziert und für Frauen geöffnet. Die Struktur wurde dabei so angelegt, dass eine Aussetzung der Wehrpflicht ohne weitere größere Umstrukturierungen erfolgen kann. Militärische Standorte wurden geschlossen, Rüstungsbestände abgebaut, Rüstungsvorhaben korrigiert und die Ausbildung reorganisiert. Auch die Bundeswehr musste ihren Sparbeitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten.
Der Reformprozess kam nach 1998 nur schleppend voran. Eine stringente Neuausrichtung der Bundeswehr an den Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission (Mai 2000) wurde durch den Koalitionspartner nur zaghaft begonnen und immer wieder blockiert. Wir haben dafür gesorgt, dass die Vorschläge der Weizsäcker-Kommission am Ende weitgehend umgesetzt wurden. Wir sehen vor allem in der Wehrpflicht-Frage noch entscheidenden Handlungsbedarf und wollen die Bundeswehr auf eine Freiwilligenarmee von ca. 200.000 Soldatinnen und Soldaten reduzieren und die gesellschaftlich nicht mehr angemessene und sicherheitspolitisch überholte Wehrpflicht abschaffen. Nur mit einem Abschied von der Wehrpflicht gibt es eine Reform aus einem Guss. Längst ist die Wehrpflicht aufgrund der neuen Aufgaben, fehlender Wehrgerechtigkeit und mangelnder Integrationswirkung obsolet.
Wir haben den Übergang zur Freiwilligenarmee vorbereitet: Mit der Transformation der Bundeswehr wurde faktisch der Ausstieg aus der Wehrpflicht eingeleitet. Von den 250.000 Dienstposten sind 220.000 für Freiwillige vorbehalten. Dies entspricht einer Freiwilligenquote von 88 Prozent. Der Anteil der Grundwehrdienstleistenden wurde von 105.000 auf 30.000 Dienstposten abgesenkt. Die Dauer des Grundwehrdienstes wurde auf neun Monate reduziert und die Einberufungsregelungen deutlich liberalisiert. Nur noch etwa 12 Prozent eines männlichen Geburtsjahrganges (ca. 400.000) können überhaupt noch zur Bundeswehr einberufen werden. Damit ist offensichtlich, dass die Wehrpflicht nicht mehr gerecht zu organisieren ist.
Wir konnten uns aber beim Koalitionspartner mit der Forderung nach einer Abschaffung der Wehrpflicht noch nicht vollständig durchsetzen. Laut Koalitionsvertrag sollte bis Mitte 2006 eine Entscheidung in der Frage getroffen sein. Trotz vorgezogener Neuwahl will die SPD erst nach der Bundestagswahl (Parteitag im November?) intern entscheiden. Müntefering, Schröder und Struck haben sich für eine Beibehaltung ausgesprochen. Aber innerhalb der SPD, insbesondere bei den Jusos, wackelt die Wehrpflicht.
Die Abschaffung der Wehrpflicht bleibt für uns ein Kernthema. Der Grundrechtseingriff der Wehrpflicht ist angesichts der grundlegend veränderten Aufgaben der Bundeswehr nicht mehr legitimierbar. Mit der Wehrpflicht wollen wir auch den Zivildienst abschaffen. Um den Übergang der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- hin zu einer Freiwilligenarmee verantwortlich zu gestalten, fordern wir einen freiwilligen und flexiblen militärischen Kurzdienst von 12 bis 24 Monaten, der Männer und Frauen gleichermaßen offen steht. Eine allgemeine Dienstpflicht von Männern und Frauen lehnen wir ab. Wir wollen keine weiteren Zwangsdienste. Die Übernahme von sozialer und politischer Verantwortung lässt sich in einer demokratischen Gesellschaft nicht erzwingen. Vielmehr gilt es, die Voraussetzungen und Anreize für freiwilliges Engagement in unserer Gesellschaft zu verbessern.
Für weitere Fragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Adil Oyan