Interne Mail: Wie das Verkehrsministerium die Maut-Aufklärung erschweren wollte

Gelöschte Handydaten, geheime Treffen: In der Affäre um die gescheiterte PKW-Maut steht Verkehrsminister Andreas Scheuer seit Monaten unter Druck. Nun ist eine brisante Mail an Scheuer aufgetaucht, die erneut Zweifel am Aufklärungswillen des Ministeriums weckt. Darin beschreibt ein Spitzenbeamter, wie sich die Aufklärung der Opposition „noch mehr erschweren“ lasse. Wir veröffentlichen die Mail.

von Martin Reyher, 27.05.2020
Verkehrsminister Scheuer, interne Mail

Ende Juli 2019 gab es wieder einmal schlechte Nachrichten für Andreas Scheuer. Gerade hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg die PKW-Maut des Bundesverkehrsministers für rechtswidrig erklärt, da drohte in Berlin auch schon neues Ungemach: Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der die Frage klären sollte, wer das juristische, politische und finanzielle Desaster zu verantworten hat. 

Eine interne Mail aus jenen Tagen zeigt nun, wie das Verkehrsministerium die Aufklärung der Opposition erschweren wollte. Es geht um ein Schreiben, das der Leiter der Abteilung „Leitung, Kommunikation“ am 27. Juli 2019 um 16:35 Uhr an seinen Chef mailte: Verkehrsminister Andreas Scheuer. Der Inhalt war offenbar so relevant, dass die Führungsriege des Ministeriums in Kenntnis gesetzt wurde. Eine Kopie ging an Scheuers persönliche Referentin; den beiden Staatssekretären und dem Pressechef des Ministeriums wurde sie laut der Unterlagen eine Minute später weitergeleitet.

"Ein Sonderermittler könnte für uns hilfreich sein"

Andreas Scheuer
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU)

Die Mail des Abteilungsleiters an Scheuer, die wir hier veröffentlichen, ist Teil der Akten des Maut-Untersuchungsausschusses im Bundestag. Kürzlich hatte der Tagesspiegel die Existenz des Schreibens erwähnt.

Scheuer standen im Sommer 2019 unangenehme Wochen ins Haus. Der Minister hatte die Maut-Verträge mit den Betreiberfirmen unterzeichnet, obwohl das Urteil aus Luxemburg noch ausstand und es erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Herzensprojektes gab. Deswegen drängten Grüne, Linke und FDP auf eine parlamentarische Aufklärung, auch einen Sonderermittler brachten die Oppositionsfraktionen ins Spiel.

Aus Sicht des Verkehrsministeriums war ein Sonderermittler allerdings gar keine schlechte Option, wie der Abteilungsleiter in seiner Mail an Scheuer („lieber Andi“) durchblicken lässt. Denn erstens würde dieser auf Kosten des Bundestages arbeiten, und zweitens dürfe ein Ermittlungsbeauftragter laut Gesetz keine öffentlichen Erklärungen abgeben. „Dies könnte für uns hilfreich sein. Nicht nach jeder Zeugen-Vernehmung werden Statements der Fraktionen öffentlich abgegeben und der Ablauf der Sitzungen kritisch bewertet.“ Insgesamt, so der Beamte weiter, könnte „dies ein interessanter und vielleicht medial (zumindest zunächst) ruhigere Weg sein!“ Über ein mögliches Verfahren habe er sich auch mit einem hochrangigen Mitarbeiter der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausgetauscht.

"... und würden deren Antragsstellung noch mehr erschweren"

Dann unterbreitet der Spitzenbeamte seinem Chef einen pikanten Vorschlag. Bevor die Oppositionsfraktionen einen Maut-Untersuchungsausschuss beschließen würden, so schreibt er an Scheuer, „sollten wir noch folgendes erwägen“: Man könnte dem Bundestagsverkehrsausschuss einen vertraulich eingestuften Schriftwechsel („VS-NfD“) zwischen Verkehrsministerium, Kraftfahrtbundesamt (KBA) und dem Bundesamt für Güterverkehr (BAG) zuleiten – „medial begleitet“. Auf diese Weise würde man die Bestrebungen der Opposition zur Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses „noch mehr erschweren.“ Ein Staatssekretär prüfe bereits, ob man diesen Weg „von den Inhalten her“ beschreiten könne.


