Klassentreffen auf Steuerzahlerkosten?

Ob es  denn zutrifft, dass er Freunde und ehemalige Klassenkameraden zu einer Berlinreise eingeladen habe - auf Steuerzahlerkosten? Nach einem anonymen Hinweis bittet abgeordnetenwatch.de den Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil (SPD) um Aufklärung. Statt zu dementieren setzt der Politiker einen bekannten Medienanwalt in Bewegung.

von Martin Reyher, 12.09.2013

Wer als Bürger das Glück hat, einen der begehrten Plätze bei einer Berlinfahrt des Bundespresseamtes (BPA) zu ergattern, bekommt einiges geboten: Dem Blick hinter die Kulissen in einem Ministerium folgt bisweilen ein Abendessen auf einem Spreedampfer, außerdem hält das Programm eine Stadtrundfahrt sowie den Besuch des Bundestages parat.

Rund 95.000 Menschen sind in dieser Wahlperiode schon auf Einladung eines Abgeordneten in die Hauptstadt gereist. Bis zu vier Reisegruppen kann jeder Politiker pro Jahr einladen, die Kosten - immerhin fast 100 Mio. Euro waren für Hotelübernachtungen, Restaurantbesuche und Programm im Bundeshaushalt der vergangenen vier Jahre eingeplant - trägt der Steuerzahler.

Im Fall des niedersächsischen Bundestagsabgeordneten Lars Klingbeil stellt sich allerdings die Frage, ob die Steuerzahler im Oktober 2012 vor allem Menschen aus dessen persönlichem Umfeld eine Hauptstadtreise spendierten, genauer gesagt Freunden und ehemaligen Schulkameraden des SPD-Politikers.
 

Der Hinweis darauf geht Ende Juli per Post bei abgeordnetenwatch.de ein (Foto). Auf der Teilnehmerliste einer Infofahrt vom 17. bis 19. Oktober 2012 sollen sich u.a. die Namen zahlreicher Freunde von Klingbeil selbst sowie von dessen Familienmitgliedern befinden, oftmals in Begleitung, behauptet ein anonymer Absender. Der Reisegruppe gehörte angeblich auch ein Mitarbeiter Klingbeils mit Begleitung sowie mehrere ehemalige Klassenkameraden an, die sich bis heute regelmäßig in privater Runde träfen. Klingbeils Schwester sei zunächst auch eingeplant gewesen, habe dann aber abgesagt.

Feierte der Bundestagsabgeordnete also ein "Klassentreffen auf Steuerzahlerkosten", wie der Hinweisgeber unterstellt?

abgeordnetenwatch.de bittet Lars Klingbeil am vergangenen Mittwoch per Mail um Stellungnahme. Ob es zutreffe, dass der Reisegruppe "vorwiegend" Freunde und Bekannte sowie "mehrere ehemalige Schulkameraden" angehörten?

Anstatt einer Antwort von Klingbeil auf diese und  weitere Fragen gibt es tags darauf Post vom Anwalt:

Wir zeigen an, dass wir Lars Klingbeil in Presse- und presserechtlichen Angelegenheiten beraten und vertreten,

lässt der Hamburger Rechtsanwalt Michael Nesselhauf per Mail wissen. "In Wahrnehmung dieses Mandats" werde man die abgeordnetenwatch.de-Fragen bis zum darauf folgenden Montag beantworten.

Es ist ein eher ungewöhnlicher Vorgang, dass ein Volksvertreter Presseanfragen von einem namhaften Medienanwalt (Nesselhauf berät u.a. Uli Hoeneß und Peer Steinbrück) beantworten lässt. Für ein Dementi der anonymen Vorwürfe jedenfalls hätte es keines rechtlichen Beistandes bedurft.

Doch was Klingbeils Anwalt in seinem Schreiben von diesem Montag mitteilt, ist kein Dementi.

Es trifft zu, dass Teilnehmer der Veranstaltung vom 17. bis zum 19. Oktober 2012 auch die von Ihnen genannten Personen waren,

so Nesselhauf. Dass sich die Reisegruppe "vorwiegend" aus Klingbeils Freundes- und Bekanntenkreis rekrutierte, wird nicht in Abrede gestellt.

Klingbeil sieht darin offenbar kein Problem. Seinen Anwalt lässt er ausrichten, bei den Mitreisenden handele es sich allesamt um "politisch höchst interessierte Menschen, also exakt die Zielgruppe des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung für solche Veranstaltungen."

Verhalten Bundestagsabgeordnete sich korrekt, wenn sie eine vom Steuerzahler finanzierte Bildungsreise nutzen, um ihre Freunde und früheren Schulkameraden in die Hauptstadt einzuladen? Eine Regierungssprecherin will dies auf Nachfrage nicht bewerten, äußert sich nur allgemein zum Thema BPA-Fahrten.

Und Klingbeil? Trotz Bitte um eine persönliche Stellungnahme schweigt dieser bislang gegenüber abgeordnetenwatch.de.

Nachtrag:

Auch stern.de berichtet über den Fall und schreibt:

Auffällig ist nur, dass Kommunikationsgenie Klingbeil den Besuch aus der Heimat nicht wie bei ähnlichen Anlässen zur Werbung in eigener Sache nutzte: Weder im öffentlichen Kalender auf seiner Abgeordneten-Homepage, noch auf seiner Flickr-Fotoseite, auf seiner Facebook-Seite und auch nicht bei Twitter findet sich ein Eintrag.

Fast zeitgleich mit der Friends-and-Family-Tour von Lars Klingbeil machte sich eine weitere Reisegruppe aus dem Wahlkreis des Abgeordneten auf den Weg in die Hauptstadt, organisiert vom SPD-Ortsverein Visselhövede. Diese Fahrt vom 18. – 20. Oktober 2012 schlug allerdings für die Teilnehmer mit ca. 170 Euro zu Buche – „für 2 Übernachtungen mit Frühstück, Fahrt und Besuchsprogramm“. Pikant ist die Begründung: „Leider stehen für diese Fahrt keine Zuschüsse aus Mitteln unseres Bundestagsabgeordneten zur Verfügung, da sie schwerpunktmäßig für Schüler- und Jugendgruppen verwendet werden.“

Die Genossen aus Visselhövede dürften jetzt bestimmt einige Fragen an ihren Mann in Berlin haben.

Vorkommende Politiker:innen

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