Bundestagswahl 2025

Partei-Spitzenpersonal im kandidierendencheck: Immer auf Parteilinie?

Beim kandidierendencheck zur Bundestagswahl haben die Direktkandidat:innen Stellung zu 18 Fragen bezogen. An manchen Stellen vertritt das Spitzenpersonal einiger Parteien überraschende Positionen. So nimmt Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck in einer entscheidenden Frage eine andere Haltung als seine Parteivorsitzenden ein und FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner bleibt bei mehreren Thesen eher zurückhaltend. In der CDU-Parteispitze wiederum gehen die Meinungen über die Verteidigungsausgaben auseinander. 

von Emil Röder, 18.02.2025

Während der Wahl-O-Mat die Positionen der Parteien vergleicht, zeigt der kandidierendencheck von abgeordnetenwatch.de, wie sich die einzelnen Kandidierenden positionieren. 2.048 von 2.670 Kandidierenden haben Stellung zu 18 politischen Thesen bezogen – eine Teilnahmequote von 77 %. Besonders aufschlussreich sind dabei die Antworten des Spitzenpersonals der Parteien, die in wenigen Monaten über zentrale politische Weichenstellungen mitentscheiden könnten. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die spannendsten Abweichungen und Positionierungen.

Alle Angaben beziehen sich nur auf die Kandidierenden, die am kandidierendencheck teilgenommen haben. Die Zahlen entsprechen dem Stand vom 18.02.2025. Prozentangaben wurden gerundet.

SPD-Spitze geschlossen - keine Teilnahme von Olaf Scholz

Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat und Amtsinhaber Olaf Scholz nahm nicht am kandidierendencheck teil und ließ seine Positionen zu den 18 Thesen offen.

Daher richtet sich der Blick auf die Parteispitze der Sozialdemokraten. Überraschungen bleiben hier jedoch aus: Parteivorsitzender Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und Generalsekretär Matthias Miersch vertreten in allen Punkten eine einheitliche Linie. Ihre Positionen decken sich zudem mit den Positionierungen der großen Mehrheit der SPD-Direktkandidierenden.

Union: Parteispitze uneinig über Verteidigungsausgaben?

Da sich CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nicht am kandidierendencheck beteiligte, bleiben seine Positionen unklar. Deshalb betrachten wir stattdessen das Spitzenpersonal der Union, wobei der Fokus aufgrund der niedrigen Teilnahmequote der CSU vor allem auf der CDU liegt.

Die Mehrheit der Unions-Direktkandidierenden stimmt in den meisten politischen Fragen überein, doch bei einzelnen Themen ist sich selbst das Spitzenpersonal nicht einig.

Ein Beispiel ist die staatliche Förderung erneuerbarer Energien. Diese wurden 2024 mit rund 18,5 Milliarden Euro unterstützt. Während der erste parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Thorsten Frei einen schrittweisen Abbau der Förderung befürwortet, spricht sich eine knappe Mehrheit von 52% der Unions-Kandidierenden dagegen aus. Unter den Gegner:innen befinden sich auch prominente Namen, wie die Bundesschatzmeisterin Julia Klöckner sowie Bundesvorstandsmitglied Christina Stumpp.

Auch beim Thema Verteidigungsausgaben zeigt sich eine ähnliche Uneinigkeit. Deutschland hat 2024 erstmals das NATO-Ziel erreicht und 2 % des Bruttoinlandsprodukts für Militär und Verteidigung ausgegeben. Die Forderung nach einer weiteren Erhöhung auf 3 % sorgt für Diskussionen: 55 % der CDU/CSU-Kandidierenden unterstützen eine Erhöhung der Militärausgaben, darunter auch Thorsten Frei und Daniela Ludwig (CSU), die ehemalige Bundesdrogenbeauftragte. Gleichzeitig gibt es in der Parteiführung namhafte Gegenstimmen: Die ehemalige Bundesministerin Julia Klöckner, die stellvertretende Generalsekretärin Christina Stumpp und die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Patricia Lips lehnen eine Erhöhung ab.

Förderung erneuerbarer Energien: Differenzen bei den Grünen

Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit gelten als die zentralen Forderungen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. In fast allen 18 Fragen präsentieren sich die Direktkandidierenden der Partei im kandidierendencheck geschlossen. Doch bei einem ihrer Kernanliegen zeigt sich eine unerwartete Abweichung.

Die Förderung erneuerbarer Energien ist ein wichtiges Anliegen der Grünen. Ein schrittweiser Abbau dieser Förderung wird von einer deutlichen Mehrheit der grünen Kandidierenden abgelehnt – fast 90 % sprechen sich dagegen aus, darunter auch die Parteivorsitzenden Felix Banaszak und Franziska Brantner. Umso bemerkenswerter ist die Positionierung des grünen Spitzenpersonals: Kanzlerkandidat Robert Habeck sowie die ehemalige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock votieren „neutral“ und stehen damit im Kontrast zur klaren Mehrheit ihrer Partei.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in der wohnungspolitischen Debatte um einen staatlich festgelegten Mietendeckel. Während fast 62 % der Grünen-Kandidierenden für eine solche Regelung stimmen, nehmen Habeck und Baerbock erneut eine neutrale Position ein. In diesen beiden Fragen zeigen sich die Spitzenkandidierenden zurückhaltender als ihre Partei, die sich traditionell für staatliche Regulierungen sowohl im Klimaschutz als auch in der Wohnungspolitik einsetzt.

