Alles begann mit dem Hinweis eines abgeordnetenwatch.de-Besuchers, der uns darauf aufmerksam machte, dass es auf der Facebook-Fanseite des Bundestagsabgeordneten Thomas Gebhart einen sprunghaften Anstieg der Likes um etwa 15 Prozent gegeben hatte. Wir gehen den Hinweisen aufmerksamer Leserinnen und Leser gerne nach und fanden heraus, dass auch bei Gebharts Kollegin aus dem Nachbarwahlkreis, Maria Böhmer, in fast demselben Zeitraum die Facebook-Likes ebenfalls innerhalb sehr kurzer Zeit sogar um gut 1.000 auf ca. 3.000 angestiegen waren. Und das, obwohl die Zahl ihrer Fans ansonsten eher stagniert und die CDU-Abgeordnete auf Facebook nicht aktiver war als sonst.
Quelle: pluragraph.deEigentlich dachten wir, dass Politiker mit Profilen in den so genannten "sozialen Medien" spätestens seit der Twitter-Affäre der CDU vor zweieinhalb Jahren sensibilisiert seien. Der Internet-Blog Hyperland des ZDF hatte aufgedeckt, dass das Twitterprofil @cdu_news (mittlerweile nicht mehr aktiv) innerhalb kurzer Zeit 5.000 neue Follower aus dem Ausland bekommen hatte. Damals kam heraus, dass die künstlich erzeugten Likes gekauft worden waren, was seit Jahren ein Problem bei Profilen öffentlicher Personen ist. Es ließ sich seinerzeit nicht aufklären, wer den Kauf durchgeführt bzw. beauftragt hatte. Die CDU jedenfalls wies eine Verantwortung zurück. Immerhin wurden die 5.000 falschen Follower von Twitter identifiziert und aus dem CDU-Account gelöscht.
Der hier vorliegende Fall weist nun einige Parallelen auf: Die 200 Likes bei Gebhart sowie die 1.000 Likes bei Böhmer stammen ebenfalls aus dem Ausland, in beiden Fällen aus dem Irak. Mithilfe eines im Auftrag von Stern TV programmierten Online-Werkzeugs kann jeder Internetnutzer herausfinden, aus welchen Ländern die Gefällt-mir-Angaben von Facebook-Fanseiten kommen. Weil die Angaben immer etwa vier Tage zurückliegen, ließ sich bei Thomas Gebhart ein Vorher-Nachher-Vergleich anfertigen:
Quelle: www.sterntv-experimente.de/FacebookLikeCheck/
Die Anaylse bei Maria Böhmer zeigt ein ähnliches Bild – die Zahl der Likes aus dem Irak stimmt weitestgehend mit der Zahl des plötzlichen Like-Anstiegs überein.
Quelle: www.sterntv-experimente.de/FacebookLikeCheck/
Nun ist es so, dass Frau Böhmer Parlamentarische Staatssekretärin (Staatsministerin) im Außenministerium ist und sich Herr Gebhart am 10. Februar über die Situation von Flüchtlingen im Wahlkreis informiert hatte. Ist der plötzliche Zuwachs bei den Facebook-Likes also vielleicht dadurch zu erklären?
Normale Zuwächse aufgrund eines außergewöhnlichen Ereignisses laufen nach einem ersten Anstieg abflachend aus, sie haben nicht die Form einer Treppenstufe. Das lässt sich z.B. beobachten bei Anton Hofreiter, dessen Zahl der Facebook-Fans nach seinem Auftritt in der Heute-Show vom 27.2.2015 etwas ruckelig, aber dennoch deutlich nach oben ging:
Außerdem sind die Größenordnungen von ziemlich genau 200 bzw. 1.000 Likes, wie bei Thomas Gebhart und Maria Böhmer, gängige Paketgrößen beim Kauf von Likes im Internet. 1.000 Likes kosten etwa acht Euro, wenn sie aus dem Ausland kommen und ca. 80 Euro, wenn sie aus Deutschland stammen.
Es scheint plausibel, dass die Likes der beiden rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten gekauft wurden. Ob diese von den Abgeordneten oder Mitarbeitern bzw. Sympathisanten erworben wurden oder ein politischer Gegner den Politikern ein faules Ei ins Nest legen wollte, lässt sich allerdings nur sehr schwer herausfinden.
Um zumindest den Kauf durch die Abgeordneten selbst ausschließen zu können, baten wir die beiden Parlamentarier um Stellungnahme zu den Beobachtungen.
Unsere Frage lautete: "Es gab innerhalb kurzer Zeit Anfang/Mitte Februar z.B. einen erstaunlichen Anstieg der Likes. Ist Ihnen oder Ihrem Team auch etwas aufgefallen bzw. können Sie sich diese Anstiege erklären?"
