Weder Protokolle noch Notizen: Lobbyistentreffen von Ministern bleiben unter dem Radar

Von Gesprächen der Bundesregierung mit Lobbyisten fehlen oftmals jegliche Notizen, Vermerke oder Protokolle. In zahlreichen Fällen räumten die Ministerien auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage ein, dass es keinerlei "amtliche Aufzeichnungen" gebe – selbst bei brisanten Anlässen wie einem Telefonat zwischen Ministerin und Autolobby inmitten des Dieselskandals. Das Ganze könnte Methode haben.

von Marthe Ruddat, 13.07.2018
Ausriss Ministeriumsschreiben: Dokumente liegen nicht vor

„Lobbyisten sind kein Geheimbund, sondern arbeiten professionell und transparent.“ So sieht es Jan Mücke, Cheflobbyist des Deutschen Zigarettenverbandes (DZV). Kritik an der Nähe von Politik und Lobbyisten wiegelte er in einem Interview mit der Südwest Presse ab: „Gesprächsprotokolle kann jeder Bürger einsehen.“

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Was Mücke und seine Lobbyistenkollegen mit Ministern und Regierungsbeamten besprechen, bleibt grundsätzlich erst einmal im Dunkeln. Kein Bundesministerium veröffentlicht Dokumente zu Treffen mit Interessenvertretern von sich aus, weder im Internet noch an anderer Stelle.

Tatsächlich gibt es nur eine Möglichkeit, an Protokolle und andere Dokumente über Lobbytreffen zu kommen – über einen Auskunftsantrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Das Problem dabei: Ein solches IFG-Verfahren kann mehrere Monate dauern und noch dazu mächtig ins Geld gehen.

Was besprach der Wirtschaftsminister mit der Autolobby?

Da ist zum Beispiel das Treffen des damaligen Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel (SPD) mit Spitzenvertretern der Automobilindustrie im Juni 2014. Für die Herausgabe sämtlicher Dokumente hätte abgeordnetenwatch.de Gebühren „im mittleren Bereich“ zahlen müssen, so eine vorsichtige Schätzung des Ministeriums. Bei einem Gebührenhöchstsatz von 500 Euro wäre dies noch immer eine Menge Geld, die nicht jeder ausgeben will. abgeordnetenwatch.de verzichtete.

Doch die abschreckende Wirkung von Gebühren ist nicht die einzige Transparenzhürde. Nach abgeordnetenwatch.de-Recherchen liegen zu zahlreichen Treffen von Ministern und Beamten mit Lobbyvertretern angeblich keine Protokolle oder Gesprächsnotizen vor.

"Keine amtlichen Aufzeichnungen erstellt"

IFG: So beantragen Sie Dokumente

Über das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) können alle Interessierten amtliche Dokumente anfordern, z.B. Briefe, Protokolle oder Vermerke. Sehr einfach stellen Sie einen Antrag über unser Partnerportal fragdenstaat.de: Ministerium auswählen, das gewünschte Dokument beschreiben, Kontaktdaten angeben. Behörden haben innerhalb eines Monats zu antworten.

Als sich Gesundheitsstaatssekretär Lutz Stroppe im Juni und im Oktober 2016 mit Vertretern des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) traf, ging es um das GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz – also um ein Regelung, die den Interessenverband direkt betraf. Protokolle, Gesprächsnotizen oder sonstige Aufzeichnungen zu diesem Lobbytreffen? Fehlanzeige. „Soweit Sie amtliche Aufzeichnungen erbitten, muss ich Ihren Antrag ablehnen“, so das Antwortschreiben des Ministeriums auf einen abgeordnetenwatch.de-Antrag. „Es wurden zu keinem der Treffen amtliche Aufzeichnungen erstellt.“

Unterlagen fehlen auch zu Gesprächen, die im Verteidigungs- und im Justizministerium mit Lobbyisten geführt wurden. Selbst zu Gespräche von politischer Brisanz gibt es in den Akten angeblich keine Aufzeichnungen. Im Mai 2017 – inmitten der Aufarbeitung es Dieselskandals – telefonierte die damalige Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) mit dem damaligen Cheflobbyisten des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Matthias Wissmann. Gesprächsnotizen oder andere Unterlagen im Zusammenhang des Gesprächs würden „nicht vorliegen“, so das Ministerium gegenüber abgeordnetenwatch.de, der Antrag auf Herausgabe werde daher abgelehnt.

Auskunftsrecht wird ausgehebelt

Und selbst wenn Unterlagen existieren, beziehen sich diese oftmals nicht auf die Gesprächsinhalte. In etlichen Fällen erhielt abgeordnetenwatch.de Dokumente, die lediglich der Vorbereitung dienten. Gesprächsprotokolle oder -notizen waren dagegen nicht vorhanden.

Das Ganze könnte Methode haben. Ein Regierungsbeamter verriet kürzlich im SPIEGEL, dass brisante Dokumente teilweise gar nicht mehr veraktet würden. Dadurch solle verhindert werden, dass Informationen über das Informationsfreiheitsgesetz an die Öffentlichkeit gelangen. Gut möglich also, dass Protokolle von Lobbygesprächen zwar angefertigt, aber im Giftschrank aufbewahrt werden.

Zurück zum Cheflobbyisten des Tabakverbandes, den DZV-Geschäftsführer Jan Mücke, der kürzlich behauptete: "Jeder kann die Fußabdrücke unserer Arbeit in den Verwaltungsakten nachlesen." Die Transparenz seiner Lobbygespräche mit dem Landwirtschaftsministerium gestaltet sich folgendermaßen:

  • Zu fünf von zehn Treffen wurden laut Ministerien „keine Protokolle und/oder Gesprächsvermerke gefertigt“.
  • Um an die fünf vorhandenen Protokolle zu gelangen, mussten wir einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz stellen und mehr als ein halbes Jahr auf Übersendung warten.
  • Kosten, um die fünf Protokolle aus den Aktenschränken des Ministeriums zu befreien: 112,50 Euro (Verwaltungsgebühr).

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