Dr. Achim Kessler - Mitglied des Bundestages
Achim Kessler
DIE LINKE
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Frage von Udo F. •

Frage an Achim Kessler von Udo F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kessler,

Bei der letzten Bundestagswahl konnten fast 16% der Wählerstimmen bei der Sitzverteilung im Bundestag nicht berücksichtigt werden, da viele Parteien an der 5%-Hürde scheiterten. Um gegen derart verzerrten Wählerwillen sowie die möglicherweise daraus resultierende Politikverdrossenheit vorzugehen, gab es Vorschläge zur Einführung von Ersatzstimmen im Wahlrecht (d.h. Nummerierung der Präferenzen auf dem Wahlzettel). Derartige Ersatzstimmen gäben z.B. die Möglichkeit zur Angabe von Alternativstimmen bei der Parteilistenwahl/Zweitstimme und/oder zu einer integrierten Stichwahl bei der Direktkandidatenwahl/Erststimme.

Die derzeitige Regelung von Überhang- und Ausgleichsmandaten im Bundestagswahlrecht zielt auf die Vermeidung von negativem Stimmgewicht, wird jedoch voraussichtlich zu einem deutlichen Anstieg der Abgeordnetenzahl im nächsten Bundestag führen. Vorschläge zur Vermeidung eines aufgeblähten Parlaments sehen u.a. eine Verrechnung der Überhangmandate mit Landeslistensitzen anderer Länder vor (z.B. solchen, in denen die betroffene Partei vergleichsweise schlecht abschneidet).

Für wie problematisch halten Sie die beiden angesprochenen Folgen des derzeitigen Wahlrechts und wie stehen Sie zu den genannten Vorschlägen? Sollte Ihre Partei eine Wahlrechtsreform befürworten, welche weiteren Punkte wären aus Ihrer Sicht wichtig?

Mit besten Grüßen,

Dr. Achim Kessler - Mitglied des Bundestages
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr F.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Frage und Ihr Interesse an meiner Position dazu:

Wahlergebnisse sollen das politische Kräfteverhältnis in der Bevölkerung widerspiegeln. Tun sie dies nicht, kann dies zu Politikverdrossenheit führen. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel bewirkt eine Verfälschung des Wählerwillens und die Verengung des parlamentarischen Spektrums. Sie führt dazu, dass mitunter drei Millionen abgegebene Stimmen und Parteien, die bis zu einer Million Stimmen auf sich vereinen, völlig unberücksichtigt bleiben. Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung wird somit im Parlament nicht repräsentiert. Auch bei der bereits seit den 1970er Jahren diskutierte Möglichkeit, das Problem durch Ersatzstimmen zu lösen, wird der eigentliche Wählerwille, nämlich seine erste Wahl, nicht im Parlament abgebildet. Deshalb fordern wir die Abschaffung der Sperrklausel. Einen Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hierzu können Sie hier einsehen:
www.linksfraktion.de/parlament/parlamentarische-initiativen/detail/entwurf-eines-gesetzes-zur-aenderung-des-bundeswahlgesetzes-abschaffung-der-fuenfprozentklausel/?no_cache=1

Zum zweiten Themenfeld: Sie haben Recht. Das Aufblähen des Parlaments ist nicht die richtige Lösung für den Ausgleich von Überhangmandaten. Mehr Abgeordnete bedeuten mehr Ausgaben für Personal, Büros, Verwaltungsmitarbeiter, IT-Ausstattung, Reisen und nicht zuletzt Diäten. Auch hierzu haben wir einen Lösungsvorschlag, den wir bereits als Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht haben.
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/118/1711821.pdf
Entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zum negativen Stimmgewicht und dem Umgang mit Überhangmandaten sollte die Anrechnung von Direktmandaten auf das Zweitstimmenergebnis einer Partei auf der Bundesebene (sog. Oberzuteilung) erfolgen. Wenn dann trotzdem – im Ausnahmefall – Überhangmandate entstehen, müsste ein Ausgleich passieren, der sich nach den auf der Bundesebene erzielten Zweitstimmenanteilen der Parteien richten sollte. Dieses Modell führt in der Regel zu keiner Vergrößerung des Bundestages.

Eine Wahlrechtsreform sollte unbedingt auch beinhalten, dass alle Bürgerinnen und Bürgerwählen können. Nach dem Bundeswahlgesetz (BWahlG) und dem Europawahlgesetz (EuWG) sind allerdings all jene Menschen pauschal vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen, für die zur Besorgung aller ihrer Angelegenheiten ein Betreuer oder eine Betreuerin bestellt ist. Ebenfalls ausgeschlossen sind Menschen, die eine Straftat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben und aufgrund dessen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Wie eine von der Bundesregierung beauftragte Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen im vergangenen Jahr gezeigt hat, werden auf diese Weise knapp 85.000 Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen.
Auch hierzu haben wir jüngst einen Antrag in den Bundestag eingebracht:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/129/1812941.pdf

Ebenso wichtig ist das Wahlrecht für Drittstaatenangehörige. Das Demokratieprinzip
gilt für alle dauerhaften Bewohnerinnen und Bewohner der Bundesrepublik
Deutschland gleichermaßen und nicht exklusiv für deutsche Staatsangehörige. Näheres finden Sie hier: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/031/1803169.pdf

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Achim Kessler