Vor vielen Jahren bekamen wir Besuch von einem etwas unscheinbaren, aber einflussreichen Mann. Es ging um die Fragen, die Bürger:innen über abgeordnetenwatch.de stellten. Manche im Bundestag fanden das lästig, weil dadurch sichtbar wurde, wenn sie nicht antworteten. Nach dem Gespräch hatte der Besucher offenbar den Eindruck, dass hinter dem Frageportal ein redliches Anliegen steckte. Er ging zurück in den Bundestag und empfahl seiner Fraktion, den Bürger:innen auf ihre Fragen bei abgeordnetenwatch.de zu antworten.
Der unscheinbare Mann war Olaf Scholz, damals Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, heute Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Wahrscheinlich denkt Scholz mittlerweile anders über abgeordnetenwatch.de. Zum Beispiel, dass wir ihm und seiner Regierungsmannschaft gehörig auf die Nerven gehen.
Am vergangenen Donnerstag ist abgeordnetenwatch.de 18 Jahre alt geworden. Aus dem kleinen Frageportal, dessen Büro der SPD-Politiker Scholz damals besuchte, ist eine Transparenzportal mit mehr als 20 Mitarbeitenden geworden. Eine Organisation, die Missstände in der Politik aufdeckt und von unseren Abgeordneten wirksame Maßnahmen gegen Lobbyismus und Korruption einfordert.
Vieles, was heute selbstverständlich ist, war vor 18 Jahren schwer vorstellbar. Dass Abgeordnete offenlegen müssen, wie viel sie nebenher verdienen? Dagegen waren Abgeordnete wie Friedrich Merz und Siegfried Kauder 2006 vors Bundesverfassungsgericht gezogen (und hatten verloren). Dass Lobbyist:innen sich erst in ein Register eintragen müssen, wenn sie Kontakt zur Politik aufnehmen wollen? War bis vor wenigen Jahren nicht durchsetzbar.
Als wir 2014 zum ersten Mal vor Gericht zogen, waren wir überrascht, wie Politik sich mit Durchhaltewillen zum Besseren verändern lässt. Sieben Monate später verurteilte das Gericht die Bundestagsverwaltung nämlich dazu, uns die Namen von Konzernen herauszugeben, die über einen Hausausweis fürs Parlament verfügten. Doch damit nicht genug: Die öffentliche Diskussion, die unsere Klage ausgelöst hatte, führte zu einer Verschärfung der Zugangsregeln zum Bundestag. Unternehmen und Interessenverbände durften fortan keine Hausausweise mehr erhalten – sie verloren ihren bis dahin ungehinderten Zugang zu den Abgeordnetenbüros.
Lobbyist:innen und Abgeordnete mussten sich in den vergangenen 18 Jahren an viele neue Transparenzpflichten gewöhnen, viele hätte es ohne den Druck von abgeordnetenwatch.de und anderen wohl nicht gegeben. Einige Betroffene waren deshalb mächtig sauer. Ein Politiker sagte uns einmal ganz direkt: Schade, dass ihr kein Geld vom Staat bekommt, sonst könnten wir euch die Mittel streichen.
Was der Abgeordnete meinte: Die Politik kann keinen Druck auf abgeordnetenwatch.de ausüben. Von Beginn an war uns wichtig, finanziell unabhängig zu sein. Wir können unserer Arbeit ungestört nachgehen, weil uns mehr als 12.700 Menschen mit einer regelmäßigen Spende unterstützen. Das ist ein großes Glück und ein Privileg, das wir sehr zu schätzen wissen. Diese Unabhängigkeit hilft uns, Gegenwind auszuhalten.
Manche Abgeordnete haben aus ihrer Abneigung gegenüber abgeordnetenwatch.de in den vergangenen Jahren keinen Hehl gemacht. Zum Beispiel Peer Steinbrück, der frühere Finanzminister von der SPD. Als in einer ARD-Talksendung das Gespräch auf seine hohen Vortragshonorare kam, die wir publik gemacht hatten, beschimpfte er abgeordnetenwatch.de als „kommerziellen Haufen“. Der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl nannte uns eine „Aufpasserorganisation“, die in einer Demokratie niemand brauche. Von seinem Parteifreund Peter Ramsauer wurden wir als „unseriöse Organisation“ diffamiert, weil ihm Recherchen über seine stattlichen Nebeneinkünfte aus der Wirtschaft nicht gefielen.
Diese und andere Politiker:innen stört, dass wir den Scheinwerfer auf etwas richten, das lieber im Schatten bleiben soll: Nebentätigkeiten, Zusatzverdienste, Interessenkonflikte. Sie stört, dass sich Menschen durch unsere Veröffentlichungen ein Bild davon machen können, von wem Abgeordnete oder Parteien Geld erhalten und wer Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt.
Und damit noch einmal zurück zu Olaf Scholz, unserem Besucher aus den Anfangsjahren. Scholz ist inzwischen ins Kanzleramt eingezogen und empfängt Lobbyist:innen. Am 5. Juli 2022 hatte der Kanzler zum Beispiel einen solchen Lobbytermin – ausgerechnet mit Sigmar Gabriel, seinem langjährigen Weggefährten, der inzwischen als Aufsichtsratschef und Lobbyist für den Stahlkonzern Thyssen Krupp Steel arbeitet. Es ging, wie das Kanzleramt nach mehrmaligen Nachfragen kleinlaut einräumte, um das Thema „deutsche Stahlindustrie“. Ans Licht kommen die diskreten Lobbygespräche oft erst durch Recherchen.
Olaf Scholz und seine Ampelkoalition haben kein Interesse daran, dass Lobbytreffen sichtbar werden. Bis heute haben sie keine Veröffentlichungspflicht für Lobbykontakte eingeführt und haben das auch nicht vor. Deswegen werden wir es übernehmen müssen, die Kontakte zwischen Politik und Lobbyist:innen sichtbar zu machen. Genauso wie wir sichtbar machen werden, von wem unsere Abgeordneten Geld erhalten und wer die Parteien bezahlt.
Viele Menschen in der Politik sind vorbildlich. Sie sind kompetent, bürgernah und transparent. Doch einige sind dies nicht.
Wenn wir uns von Ihnen zum 18. Geburtstag etwas wünschen dürfen, dann ist es das: Eine einmalige oder regelmäßige Spende, die unsere finanzielle Unabhängigkeit stärkt. Und die uns ermöglicht aufzudecken, was einige nicht aufgedeckt haben wollen. Wenn Sie uns dabei unterstützen möchten, würde uns das sehr freuen! Ihre Spenden sind übrigens steuerlich absetzbar.