Frage an Achim Kessler von Gisela B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Dr. Kessler,
Sind sie für Nord Stream II, also dafür die Abhängigkeit von russischem Gas noch weiter zu steigern?
Sollte man nicht weniger Gas aus Russland beziehen, so lange noch russische Soldaten in der Ostukraine kämpfen und Putin Rechtsradikale in Europa unterstützt?
Fließt nicht ein Teil der Erlöse aus den Gasverkäufen an Russland in Putins Aufrüstung und seinen Unterdrückungsapparat?
Auf dem Parteitag der Linkspartei in Hannover stimmten die Delegierten mehrheitlich gegen eine Verurteilung der Krim-Annexion als völkerrechtswidrig. Auch die Verurteilung von Menschenrechtsverletzungen in Russland und China schaffte es nicht ins Wahlprogramm. Beide Anträge des gemäßigten Reformerflügels der Partei fanden keine Mehrheit der Delegierten. Wie stehen Sie dazu?
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich habe gute russische Freunde und bin kein Russlandfeind sondern das Gegenteil, also ein Putin – Gegner.
Mit freundlichen Grüßen
G. B.
Sehr geehrte Damen und Herren, hier meine Antwort:
Sehr geehrte Frau B.,
auf Ihre Fragen gibt es keine einfachen Antworten, weil die Welt, in der wir leben keine einfache ist. Entschuldigen Sie bitte, dass ich mir deshalb für die Antworten Zeit genommen habe:
Die Abhängigkeit von russischem Erdgas ist mir genauso viel oder wenig sympathisch wie die von saudischem Erdöl oder von US-amerikanischem Fracking-Gas, und zwar sowohl aus außenpolitischen wie aus ökologischen Gründen. Nur durch den sofortigen Umstieg auf erneuerbare Energien können ein weiterer Anstieg des Weltklimas und zunehmende internationale Spannung wegen des Versiegens fossiler Energiequellen verhindert werden.
Menschenrechtsverletzungen verurteile ich unabhängig davon, wo und von wem sie verübt werden. Denn die Menschenrechte sind unteilbar. Darüber hinaus trete ich als Sozialist für eine Außenpolitik ein, die die Interessen auch der Werktätigen in anderen Ländern aufgreift und berücksichtigt. So sind mir die Interessen einer Fabrikarbeiterin in Moskau oder Kiew näher als die eines russischen oder ukrainischen Milliardärs. Die russische Regierung unter Wladimir Putin ist keine linke Regierung und steht mir weder innenpolitisch noch außenpolitisch nahe.
Das hindert mich jedoch nicht daran, die Sicherheitsinteressen der Russischen Föderation in außenpolitische Überlegungen einzubeziehen: Die fortschreitende Ost-Ausdehnung der NATO entgegen verbindlichen Zusagen im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung wird, dies mag berechtigt sein oder nicht, von der russischen Regierung als Bedrohung wahrgenommen. Eine verantwortungsvolle Außenpolitik bezieht die russischen Sicherheitsinteressen ein. Deshalb trete ich für ein kollektives europäisches Sicherheitssystem mit Einschluss der Russischen Föderation ein. Denn ein Rückfall in den Kalten Krieg und die damit verbundene Rüstungsspirale schadet allen Menschen auf dem europäischen Kontinent.
Mit freundlichen Grüßen,
Achim Kessler