Interessenvertretung

Altkanzler Schröder spannte Bundestagsbüro für Lobbyaktivitäten ein

Seit einigen Monaten geht Gerhard Schröder einer wenig beachteten Tätigkeit für einen Versicherungsmakler nach. Kaum im Amt, kontaktierte er den zuständigen Arbeitsminister Hubertus Heil. Auch bei Olaf Scholz und Angela Merkel wurde der Altkanzler vorstellig, zuletzt kurz nach der Bundestagswahl. Organisiert wurden einige der Lobbytermine mit Steuergeld.

von Martin Reyher und Christian Fuchs, 01.12.2021
Altkanzler Gerhard Schröder

Nicht weit vom Checkpoint Charlie im Berliner Stadtteil Mitte liegt das französische Restaurant Entrecôte. Auf der Karte stehen Weinbergschnecken und Entenstopfleberpastete, zum Hauptgang wird gegrilltes Thunfischsteak an Soja-Chilisauce mit sautiertem Baby-Spinat serviert. Wenn Gerhard Schröder in der Hauptstadt weilt und Wichtiges zu besprechen hat, lädt er gern ins Entrecôte.

Für den 20. August 2020 hatte der Altkanzler dort gleich mehrere Tische reservieren lassen: Einen für sich und seinen Gesprächspartner, einen anderen für dessen Sicherheitsleute. Denn verabredet war Schröder mit niemand Geringerem als dem Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD). Eineinhalb Stunden hatte man im Ministerbüro für den Lunch-Termin der beiden Genossen geblockt.

Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT zeigen, wie Gerhard Schröder in den vergangenen zwei Jahren bei hochrangigen Regierungsvertretern der Großen Koalition als Lobbyist unterwegs war. In der Öffentlichkeit wird der Bundeskanzler a.D. vor allem mit seinen Aktivitäten für die Betreiberfirma der Gaspipeline Nord Stream in Verbindung gebracht. Doch seit Januar 2020 geht Schröder einem weiteren, bislang wenig beachteten Lobbyjob nach: Vorstand des Interessenverbandes BVUK ("Betriebliche Versorgungswerke für Unternehmen und Kommunen e.V.").

Hinter dem Verein mit Sitz in der Hauptstadt steht ein Unternehmen gleichen Namens, der Versicherungsmakler BVUK GmbH aus Würzburg. Für Kunden wie Obi, Henkel oder den Stahlkonzern ArcelorMittal organisiert der Mittelständler die betriebliche Altersvorsorge und ist damit gut im Geschäft. Zuletzt erwirtschaftete die Gesellschaft einen Gewinn von 4,7 Millionen Euro.

"Herr Schröder schlägt folgendes Zeitfenster vor"

Als Schröder im Januar 2020 als Vorstandsmitglied des angeschlossenen Lobbyverbandes vorgestellt wurde, war man mächtig stolz. "Wir sind ausgesprochen froh darüber, dass Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder nicht nur die Zielrichtung unserer Verbandsarbeit unterstützt, sondern dass er sich persönlich dafür einsetzen will, die betriebliche Altersvorsorge als elementar wichtigen zusätzlichen Rentenbaustein noch stärker in den öffentlichen Fokus zu rücken", sagte Verbandschef Michael Reizel, zugleich Geschäftsführer der BVUK GmbH. Und der Altkanzler legte sich sofort ins Zeug.

Interne Unterlagen, die die Bundesregierung jetzt auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) offenlegen musste, belegen Schröders emsigen Lobbyeinsatz.

Kaum hatte er seinen Posten bei der BVUK aufgenommen, geht am 19. Februar 2020 im Ministerbüro von Hubertus Heil (SPD), dem für Rente zuständigen Arbeitsminister, auch schon eine Terminanfrage ein. "Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder möchte sich gerne mit Herrn Bundesminister Hubertus Heil zu einem Gespräch / Mittagessen treffen", lässt Schröder per Mail über sein Büro ausrichten. Es soll um das "Thema Rente" gehen. Einen Treffpunkt hat Schröder bereits im Auge: Wieder ist es das Entrecôte in Mitte. Zu dem Mittagessen wird es wegen Terminschwierigkeiten nicht kommen, doch immerhin finden Lobbyist Schröder und der Arbeitsminister am 24. März 2020 per Telefon zueinander.