Christian Lindner: Sechs Mal keine klare Haltung

Während sich die FDP-Kandidierenden bei mehreren politischen Fragen im kandidierendencheck mehrheitlich für oder gegen eine These aussprechen, fällt beim FDP-Vorsitzenden und Spitzenkandidat Christian Lindner eine Häufung an neutralen Antworten auf. 

Zu insgesamt sechs Thesen – darunter die Abschaffung von § 218, die Stärkung von Bürgerräten, die Erhöhung des Renteneintrittsalters, höhere Verteidigungsausgaben, die Fortführung des Deutschlandtickets sowie Transparenzregeln für Lobbyist:innen – gibt Lindner keine klare Zustimmung oder Ablehnung.

Diese Zurückhaltung steht im Kontrast zur Haltung vieler prominenter Gesichter der FDP-Parteispitze. So sprechen sich über 63 % der FDP-Kandidierenden für die Abschaffung der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen aus – darunter Johannes Vogel, erster Parlamentarischer Geschäftsführer, und Konstantin Kuhle, stellvertretender Fraktionsvorsitzender.

Keine Position von Weidel & Chrupalla - Spannende Differenzen in der AfD-Parteispitze

Kanzlerkandidatin Alice Weidel und Parteivorsitzender Tino Chrupalla haben nicht am kandidierendencheck teilgenommen, sodass ihre Positionen unklar bleiben. Daher fällt der Blick auf andere führende Persönlichkeiten der Parteispitze. In vielen politischen Fragen präsentiert sich die AfD als geschlossene Partei, doch in der Parteiführung gibt es zu zwei zentralen Thesen deutliche Meinungsverschiedenheiten.

Beim Thema Verteidigungsausgaben befürwortet eine knappe Mehrheit von 52 % der AfD-Direktkandidierenden eine Erhöhung auf mindestens 3 % des Bruttoinlandsprodukts. Innerhalb der Parteispitze gehen die Meinungen jedoch auseinander: Der erste Parlamentarische Geschäftsführer Stephan Brandner unterstützt die Forderung, während Beatrix von Storch, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende, eine Erhöhung ablehnt. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Sebastian Münzenmaier vertritt wiederum eine andere Haltung und positioniert sich in dieser Frage neutral.

Uneinigkeit gibt es auch beim Renteneintrittsalter. Während eine große Mehrheit von 81 % der AfD-Kandidierenden gegen eine Anhebung des Rentenalters ist, befürwortet Beatrix von Storch die Maßnahme und steht damit im Gegensatz zu vielen prominenten Parteikolleg:innen, darunter Stephan Brandner und Sebastian Münzenmaier, die eine Erhöhung ablehnen. Jürgen Braun, ehemaliger Parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Fraktion, bleibt in dieser Frage neutral.

Keine Meinungsverschiedenheiten bei der Linken

Überraschungen bleiben bei Die Linke aus. Die Linke zeigt sich in nahezu allen Thesen des kandidierendenchecks mit breiter Mehrheit einig: Über 90 % der Direktkandidierenden stimmen in den meisten Fragen überein. Auch innerhalb der Parteiführung gibt es keine Differenzen. Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek, Parteivorsitzende Ines Schwerdtner, die stellvertretenden Parteivorsitzenden Maximilian Schirmer und Ates Gürpinar sowie bekannte Gesichter wie Gregor Gysi und Bodo Ramelow vertreten durchgängig dieselben Positionen.

Besonders deutlich wird diese Einigkeit bei der Frage nach einer Wiedereinführung der Besteuerung von Großvermögen. Hier stimmen 100 % der Kandidierenden der Linken für die These, ohne eine einzige abweichende Position.

Ein Blick auf die Kleinparteien

Auch bei den Kleinparteien liefert der kandidierendencheck interessante Einblicke – doch nicht überall positionierte sich die Parteispitze. BSW-Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht hat sich nicht zu den Thesen geäußert, sodass ihre Haltung offen bleibt.

Bei Volt zeigt sich in den meisten Fragen eine große Übereinstimmung unter den Direktkandidierenden. Eine bemerkenswerte Abweichung gibt es jedoch bei der Frage, ob Parteispenden von Unternehmen und Verbänden verboten werden sollen. Während 73 % der Volt-Kandidierenden die These ablehnen, stimmt Spitzenkandidatin Maral Koohestanian für ein Verbot und weicht damit von der Meinung der Mehrheit ihrer Partei ab.

Auch bei den Freien Wählern gibt es eine auffällige Differenz. Die Partei zeigt sich insgesamt einig, doch bei der Frage, ob die Rolle von Bürgerräten in der parlamentarischen Demokratie gestärkt werden soll, geht der Spitzenkandidat und Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger einen anderen Weg. Während 48 % der Kandidierenden die These unterstützen, bleibt Aiwanger neutral.

Bei anderen Kleinparteien wie beispielsweise ÖDP, Tierschutzpartei, dieBasis, MLPD und Die PARTEI blieben überraschende Abweichungen aus.

Viele Antworten im kandidierendencheck waren erwartbar, andere wiederum überraschend. Doch was steckt hinter diesen Positionierungen? Wer sich weiter informieren oder selbst nachhaken möchte, kann über das Wahlportal von abgeordnetenwatch.de direkt Fragen an die Kandidierenden stellen und sich so ein noch genaueres Bild machen.

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