Von Sophie Zwosta*
Sind Abgeordnete für die Bürger online erreichbar? Und lassen sich Muster und Zusammenhänge im Antwortverhalten erkennen, wenn die Politiker über unterschiedliche Kanäle kontaktiert werden? Das waren die Ausgangsfragen für eine Studie, die im Zeitraum von November 2012 bis Februar 2013 von fünf Studierenden (Anna Holzner, Torben Löser, Christina Friedl, Bettina Reindl, Sophie Zwosta) der Universität Passau durchgeführt wurde.
Insgesamt wurden 112 Abgeordnete via E-Mail, Facebook, abgeordnetenwatch.de mit drei unterschiedlichen Fragen konfrontiert (s. Anhang). Die Fragen behandelten dabei aktuelle Themen (Einführung einer Frauenquote, Handel mit autoritären Regimen, Offenlegung von Nebeneinkünften) von öffentlichem Interesse. Jede Nachricht enthielt zusätzlich den Hinweis, dass die Antwort auch für die kommende Wahlentscheidung relevant sei.
Auch die Abgeordneten wurden nicht zufällig ausgewählt, sondern so, dass am Ende Aussagen über „Muster“ im Antwortverhalten möglich waren. Ziel war es, herauszufinden, ob sich das Antwortverhalten nach Ebene, Partei, Kanal, Alter, Geschlecht oder gestellter Frage unterscheidet. Deshalb wurden Abgeordnete auf Landtags-, Bundes- und Europaebene angeschrieben und dabei jeweils darauf geachtet, dass die Zahl der Abgeordneten pro Partei (CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen), pro Alter (unter 50/über 50) und pro Geschlecht ausgeglichen waren. Außerdem wurde Wert darauf gelegt, dass alle Abgeordneten auf allen drei Kanälen vertreten waren, so dass eine realistische Chance zur Antwort bestand.
Anfang Dezember wurden die Nachrichten zeitgleich verschickt, insgesamt 336 Nachrichten. Die eingegangen Antworten wurden nach persönlichem Bezug (z.B. Eingehen auf die Anfrage), inhaltlicher Qualität (z.B. Nennung von Argumenten) und Antwortdauer ausgewertet, insgesamt waren 15 Punkte zu erreichen. Via abgeordnetenwatch.de konnten die Politiker sehr gute Antworten für sich verbuchen. Zwar trat hier auch mit 3 Punkten die schlechteste Antwort auf (eine standardisierte Antwort von Peer Steinbrück), jedoch erreichten die meisten Antworten einen Wert von 11 Punkten.
60% der Antworten erhielten 10 oder mehr Punkte (s. Grafik rechts). Die durchschnittliche Punktzahl lag bei 9,8, bei Antworten über Facebook und per E-Mail waren es 9,6 bzw. 10,6.
Wie häufig aber reagieren Politiker, wenn sie über die drei untersuchten Kanäle von potentiellen Wählern kontaktitiert werden? 29 Abgeordnete (über ein Viertel aller angeschriebenen Parlamentarier) antwortete weder per E-Mail noch über Facebook oder abgeordnetenwatch.de.
Sie sind also online für Wähler überhaupt nicht erreichbar.
Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Antwort als wahlentscheidend ausgegeben wurde, lassen sich Abgeordnete hier eine schnelle und kostengünstige Möglichkeit entgehen, mit ihren Wählern zu kommunizieren. Von den angeschriebenen Abgeordneten antworteten 37,6% innerhalb von vier Wochen. Auf Facebook-Nachrichten antworteten sogar nur 29,5%, auf E-Mails nur 39,3%. Die höchste Antwortquote gab es mit 44,6 Prozent bei Anfragen über abgeordnetenwatch.de - die öffentlich stattfindende Kommunikation erhöht ganz offensichtlich die Antwortbereitschaft.
Zwischen den Parteien konnten dagegen keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden, ebenso wenig zwischen den Geschlechtern. Die Vermutung, dass jüngere Abgeordnete internetaffiner und damit antwortfreudiger sind, konnte nicht bestätigt werden. Im Gegenteil antworteten Abgeordnete über 50 Jahren – außer auf Facebook – sogar häufiger als jene unter 50 Jahren.