Ausriss aus Mail vom 27. Juli 2019 an Verkehrsminister Andreas Scheuer:
 
Ausriss aus interner BMVI-Mail an Scheuer
 
Vollständiges Schreiben vom 27. Juli 2019 an Verkehrsminister Andreas Scheuer (Anklicken zur Großansicht):

Wollte das Bundesverkehrsministerium vertrauliche Korrespondenzen an die Presse durchstechen mit dem Ziel, die Maut-Aufklärung der Opposition zu erschweren? Das Ministerium erklärt die Ausführungen des Abteilungsleiters so: Man habe einen Untersuchungsausschuss des Bundestages „entbehrlich“ machen und Aufklärung lieber im Verkehrsausschuss betreiben wollen. Mit der Formulierung „noch mehr erschweren“ sei gemeint gewesen, dass es der Opposition schwerer gemacht werden sollte, Gründe für die Einsetzung eines Untersuchungsausschuss zu benennen. Und was die Formulierung „medial begleitet“ im Zusammenhang mit dem vertraulichen Schriftwechsel mit KBA und BAG angehe: Die Medien entschieden alleine „über eine evtl. Berichterstattung oder Bewertung“, hieß es aus dem Haus von Andreas Scheuer.

Nachfragen von abgeordnetenwatch.de zu der vertraulichen Korrespondenz ließ das Verkehrsministerium bis zum Erscheinen dieses Artikels unbeantwortet. Offen bleibt deshalb, warum der Schriftwechsel als Verschlusssache eingestuft war und ob er Journalisten zugespielt wurde.

Gelöschte Handy-Daten, nicht existierende Unterlagen

Der Vorgang ist eine weitere Episode in der an Fragwürdigkeiten nicht armen Geschichte rund um die Maut-Aufklärung. Einige Beispiele:

  • Mehrere Scheuer-Treffen mit Managern der Mautfirmen CTS Eventim und Kapsch räumte das Ministerium erst unter Druck der Opposition ein. Unterlagen zu den Gesprächen in der entscheidenden Phase der Maut-Verhandlungen, beispielsweise Notizen oder Protokolle, existieren angeblich nicht.
  • Handy-Daten von Verkehrsminister Scheuer und dem damaligen Staatssekretär Guido Beermann ließ das Verkehrsministerium „routinemäßig“ löschen: Bei Scheuer wegen des Umstiegs auf ein neues Mobiltelefon, beim Staatssekretär wegen dessen Ausscheiden aus dem Amt. (Ob wichtige Handy-Daten in den Akten des Ministeriums gesichert wurden, ließ das Verkehrsministerium auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage offen). 
  • Beamte des Verkehrsministeriums ließen laut SPIEGEL Maut-Akten aus dem Bundestag transportieren und als vertrauliche Verschlusssachen einstufen. 
  • Dem Bundesrechnungshof wurden angeforderte Prüfunterlagen zu den Maut-Vorgängen nicht vorgelegt. So steht es in einem internen Prüfvermerk des Rechnungshofes, aus dem das ARD-Magazin Report Mainz jüngst zitierte. Das Verhalten des Verkehrsministeriums beschrieben die Rechnungsprüfer als "Arbeitsverweigerung".

Von einer Behinderung der Aufklärung will das Verkehrsministerium nichts wissen – ganz im Gegenteil. „Grundsätzlich gilt: Das BMVI unterstützt umfassend die Aufklärungsarbeit des Untersuchungsausschusses“, teilte das Scheuer-Ministerium auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de zum Schreiben des Abteilungsleiters mit. Aus Respekt vor der Arbeit des Untersuchungsausschusses könne man zu Einzelheiten der Untersuchungsgegenstände, die in den Sitzungen besprochen werden, keine Stellung nehmen.

Update 8. April 2021:

Verkehrsminister Andreas Scheuer hat laut Medienberichten eine Zusammenarbeit mit dem vom Bundestagsuntersuchungsausschuss eingesetzten Ermittlungsbeauftragten Jerzy Montag abgelehnt. Dabei ging es um die Sichtung von E-Mail-Postfächern Scheuers, die ihm als Bundestagsabgeordneter zur Verfügung stehen. In einem Schreiben von Scheuers Anwalt wird auf eine bereits erfolgte Herausgabe von Korrespondenz aus dem Abgeordnetenpostfach an den Untersuchungsausschuss verwiesen. Scheuer stimme dem mit einer Sichtung einhergehenden "umfänglichen Eingriff in seine verfassungsrechtlich garantierten Rechte als Bundesabgeordneter" nicht zu. 

Vertrauliche Maut-Absprachen veröffentlicht

Unsere Partnerorganisation FragDenStaat.de hat kürzlich die vertraulichen Vereinbarungen zwischen dem Bundesverkehrsministerium und dem Mautbetreiber autoticket öffentlich gemacht. Die Dokumente können Sie hier einsehen.

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