Wir verklagen das Bundeskanzleramt. Es geht um Sigmar Gabriel, Olaf Scholz und ein ominöses Lobbytreffen der beiden.
Als Sigmar Gabriel im März 2018 seine Posten als Außenminister und Vizekanzler räumte, tat er dies mit einem Vorsatz: „Man soll nicht an Türen klopfen, hinter denen man selbst mal gesessen hat“.
Der gute Vorsatz gilt inzwischen nicht mehr. Denn Gabriel arbeitet jetzt für den Milliardenkonzern Thyssenkrupp Steel. Er ist bei dem Stahlunternehmen nicht nur Chef des Aufsichtsrates, sondern höchstpersönlich fürs Türöffnen bei der Bundesregierung zuständig. Man könnte auch sagen: Gabriel ist Lobbyist.
Kanzler Scholz trifft Stahllobbyist Gabriel – angeblich existieren keine Dokumente
Vor einiger Zeit deckten wir auf, dass Gabriel Mitte 2022 seine Kontakte spielen ließ, um mit wichtigen Leuten im Kanzleramt zu sprechen. Bei mindestens fünf Gelegenheiten tauschte er sich mit Staatssekretär Jörg Kukies aus, einem der engsten Vertrauten von Bundeskanzler Olaf Scholz. Dabei ging es unter anderem um den Emissionshandel – und um die deutsche Stahlindustrie.
Besonders interessant ist jedoch ein Treffen mit einer anderen Person, das am 5. Juli 2022 stattfand: mit Bundeskanzler Olaf Scholz persönlich.
Was hatte Gabriel mit seinem Parteifreund Scholz zu besprechen?
Merkwürdig war, wie das Kanzleramt reagierte, als wir dort um Informationen zu dem Treffen baten. Zunächst behauptete ein Regierungssprecher, zum Gesprächsinhalt lägen "keine Informationen" vor. Der Sprecher wollte nicht einmal mitteilen, ob Scholz und Gabriel sich im Bundeskanzleramt trafen.
Als wir schließlich Akten zu der ominösen Zusammenkunft anforderten, tischte uns das Kanzleramt eine weitere Version auf. Plötzlich war von einem "allgemeinen Austausch" die Rede. Leider gebe es dazu keine amtlichen Unterlagen.
Die unterschiedlichen Versionen des Kanzleramts
Die naheliegende Frage ist: Wenn angeblich keine Dokumente existieren, warum kann das Kanzleramt dann mit Sicherheit sagen, dass Gabriel und Scholz sich ganz allgemein ausgetauscht haben – und nicht etwa über ein konkretes Thema?
Und dann hatte das Kanzleramt für uns noch eine dritte Version parat. Irgendwann erinnerte man sich daran, dass Scholz und Gabriel doch nicht über dies und das gesprochen hatten, sondern doch über ein konkretes Thema: die "Deutsche Stahlindustrie".
Man muss sich das vorstellen: Der amtierende SPD-Bundeskanzler unterhält sich mit dem vormaligen SPD-Vizekanzler und heutigen Aufsichtsratschef eines großen Stahlkonzerns über die deutsche Stahlindustrie – und das Kanzleramt verheimlicht das zunächst.
Es droht ein langjähriger Rechtsstreit
Vor dem Berliner Verwaltungsgericht haben wir inzwischen Klage gegen das Bundeskanzleramt eingereicht. Wir halten es für unglaubwürdig, dass es in der Regierungszentrale keinerlei Unterlagen zu Gabriels Lobbytreffen mit Olaf Scholz gibt und angeblich nicht einmal ein Kalendereintrag existiert. (Kalendereinträge können relevante Informationen zu möglichen weiteren Beteiligten oder Gesprächsthemen enthalten).
Schlimm genug, dass Gabriels pikantes Lobbytreffen mit dem Kanzler überhaupt erst durch Recherchen ans Licht gekommen ist – weil es hierzulande keine Offenlegungspflichten gibt. Mindestens genauso schlimm ist es, dass das Kanzleramt offensichtlich Dokumente zurückhält.
Wir stellen uns auf einen langjährigen Rechtsstreit ein. Das Kanzleramt ist bekannt dafür, alle Rechtsmittel auszuschöpfen und dafür auch externe Großkanzleien hinzuzuziehen.
Anders als das Bundeskanzleramt können wir in diesem Rechtsstreit nicht auf Steuermittel zurückgreifen. abgeordnetenwatch.de ist spendenfinanziert und braucht Ihre Unterstützung. Egal ob 5, 10 oder 20 Euro – jede Spende hilft (und ist für Sie steuerlich absetzbar).