Terminanfrage Schröder an Hubertus Heil: "Wie telefonisch vorab besprochen: Bundeskanzler a. D. Schröder möchte sich gerne mit Herrn Bundesminister Hubertus Heil zu einem Gespräch / Mittagessen treffen. Thema: Rente Herr Schröder schlägt folgende Zeitfenster (Mittagessen z. B. im Restaurant „Entrecote“ Schützenstraße 5, 10117 Berlin) vor: - Donnerstag, 27.02.2020, z.B. 12:30 Uhr - Freitag, 28.02.2020, z.B., 12:30 Uhr Bitte lassen Sie mich wissen, ob einer der Termine infrage kommt. Mit freundlichen Grüßen"
Mittagessen im Restaurant Entrecôte, "Thema: Rente": Terminanfrage des Büros von Altkanzler Schröder beim Vorzimmer von Arbeitsminister Heil.

Ein halbes Jahr später wird Schröder dann bei einem von Heils Staatssekretären vorstellig. Worum es bei dem Gespräch ging? Weder zu diesem noch zu anderen Terminen will man sich im Arbeitsministerium äußern. Doch das Thema ist auch so naheliegend. Denn Schröder erschien in Begleitung von BVUK-Chef Reizel. Und der Staatssekretär, mit dem sich die beiden austauschten, ist praktischerweise für das Thema Betriebsrente zuständig.

Der Fall Schröder erinnert an die Aktivitäten eines anderen ehemaligen Spitzen-Genossen: Sigmar Gabriel. Kürzlich hatten abgeordnetenwatch.de und ZEIT ONLINE publik gemacht, dass der frühere Minister und Vizekanzler im April 2020 bei Kanzlerin Merkel für ein Anliegen der Deutschen Bank lobbyiert hatte. Nur Wochen zuvor war er als Aufsichtsrat der Bank nominiert worden.

Organisiert wurden die Lobbytermine von Schröders Altkanzler-Büro im Bundestag

Einen kurzen Draht zur Politik pflegte man bei der BVUK bereits lange vor der Verpflichtung von Gerhard Schröder. 2005 berichtete die Welt, dass der Lobbyverband dem CDU-Politiker Rainer Eppelmann die Abgeordnetendiät mit einem monatlichen Honorar von 1.000 Euro für einen Präsidiumsposten aufbesserte. "Der Verband hat ein großes Interesse daran, von Politikern zu erfahren, welche Entwicklungen es bei der betrieblichen Altersvorsorge gibt", sagte Eppelmann.

Im Fluss war damals einiges dank eines Bundeskanzlers namens Gerhard Schröder. 2002 hatte dessen rot-grüne Bundesregierung zusammen mit der Riester-Rente die betriebliche Altersversorgung durch Entgeltumwandlung eingeführt und die freiwillige Betriebsrente mit großzügigen Steuergeschenken gefördert. Es ist jene Form der Betriebsrente, die die BVUK jetzt vertreibt.

Wenn es um die Personalie Gerhard Schröder geht, ist man bei dem Würzburger Unternehmen nicht besonders gesprächig. Konkrete Fragen zu dessen Lobbyterminen in der Hauptstadt ließ ein Sprecher unbeantwortet, "an Spekulationen jeglicher Art" wolle man sich nicht beteiligen. Mit welchen Anliegen der Altkanzler bei der Bundesregierung Klinken putzen ging und ob er dies im Auftrag der BVUK tat? Unklar.

Insgesamt achtmal führte Schröder in den vergangenen zwei Jahren Gespräche mit hochrangigen Mitgliedern der Großen Koalition. Dies geht aus einer Regierungsantwort vom 14. Oktober 2021 auf eine parlamentarische Anfrage des langjährigen Linken-Abgeordneten Fabio de Masi hervor, der für den neuen Bundestag nicht wieder kandidiert hat. Zumindest einige dieser Lobbytermine, das zeigen die Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT, wurden laut Regierungsunterlagen von Schröders Altkanzler-Büro im Bundestag und damit aus Steuermitteln organisiert. Ausgestattet ist das Büro mit fünf Stellen, von denen derzeit vier besetzt sind Kosten für die Steuerzahler:innen: mehr als 400.000 Euro jährlich.

