Viel ist in diesen Wochen von einem prominenten Gaslobbyisten namens Gerhard Schröder die Rede. Weniger bekannt ist, welchen Lobbyjobs andere ehemalige Spitzenpolitiker:innen nachgehen. Mehr als drei Dutzend frühere Regierungsmitglieder lassen sich im Lobbyregister des Bundestags finden – sie arbeiten unter anderem für die Rüstungs-, Immobilien- oder Versicherungsindustrie.
Unsere Themen in der Übersicht:
- Die Lobbyjobs der ehemaligen Regierungsmitglieder
- Verräterische Mail vom Banken-Lobbyist Sigmar Gabriel
- Warum wir das Kanzleramt verklagen
- Verschwundene Deutsch-Russische Freundschaftsgruppe | Zweitligist im Lobbyregister | Keine Digitalakten im Kanzleramt: Neues aus den Sozialen Netzwerken
- Neuer Kandidierenden-Check zur Wahl in NRW und SH: Wer tickt wie Sie?
- Fragen und Antworten des Monats
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Die Lobbyjobs der ehemaligen Regierungsmitglieder
© | picture alliance: Boris Roessler/dpa | Christoph Hardt/Geisler-Fotopress (2x) | SvenSimon, Malte Ossowski (v.l.n.r.) |
Was machen eigentlich Joschka Fischer, Roland Koch oder Rudolf Scharping? Um viele ehemalige Regierungsmitglieder auf Bundes- und Landesebene ist es in der Öffentlichkeit still geworden. Doch hinter den Kulissen sind sie äußerst aktiv: Als Türöffner:innen für Konzerne und Interessengruppen. Durch Recherchen von abgeordnetenwatch.de ergibt sich nun erstmals ein umfassender Überblick über die Lobbyjobs von mehr als drei Dutzend ehemaligen Spitzenpolitiker:innen. So arbeitet der frühere Grünen-Außenminister Fischer mit seiner Agentur inzwischen für DocMorris und Tank & Rast, Hessens Ex-Ministerpräsident Koch führt unter anderem für Vodafone "Gespräche mit Regierung und Parlament mit dem Ziel, durch angemessene Regulierung die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken." Mehr:
Die Lobbyjobs der ehemaligen Regierungsmitglieder
Weitere Recherchen zum Thema:
Verräterische Mail vom Banken-Lobbyist Sigmar Gabriel
© | picture alliance/dpa | Swen Pförtner |
Ein bekanntes Sprichwort lautet: "Auf jedem Schiff, ob's dampft, ob's segelt, gibt's einen, der die Sache regelt." So läuft es im Grunde auch bei vielen Konzernen und Interessenverbänden, wenn sie ein Lobbyanliegen haben.
- Wenn der Glyphosathersteller Bayer AG Gesprächsbedarf mit der Bundesregierung hat, lässt der frühere Grünen-Staatssekretär und heutige Lobbyist Matthias Berninger seine Kontakte spielen.
- Wenn der Immobilienkonzern Domicil Real Estate AG (Kerngeschäft: "Privatisierung von Wohnungsbeständen") einen Kontakt in der Politik benötigt, wird Günther Oettinger (CDU) mit seiner Agentur aktiv.
- Wenn die Zigarettenlobby ein politisches Anliegen hat, kommt der ehemalige FDP-Staatssekretär Jan Mücke zum Einsatz: Als Lobbyist des Deutschen Zigarettenverbandes.
Mit etwas Mühe lassen sich im Lobbyregister mehr als drei Dutzend solcher Beispiele finden.
Wie die Lobbyarbeit von ehemaligen Regierungsmitgliedern konkret funktioniert, konnten wir vor einiger Zeit im Fall von Sigmar Gabriel belegen. Im April 2020 klingelte der Aufsichtsrat der Deutschen Bank bei Bundeskanzlerin Angela Merkel durch und bat sie, sich in Brüssel für ein Anliegen der Bank einzusetzen: die Aussetzung der EU-Bankenabgabe.
Gabriels Lobby-Telefonat kam ans Licht, weil er im Nachgang eine schriftliche Spur hinterließ: eine Mail an die "liebe Frau Bundeskanzlerin", in der er sich für das Gespräch bedankte. Das Kanzleramt musste Gabriels Schreiben nach einem Antrag von abgeordnetenwatch.de herausgeben – wir veröffentlichten es.
So wie im Fall Gabriel dürfte es häufig laufen: Ex-Politiker:innen nutzen hinter den Kulissen ihre Kontakte, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Weil es der Ampel-Koalition am Willen fehlt, strenge Offenlegungspflichten einzuführen, haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, Lobbyismus im Verborgenen aufzudecken. Als rein spendenfinanzierte Organisation können wir dies nur mit der Unterstützung aus der Bevölkerung.
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Warum wir das Kanzleramt verklagen
Kommen wir zu Gerhard Schröder. Seit Jahren nutzt der Altkanzler seine Kontakte in die Politik, um den Chefs von Gazprom, dem Pipeline-Betreiber Nord Stream und anderen die Tür zur Politik zu öffnen.
