Internes Lobbypapier belegt Nähe von Abgeordneten zur Tabakindustrie

Welche Abgeordneten sind für die Anliegen der Tabaklobby zugänglich? In einem internen Dokument hat Philip Morris über vertrauliche Treffen mit EU-Parlamentariern und selbst über deren Hobbys Buch geführt. Ein FDP-Abgeordneter steht bei dem Tabakmulti besonders hoch im Kurs: Abstimmungsverhalten und Änderungsanträge waren ganz im Sinne von Philip Morris.

von Redaktion abgeordnetenwatch.de, 22.05.2014

Für die Tabakindustrie ging es ums Ganze. Möglichst groß und auffällig sollten die Fotos mit dem verfaulten Fuß oder der schwarzen Raucherlunge künftig auf jeder Zigrattenschachtel zu sehen sein, um Menschen vom Rauchen abzuhalten. Das war der Plan der EU.

Um die EU-Tabakrichtlinie aufzuhalten oder zumindest abzumildern, setzte die Zigarettenindustrie ein ganzes Heer an Lobbyisten in Bewegung. Alleine für den Konzern Philip Morris waren 161 Mitarbeiter an der Offensive beteiligt, berichtete der Guardian im September. Nicht weniger als 233 Europaabgeordnete, also fast ein Drittel, seien von den Lobbyisten in vertraulichen Gesprächen bearbeitet worden.
 


Nun hat die lobbykritische Organisation Corporate Europe Observatory interne Philip Morris-Papiere geleakt, aus denen einige Medien in der Vergangenheit zwar schon zitiert hatten, die aber bislang nicht öffentlich zugänglich waren. Aus den Dokumenten geht hervor, dass Philip Morris über die allermeisten der 751 Europaabgeordneten penibel Buch führte: Wer ist zugänglich für die Positionen des Konzerns, also tabakfreundlich, mit wem gab es wann informelle Treffen, welche tabakkritischen Abgeordneten müssen vom Konzern im Auge behalten werden. Selbst die Hobbys einiger Parlamentarier wurden gesammelt.

In dem Geheimdokument werden von Philip Morris 28 der 99 deutschen EU-Abgeordneten als „High-Priority“ eingestuft, also als besonders wichtig, um die Konzerninteressen durchzusetzen. Einer der zentralen Abgeordneten für den Tabakkonzern ist laut des Papiers der FDP-Politiker Holger Krahmer.

Von Philip Morris wurde aufmerksam registriert, dass Krahmer im Juni 2007 einen Parlamentsbericht über Pläne für „ein rauchfreies Europa“ - den sog. "Florenz-Bericht" - mittels mehrerer Änderungsanträge massiv zu entschärfen versuchte:

 

 

Aus den geleakten Lobbypapieren geht hervor, dass Krahmer sich in eben jenem Juni 2007 mit Philip Morris-Leuten traf. Zum Inhalt des Gesprächs oder dem genauen Datum werden keine Angaben gemacht, ebensowenig zu zwei weiteren Treffen, die im Februar 2008 und im Oktober 2010 stattfanden.

Klar wird in den Dokumenten aber: Der FDP-Politiker liegt mit dem Tabakmulti in wichtigen Punkten auf einer Linie. Krahmer ist gegen ein Verbot von Inhaltsstoffen im Tabak, gegen das Verbot Zigaretten öffentlich zu platzieren und gegen ein Verbot des Kautabaks Snus. Als das Europaparlament vergangenen Februar über die von der Industrie bekämpfte Tabakrichtlinie abstimmte, gab es bei der FDP zwei Gegenstimmen. Eine stammte von Holger Krahmer.

Von "höchster Priorität" für die Tabaklobby sind laut der internen Papiere auch Krahmers Parlamentskollegen Angelika Niebler, Markus Ferber und Rainer Wieland. Auch ihr Abstimmungsverhalten bei der Tabakrichtlinie dürfte ganz im Sinne des Zigarettenkonzerns gewesen sein: Alle drei Unions-Abgeordnete stimmten gegen eine Verschärfung.

Auch der CDU-Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne wird von Philip Morris als besonders wichtig eingstuft. Vier Treffen der Tabaklobbyisten und Lehne haben laut der geleakten Dokumente zwischen Februar 2008 und Juni 2011 statt gefunden.

2009 wurde Lehne Vorsitzender des EU-Rechtsausschusses und ist seitdem immer wieder wegen möglicher Interessenkonflikte in die Kritik geraten. Als der EU-Rechtsausschuss beispielsweise im Zusammenhang mit der EU-Tabakrichtlinie "extreme Maßnahmen" gegen die Tabakindustrie ablehnte, kam heraus, dass die international tätige Großkanzlei Taylor Wessing den Zigarettenhersteller Japan Tobacco International ("Camel") zu seinen Mandanten zählt. Partner von Taylor Wessing mit einem Jahresverdienst von mindestens 120.000 Euro: Klaus-Heiner Lehne. An der Schlussabstimmung über die Tabakrichtlinie im Plenum des Europäischen Parlaments nahm Lehne nicht teil. Einen Interessenskonflikt weist er von sich.

Auch Abgeordnete von SPD sowie jeweils ein Parlamentarier von Linkspartei und Grünen werden von Philip Morris als besonders wichtig eingestuft, was jedoch nicht mit "tabakfreundlich" gleichzusetzen ist. Im EU-Parlament stimmten sie - genauso wie zahlreiche ebenfalls aufgeführte Politiker von Union und FDP - für die Tabakrichtlinie.

Ein deutscher Europaabgeordneter ist in den Philip Morris-Papieren mit der Signalfarbe rot markiert: der CDU-Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz, dessen Bericht einst der FDP-Abgeordnete Holger Krahmer zu entschärfen versuchte. Rot, das bedeutet aus Sicht des Tabakkonzerns: Äußerst tabakfeindlich. Nach Angaben der Deutschen Welle soll es sogar eine Anweisung von Philip Morris gegeben haben, den CDU-Politiker im Parlament zu isolieren. Florenz fiel neben seinem erwähnten Bericht über das Grünbuch der europäischen Kommission für „ein rauchfreies Europa“ auch dadurch auf, dass er im Zusammenhang mit den Aktivitäten der Tabaklobby von „Lepra der Demokratie“ sprach.

Am Ende konnte die Lobbyoffensive von Philip Morris & Co. die Tabakrichtlinie zwar nicht verhindern, die im Februar 2014 mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Aber ganz ohne Wirkung ist sie nicht geblieben. U.a. sollen Schockbilder und Warnhinweise künftig nur noch 65 Prozent auf Tabakverpackungen einnehmen. Die EU-Kommission wollte ursprünglich 75 Prozent.

Keno Franke

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