Im Fall von Thomas Gehart überrascht die Antwort. Denn der Abgeordnete bezieht sich darin auf einen Zeitraum (seit Mitte Februar), nach dem wir gar nicht gefragt hatten - als würde er zu dem betreffenden Zeitraum, in den die massiven Like-Zuwächse fallen, nichts sagen wollen:
Gebharts Facebook-Post mit der größten Resonanz im Monat Februar war übrigens ein Bild von der Faschingsverkleidung des Abgeordneten als Schlumpf, der 89 Likes für einen eher unpolitischen Beitrag bekam - im Gegensatz zu den sonst 10-20 Likes. Eher unwahrscheinlich, dass 180 Iraker deswegen Fan des rheinland-pfälzischen Parlamentarier wurden. Wir fragten deswegen noch einmal bei Gebhart nach: "Wenn die Gefällt-mir Angaben seit Mitte Februar organisch sind, kann dann daraus geschlossen werden, dass die Angaben vor Mitte Februar nicht organisch sind?"
Die Antwort des CDU-Politikers kam prompt:
Als wir Herrn Gebhart in einer weiteren Mail darauf hinwiesen, dass dessen neue Facebookfreunde vor allem aus dem Irak stammten und fragten, wie er sich dies erklären könne, reagierte der CDU-Abgeordnete nicht mehr.
Im Fall von Staatsministerin Maria Böhmer gab es gar keine Reaktion, trotz zweier Mailanfragen vom 12.3. und 17.3. und einer telefonischer Nachfrage. Es scheint, als würde die Möglichkeit, dass ein Unbekannter 1.000 falsche Likes für ihre Facebook-Fanseite gekauft haben könnte, für keinerlei Aufmerksamkeit gesorgt haben.
[Update 2.4.2015: Frau Böhmer hat diesen Blogartikel kommentiert und darauf hingewiesen, dass sie am 18.3. eine Antwort per Email geschickt hat. Uns ist hier ein Fehler unterlaufen, diese Email übersehen zu haben. Frau Böhmer antwortete: "Der starke Anstieg der Likes war mir und meinem Team in der Tat nicht aufgefallen und ich habe keine Erklärung für diese Entwicklung. Ich werde Ihren Hinweis aber gerne zum Anlass nehmen, die Statistik meiner Facebook-Seite in Zukunft genauer zu beobachten." ]
Auch bei einer anderen Politikerin ist ein unnatürlicher Anstieg bei den Facebookfreunden zu beobachten: der SPD-Europaabgeordneten Martina Werner.
Quelle: pluragraph.de, www.sterntv-experimente.de/FacebookLikeCheck
Auf unsere Emailanfrage vom 16.3. reagierte Werner bislang nicht. Darin hatten wir sie nach dem Anstieg von 430 Likes für ihr Facebook-Profil MartinaWernerEuropa an einem einzigen Tag gefragt. Dieser Anstieg kam allerdings von deutschen Facebook-Usern, erscheint aber trotzdem merkwürdig aufgrund des ansonsten eher stagnierenden Verlaufs ihrer Facebook-Likes.
[Update 17.4.2015: Frau Werner hat am 14.4. per Email und in den Kommentaren zu diesem Blog-Beitrag auf unsere Anfrage vom 16.3. geantwortet und erklärt: "ich habe mein bisher privates Profil mit meiner öffentlichen Fan-Seite zusammengeführt. Dies ist ein nicht außergewöhnlicher Vorgang, den Facebook anbietet. Dadurch erklärt sich der Anstieg der Likes. Zur Klarstellung: Ich habe keine Likes gekauft." Die private Seite mit Freunden in eine Fanseite mit Likes umzuwandeln, dann mit der Poltikerinnenseite zu vereinen und dabei die Freunde des alten privaten Profils als Fans der neuen Seite zu übernehmen ist in der Tat möglich. Allerdings wird hierbei meistens das alte Profil gelöscht. Wir können den Vorgang nicht überprüfen. Da es sich aber mit 430 Likes um eine "krumme" Zahl handelt und die Likes überwiegend aus Deutschland stammen, spricht einiges dafür, dass es so gewesen sein könnte. Wir haben entsprechend im folgenden Fazit die Zahl von "drei Abgeordneten" auf "zwei Abgeordnete" verringert.]
Unser Fazit: Die hier geschilderten Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass bei mindestens zwei Abgeordneten in letzter Zeit Gefällt-mir-Angaben für ihre Facebook-Fanseiten gekauft worden sind. Von wem lässt sich allerdings mit unseren Möglichkeiten nicht nachweisen. Die Bereitschaft der Abgeordneten, hier für Aufklärung zu sorgen, war bedauerlicherweise äußerst gering.
Dies ist nicht der erste Beitrag im abgeordnetenwatch.de Blog, der sich aus einem User-Hinweis ergeben hat. Lesen Sie in diesem Zusammenhang auch:
Eine Anmerkung: Wir haben aus Zeitgründen nicht alle Politikerprofile mit dem facebooklikecheck untersuchen können. Für Hinweise, z.B. auf weitere Facebook-Profilseiten von Abgeordneten mit merkwürdiger Herkunft der Fans, sind wir dankbar.
Update 2.4.2015:
Nach Veröffentlichung dieses Blogartikels reagierte Herr Gebhart und teilte mit, dass er weiterhin davon ausgeht, dass die Likes nicht gekauft sind und fügt hinzu: "Zudem habe ich eine Untersuchung eingeleitet, um eine Erklärung für die Herkunft der „Gefällt-mir-Angaben“ zu erhalten."
Fabian Hanneforth