Doch nicht immer ist klar, zu welchen Themen und in wessen Auftrag sich Schröder mit der Bundesregierung austauschte. Kurz nach der Bundestagswahl wurde der Altkanzler beispielsweise bei der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel vorstellig. Zu Einzelheiten schweigt sich das Kanzleramt aus, einen Kalendereintrag zu dem pikanten Gespräch Anfang Oktober 2021 hält es vor uns geheim. Angeblich würden bei einer Herausgabe „nachteilige Auswirkungen auf die innere oder äußere Sicherheit“ drohen, behauptet die Regierung. Wir halten das für vorgeschoben – und haben das Kanzleramt nun auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes vor dem Berliner Verwaltungsgericht verklagt. Mehr:
Warum wir das Kanzleramt verklagen
Weiterführende Lektüre:
Verschwundene Deutsch-Russische Freundschaftsgruppe | Zweitligist im Lobbyregister | Keine Digitalakten im Kanzleramt: Neues aus den Sozialen Netzwerken
Neben unserer Website liefern wir auch bei Twitter, Instagram und Facebook Hintergründe zu aktuellen Themen und zu unseren Recherchen. Hier einige Beispiele aus den vergangenen Tagen:
- Auf der Bundesrats-Website gab es lange Zeit Informationen zu einer wenig bekannten "Deutsch-Russischen Freundschaftsgruppe" – bis vor wenigen Tagen. Auf Twitter zeigen wir, dass die Inhalte seit kurzem verschwunden sind (und wie man sie wieder sichtbar macht). Vorsitzende der Gruppe war zuletzt übrigens die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD).
- Im Lobbyregister tauchen mitunter überraschende Namen auf, zum Beispiel der des SV Werder Bremen. Der Zweitligist hat demnach die Lobbyagentur Bohnen Public Affairs beauftragt, die auch etliche Großkonzerne vertritt. Mehr dazu hier auf unserem Twitter-Kanal.
- Kürzlich lehnte das Kanzleramt wieder einmal einen Auskunftsantrag von uns ab – mit einer im Jahr 2022 schwer nachvollziehbaren Begründung: Man könne im Aktenbestand nicht einfach nach etwas suchen, da "die Akten nicht in elektronischer Form, sondern in Papierform geführt" würden. Auf Twitter zeigen wir einen Ausriss aus dem Brief des Kanzleramtes.
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Neuer Kandidierenden-Check zur Wahl in NRW und SH: Wer tickt wie Sie?
© | abgeordnetenwatch.de |
Wie stehen die Kandidierenden in Ihrem Wahlkreis zu höheren Verteidigungsausgaben? Sind sie für ein Tempolimit oder für längere Laufzeiten von Atomkraftwerken? Genau das können Sie jetzt mit unserem Kandidierenden-Check zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein herausfinden: Einfach Postleitzahl eingeben und Thesen zu wichtigen politischen Themen beantworten. Am Ende erfahren Sie, mit welchen Kandidierenden Sie am meisten übereinstimmen.
Wenn Sie darüber hinaus Fragen an die Politiker:innen haben, können Sie diese über abgeordnetenwatch.de stellen. Unser Frageportal zur NRW-Wahl finden Sie hier. Die Kandidierenden zur Wahl in Schleswig-Holstein können Sie hier erreichen.
Fragen und Antworten des Monats
- Waffengewalt und Bibel | "Ist die Androhung von Waffengewalt aus Ihrer Sicht mit der Bibel vereinbar", will ein Bürger von dem Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries wissen. Der CDU-Politiker schreibt: "Mein Verständnis als Christ von christlicher Nächstenliebe ist nicht, dass ein friedliches Volk, dass Frauen und Kinder Tod und Gewalt schutzlos ausgeliefert sein sollen und wir dabei tatenlos zusehen. Die Autokraten und Despoten unserer Welt, die für mich das Böse im 21. Jahrhundert symbolisieren, verstehen nur eine Sprache der Stärke."
- Schutzmaßnahmen gegen Corona | "Inwiefern ist es Freiheit, wenn die Maskenpflicht in zahlreichen Supermärkten und Schulen wegfällt und niemand mehr die Freiheit hat, trotz eigener Maske sicher einkaufen zu können?", will ein Bürger von Marco Buschmann (FDP) wissen. Der Justizminister schreibt in seiner Antwort, es stehe jeder und jedem frei, "sich über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus selbst zu schützen – beispielsweise durch das Tragen einer FFP2-Maske in Innenräumen". Bei allenfalls flüchtigen Begegnungen wie im Supermarkt sei das eigene Infektionsrisiko damit sehr gering.
- Atommüllendlager in Bayern | "Sehr geehrter Herr Söder", schreibt ein Bürger an den bayerischen Ministerpräsidenten, "Sie fordern eine Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken, schließen aber ein Atommüllendlager in Bayern aus. Wie passt dies zusammen?" Eine Antwort des CSU-Politikers steht noch aus – wie auch bei über 400 weiteren Fragen aus der Bevölkerung.
Haben auch Sie Fragen an die Abgeordneten im Bundestag, den Landtagen oder dem EU-Parlament? Hier geht es zur Fragemöglichkeit auf abgeordnetenwatch.de:
Bundestag | EU-Parlament | Baden-Württemberg | Bayern | Berlin | Brandenburg | Bremen | Hamburg | Hessen | Mecklenburg-Vorpommern | Niedersachsen | Nordrhein-Westfalen (Wahl) | Rheinland-Pfalz | Saarland | Sachsen | Sachsen-Anhalt | Schleswig-Holstein (Wahl) | Thüringen
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