Treffpunkt: Dienstzimmer Olaf Scholz

Schröder selbst macht sich ebenfalls rar, wenn es um die pikanten Unterredungen geht. Einen umfangreichen Fragenkatalog zu Inhalten, Ergebnissen und Auftraggeber ließ er unbeantwortet. Gern hätte man auch erfahren, ob er für seine Lobbyaktivitäten in der Hauptstadt ein Honorar erhält. 

Erst kürzlich hatte Schröder erneut einen wichtigen Termin im Regierungsviertel. Nur wenige Tage nach der Bundestagswahl sprach der Altkanzler am 4. Oktober bei seiner Amtsnachfolgerin Angela Merkel vor. Zu welchem Thema und in wessen Auftrag, bleibt geheim. "Zum Inhalt vertraulicher Gespräche" nehme man keine Stellung, sagte ein Regierungssprecher auf Anfrage. Schriftliche Aufzeichnungen, etwa Notizen oder Vermerke, existieren angeblich nicht: Einen Auskunftsantrag von abgeordnetenwatch.de lehnte das Kanzleramt mit der Begründung ab, es lägen "keine Unterlagen im Aktenbestand" vor.

Sein vorerst letztes Gespräch mit einem hochrangigen Regierungsmitglied führte Schröder am 6. Oktober 2021. Aus internen Notizen des Finanzministeriums ergibt sich, dass sich der Altkanzler für ein einstündiges Treffen im Dienstzimmer des Ministers angekündigt hatte: beim Wahlsieger und aller Voraussicht nach nächsten Bundeskanzler Olaf Scholz.

Aktennotizen des Finanzministeriums: 13.11.2020 (Telefonat), Betreff: „16:00 Telefonat mit Gerhard Schröder ** M ruft direkt auf dem Handy an!“ Keine weiteren Informationen außer Telefonnummer # 30.09.2021 (Telefonat) m Betreff: „anschl. Telefonat mit Altkanzler Gerhard Schröder ** M ruft direkt auf dem Handy an!“ Keine weiteren Informationen außer Telefonnummer # 6. Oktober 2021 zu Betreff: „12:30-13:30 Gespräch mit Gerhard Schröder“ Ort: Dienstzimmer Im Termin nur Informationen zur von Gerhard Schröder"
"M ruft direkt auf dem Handy an!" Aktenvermerke des Bundesfinanzministeriums zu Gesprächen zwischen Minister Olaf Scholz und Gerhard Schröder.

Dass Scholz für seinen Parteifreund aus Hannover in dieser Phase eine ganze Stunde freischaufelte, ist erstaunlich. Am nächsten Tag trafen sich die angehenden Ampel-Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP zu ihrer ersten Sondierungsrunde. Olaf Scholz war einer der Verhandlungsführer.

Beim Versicherungsmakler aus Würzburg dürfte der bevorstehende Regierungswechsel mit einigem Wohlwollen vernommen worden sein. In ihrem aktuellsten "Jahresabschluss zum Geschäftsjahr 2019" klagt das Unternehmen, die Große Koalition habe bei den "gesamtwirtschaftlich und politischen Rahmenbedingungen (...) keine wichtigen Projekte umsetzen" können.

Ganz anders die Ampel. Sie sendete bereits mit ihrem in der vergangenen Woche vorgelegten Koalitionsvertrag ein positives Signal an die Branche. Auf Seite 73 des Schriftwerks findet sich der Satz: "Die betriebliche Altersversorgung wollen wir stärken, unter anderem durch die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen." Überraschend ist das nicht. Denn sowohl SPD als auch FDP und Grüne hatten vor der Wahl versprochen, die betriebliche Altersvorsorge auszubauen.

Bei der BVUK ist man zufrieden mit dem Einsatz des Altkanzlers. Ein Sprecher erklärte, Schröder habe als Vorstandsmitglied in den vergangenen zwei Jahren seine "Expertise in die Debatte über Altersvorsorge in Deutschland" eingebracht.


* Christian Fuchs ist Autor bei ZEIT und ZEIT ONLINE.

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