Auch die Ebene scheint entscheidend zu sein: so antworteten Abgeordnete auf Landtagsebene am häufigsten, gefolgt von Abgeordneten des Europaparlaments. Am seltensten antworteten die Abgeordneten des Bundestages: Nur 27% der angeschriebenen Bundespolitiker reagierten innerhalb der Frist. 19 antworteten auf keinem der Kanäle, sind für Bürger über die neuen Medien also nicht ansprechbar. Im Zuge der anstehenden Bundestagswahl im September 2013 ist dies nur schwer begreiflich.
Die Frage zur Offenlegung von Nebeneinkünften erreichte mit 67,5% auf abgeordnetenwatch.de die höchste Antwortquote. Am wenigsten wurde diese Frage über Facebook beantwortet (Antwortquote: 26,5%). Offensichtlich ist also nicht nur die Art der Frage entscheidend, sondern auch, über welchen Kanal sie gestellt wurde. Wiederum kann man an diesem Beispiel gut erkennen, dass die „Anwesenheit“ der Öffentlichkeit auf abgeordnetenwatch.de einen Einfluss auf die Beantwortung der Fragen hat und „prestigeträchtige“, aktuelle Fragen häufiger beantwortet werden als solche, über die sich ein Abgeordneter moralisch bewerten lässt. Eine Stichprobengröße von 336 Anfragen an Politiker erschien uns anfangs groß genug, stellte sich dann aber als unzureichend heraus, da die Antwortquote geringer ausfiel als erwartet. Zum Vergleich: Auf abgeordnetenwatch.de liegt die tatsächliche Antwortquote bei Fragen an Bundestagsabgeordnete aktuell bei 78,0% (30.558 Fragen / 23.828 Antworten seit Beginn dieser Wahlperiode).
Eine Wiederholung der Studie mit einer größeren Stichprobe und somit mehr zur Verfügung stehenden Antworten erscheint hier also sinnvoll. In Bezug auf abgeordnetenwatch.de konnte die Studie zeigen, dass abgeordnetenwatch.de insgesamt erfolgreich in seinem Anliegen ist, Politiker zu öffentlichem Antworten zu bewegen. Vor allem Fragen zu aktuell kontrovers diskutierten Themen werden dort in der Regel schnell und zumeist kompetent beantwortet. Die Studie als pdf
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*Zur Autorin: Sophie Zwosta, 22, ist Mitautorin der Studie, die im Rahmen des Seminars „Politische Kommunikation im Internet und Web 2.0“ an der Universität Passau erstellt wurde.
Anhang: An die Abgeordneten gestellte Fragen:
Sehr geehrte(r)..., ich bin Wählerin in Ihrem Wahlkreis und interessiere mich sehr für Ihre Arbeit. Für mich und meinen Freundeskreis ist die Frage der Frauenquote für die kommende Wahl entscheidend. Gerne würde ich daher Ihre Meinung zu diesem Thema erfahren und wie Sie im Falle einer Abstimmung über die Frauenquote votieren würden. Ihre Antwort wird für mich mit entscheidend sein, ob ich in der kommende Wahl für Sie stimmen werde. Über eine baldige und ausführliche Antwort freue ich mich! Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte(r) ..., als Studentin der Politikwissenschaft bin ich sehr an der Arbeit von Politikern interessiert und möchte nach dem Studium selbst in der Bundespolitik aktiv werden. Daher ist die aktuell diskutierte Frage der cent-genauen Offenlegung von Nebeneinkünften für mich persönlich sehr relevant. Wie ist Ihre Meinung zu diesem Vorschlag? Wie würden Sie im Falle einer eingebrachten Gesetzesvorlage abstimmen? Ihre Haltung zu diesem Thema ist für mich auch mit entscheidend, ob ich Sie wählen werde. Ich freue mich über eine Antwort! Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte(r)..., gestern habe ich mit Freunden in größerer Runde darüber diskutiert, ob Handel mit nicht-demokratischen Regimes, welche die Menschenrechte nicht achten, von der Politik unterstützt oder unterbunden werden sollte. Dabei haben wir festgestellt, dass dieses Thema eine sehr wichtige Frage der kommenden Wahl für uns ist. Gerade im Hinblick auf die kommende Wahl wäre es für uns als Bürger in Ihrem Wahlkreis interessant, Ihre Meinung hierzu zu kennen. Ihre Antwort könnte unter Umständen entscheiden, wo wir unser Kreuz setzen werden. Ich würde mich über eine ausführliche Antwort freuen! Mit freundlichen Grüßen